frei wählen sollen, der Pflichten zu gedenken, die das Allge- meinwohl von ihnen fordert. Hausfrauen und Mütter braucht unser Volk, wie es der schirmenden Kraft des seiner Militär- pflicht genügenden Mannes bedarf. Die Mädchen für solche doch möglicherweise an sie herantretende Pflichten vorzubereiten, ist für unser Volkswohl von hoher Bedeutung.
Trotzdem aber war und ist die Ausbildung der Frau ein Stiefkind des Staates. Für Schulung der Knaben wird auch über die Schulzeit hinaus in umfassender Weise Sorge getragen. Die Schulung der Mädchen, überläßt man, sobald die Schul- zeit vorbei, dem Zufall, man überläßt sie dem guten Willen, der doch nicht immer vorhandenen Fähigkeit der Mütter, ihre Töchter selbst anzuleiten. Für die Knaben errichten Staat und Gemeinde Schulen aller Art aus öffentlichen Mitteln. Die Mehrzahl der Mädchenschulen ist Privatunternehmen oder von Vereinen - also wieder aus Privatmitteln - begründet.
Jn besonders schroffer Weise tritt die verschiedene Wer- tung von Knaben- und Mädchenausbildung in dem Fortbil- dungs- und Fachschulwesen für die aus der Volksschule ent- lassenen Kinder zu Tage.
Zahlen sind der beste Beweis:
12500 Fortbildungs- und Fachschulen für Männer standen i. J. 1902 in Deutschland nur 2600 Fortbildungs- und Fach- schulen für Mädchen gegenüber1) , und wenn man Baden und Württemberg abrechnet, die für die Mädchen Pflichtbesuch für die Fortbildungsschule haben so gut wie für die Knaben (68000 Mädchen besuchten i. J. 1902 in Baden und Württemberg diese Schulen), so bleiben für ganz Deutschland nur 38000 Mädchen übrig, denen für ihr späteres Leben Gelegenheit zu berufli-
1) Vgl. Fortbildungsschul-Korrespondenz. Herausgeber Direktor O. Pache. No. 18. 15. Juli 1902.
frei wählen sollen, der Pflichten zu gedenken, die das Allge- meinwohl von ihnen fordert. Hausfrauen und Mütter braucht unser Volk, wie es der schirmenden Kraft des seiner Militär- pflicht genügenden Mannes bedarf. Die Mädchen für solche doch möglicherweise an sie herantretende Pflichten vorzubereiten, ist für unser Volkswohl von hoher Bedeutung.
Trotzdem aber war und ist die Ausbildung der Frau ein Stiefkind des Staates. Für Schulung der Knaben wird auch über die Schulzeit hinaus in umfassender Weise Sorge getragen. Die Schulung der Mädchen, überläßt man, sobald die Schul- zeit vorbei, dem Zufall, man überläßt sie dem guten Willen, der doch nicht immer vorhandenen Fähigkeit der Mütter, ihre Töchter selbst anzuleiten. Für die Knaben errichten Staat und Gemeinde Schulen aller Art aus öffentlichen Mitteln. Die Mehrzahl der Mädchenschulen ist Privatunternehmen oder von Vereinen – also wieder aus Privatmitteln – begründet.
Jn besonders schroffer Weise tritt die verschiedene Wer- tung von Knaben- und Mädchenausbildung in dem Fortbil- dungs- und Fachschulwesen für die aus der Volksschule ent- lassenen Kinder zu Tage.
Zahlen sind der beste Beweis:
12500 Fortbildungs- und Fachschulen für Männer standen i. J. 1902 in Deutschland nur 2600 Fortbildungs- und Fach- schulen für Mädchen gegenüber1) , und wenn man Baden und Württemberg abrechnet, die für die Mädchen Pflichtbesuch für die Fortbildungsschule haben so gut wie für die Knaben (68000 Mädchen besuchten i. J. 1902 in Baden und Württemberg diese Schulen), so bleiben für ganz Deutschland nur 38000 Mädchen übrig, denen für ihr späteres Leben Gelegenheit zu berufli-
1) Vgl. Fortbildungsschul-Korrespondenz. Herausgeber Direktor O. Pache. No. 18. 15. Juli 1902.
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frei wählen sollen, der Pflichten zu gedenken, die das Allge-
meinwohl von ihnen fordert. Hausfrauen und Mütter braucht
unser Volk, wie es der schirmenden Kraft des seiner Militär-
pflicht genügenden Mannes bedarf. Die Mädchen für solche
doch möglicherweise an sie herantretende Pflichten vorzubereiten,
ist für unser Volkswohl von hoher Bedeutung.
Trotzdem aber war und ist die Ausbildung der Frau ein
Stiefkind des Staates. Für Schulung der Knaben wird auch
über die Schulzeit hinaus in umfassender Weise Sorge getragen.
Die Schulung der Mädchen, überläßt man, sobald die Schul-
zeit vorbei, dem Zufall, man überläßt sie dem guten Willen,
der doch nicht immer vorhandenen Fähigkeit der Mütter, ihre
Töchter selbst anzuleiten. Für die Knaben errichten Staat und
Gemeinde Schulen aller Art aus öffentlichen Mitteln. Die
Mehrzahl der Mädchenschulen ist Privatunternehmen oder von
Vereinen – also wieder aus Privatmitteln – begründet.
Jn besonders schroffer Weise tritt die verschiedene Wer-
tung von Knaben- und Mädchenausbildung in dem Fortbil-
dungs- und Fachschulwesen für die aus der Volksschule ent-
lassenen Kinder zu Tage.
Zahlen sind der beste Beweis:
12500 Fortbildungs- und Fachschulen für Männer standen
i. J. 1902 in Deutschland nur 2600 Fortbildungs- und Fach-
schulen für Mädchen gegenüber 1) , und wenn man Baden und
Württemberg abrechnet, die für die Mädchen Pflichtbesuch für die
Fortbildungsschule haben so gut wie für die Knaben (68000
Mädchen besuchten i. J. 1902 in Baden und Württemberg diese
Schulen), so bleiben für ganz Deutschland nur 38000 Mädchen
übrig, denen für ihr späteres Leben Gelegenheit zu berufli-
1) Vgl. Fortbildungsschul-Korrespondenz. Herausgeber Direktor
O. Pache. No. 18. 15. Juli 1902.
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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/19>, abgerufen am 16.02.2025.
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