in Berlin, davon 3,17 % in Wohnungen mit 1 Zimmer, 41,18 % in Wohnungen mit 2 Zimmern, 46,51% in Woh- nungen mit 3 Zimmern. Jn 1958 Haushaltungen schlafen in Berlin in einem einzigen Raume Eltern, Kinder und Schlaf- leute bis zu 10 Personen, in 48 Fällen sogar Schlafleute beider- lei Geschlechts. - Manche Schlafstellen wurden nachts von Tages- arbeitern, tags über von Nachtarbeitern benutzt. So schläft z. B. in demselben Bett tags ein Bäckergeselle, nachts eine Kellnerin1).
Solche Angaben mögen genügen. Nicht darauf kommt es hier an, eine Abhandlung über Wohnungsfrage zu schreiben. Sondern nur darum handelt es sich, einen Begriff davon zu geben, wie alles Arbeiten auf dem Sittlichkeitsgebiete - so- weit die ärmeren Klassen in Betracht kommen - vergeblich ist, solange wir Wohnungsverhältnisse behalten, wie die eben genannten. Dem Volke Sittlichkeit zu predigen, bleibt leere Phrase, wenn wir nicht gleichzeitig mit Hand anlegen, in unserem Wohnungswesen durch gesetzliches, kommunales und genossenschaftliches Vorgehen gesundere Zustände zu schaffen. Schon das Kind muß verderben, muß abstumpfen bei der- artigem Wohnen. Wenn die Frau zur Dirne wird schon in jungen Jahren, wenn der Mann solchem Massenquartier, das man doch unmöglich als Heim bezeichnen kann, entflieht, wenn er ins Wirtshaus geht, um sich, bevor er nach Hause kommt, Gefühllosigkeit anzutrinken, wer hat den Mut, Steine auf sie alle zu werfen? Die besser situierten Klassen wahrlich, die haben nicht annähernd soviel Ursache wie diese Männer, Ver- gessen im Alkoholrausche zu suchen. Die jungen Männer unserer Kreise, die aus gesunden, reinen, in geräumigen Wohnungen lebenden Familien kommen, die haben keine Entschuldigung
1) Deutsche Volksstimme XIV. Ho. 1903.
in Berlin, davon 3,17 % in Wohnungen mit 1 Zimmer, 41,18 % in Wohnungen mit 2 Zimmern, 46,51% in Woh- nungen mit 3 Zimmern. Jn 1958 Haushaltungen schlafen in Berlin in einem einzigen Raume Eltern, Kinder und Schlaf- leute bis zu 10 Personen, in 48 Fällen sogar Schlafleute beider- lei Geschlechts. - Manche Schlafstellen wurden nachts von Tages- arbeitern, tags über von Nachtarbeitern benutzt. So schläft z. B. in demselben Bett tags ein Bäckergeselle, nachts eine Kellnerin1).
Solche Angaben mögen genügen. Nicht darauf kommt es hier an, eine Abhandlung über Wohnungsfrage zu schreiben. Sondern nur darum handelt es sich, einen Begriff davon zu geben, wie alles Arbeiten auf dem Sittlichkeitsgebiete – so- weit die ärmeren Klassen in Betracht kommen – vergeblich ist, solange wir Wohnungsverhältnisse behalten, wie die eben genannten. Dem Volke Sittlichkeit zu predigen, bleibt leere Phrase, wenn wir nicht gleichzeitig mit Hand anlegen, in unserem Wohnungswesen durch gesetzliches, kommunales und genossenschaftliches Vorgehen gesundere Zustände zu schaffen. Schon das Kind muß verderben, muß abstumpfen bei der- artigem Wohnen. Wenn die Frau zur Dirne wird schon in jungen Jahren, wenn der Mann solchem Massenquartier, das man doch unmöglich als Heim bezeichnen kann, entflieht, wenn er ins Wirtshaus geht, um sich, bevor er nach Hause kommt, Gefühllosigkeit anzutrinken, wer hat den Mut, Steine auf sie alle zu werfen? Die besser situierten Klassen wahrlich, die haben nicht annähernd soviel Ursache wie diese Männer, Ver- gessen im Alkoholrausche zu suchen. Die jungen Männer unserer Kreise, die aus gesunden, reinen, in geräumigen Wohnungen lebenden Familien kommen, die haben keine Entschuldigung
1) Deutsche Volksstimme XIV. Ho. 1903.
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[178/0188]
in Berlin, davon 3,17 % in Wohnungen mit 1 Zimmer,
41,18 % in Wohnungen mit 2 Zimmern, 46,51% in Woh-
nungen mit 3 Zimmern. Jn 1958 Haushaltungen schlafen in
Berlin in einem einzigen Raume Eltern, Kinder und Schlaf-
leute bis zu 10 Personen, in 48 Fällen sogar Schlafleute beider-
lei Geschlechts. - Manche Schlafstellen wurden nachts von Tages-
arbeitern, tags über von Nachtarbeitern benutzt. So schläft
z. B. in demselben Bett tags ein Bäckergeselle, nachts eine
Kellnerin 1).
Solche Angaben mögen genügen. Nicht darauf kommt es
hier an, eine Abhandlung über Wohnungsfrage zu schreiben.
Sondern nur darum handelt es sich, einen Begriff davon zu
geben, wie alles Arbeiten auf dem Sittlichkeitsgebiete – so-
weit die ärmeren Klassen in Betracht kommen – vergeblich
ist, solange wir Wohnungsverhältnisse behalten, wie die eben
genannten. Dem Volke Sittlichkeit zu predigen, bleibt leere
Phrase, wenn wir nicht gleichzeitig mit Hand anlegen, in
unserem Wohnungswesen durch gesetzliches, kommunales und
genossenschaftliches Vorgehen gesundere Zustände zu schaffen.
Schon das Kind muß verderben, muß abstumpfen bei der-
artigem Wohnen. Wenn die Frau zur Dirne wird schon in
jungen Jahren, wenn der Mann solchem Massenquartier, das
man doch unmöglich als Heim bezeichnen kann, entflieht, wenn
er ins Wirtshaus geht, um sich, bevor er nach Hause kommt,
Gefühllosigkeit anzutrinken, wer hat den Mut, Steine auf sie
alle zu werfen? Die besser situierten Klassen wahrlich, die
haben nicht annähernd soviel Ursache wie diese Männer, Ver-
gessen im Alkoholrausche zu suchen. Die jungen Männer unserer
Kreise, die aus gesunden, reinen, in geräumigen Wohnungen
lebenden Familien kommen, die haben keine Entschuldigung
1) Deutsche Volksstimme XIV. Ho. 1903.
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(2017-11-13T13:59:15Z)
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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/188>, abgerufen am 16.02.2025.
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