Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

Bild:
<< vorherige Seite

Weg zur Unsittlichkeit sind fast durchweg diejenigen, die selbst
nicht Kraft genug hatten zu widerstehen oder die
man ungewarnt ihren Weg nehmen ließ
. Sklave
ihrer Gewohnheit geworden, ist es ihnen ein lästiger Ge-
danke, junge Menschen neben sich zu sehen, die stärker, selbst-
bewußter sind als sie es waren. Und - das ist ein Vor-
wurf, den wir den Männern nicht ersparen können - selten
nur hat ein andersdenkender Mann den Mut, seinen abweichen-
den Standpunkt der Herde gegenüber geltend zu machen,
einen Jüngling in der Versuchung zu stützen. Tausende blieben
bewahrt, wenn alle, die einsichtig wären, ihnen zur rechten
Zeit die Hand reichten, wenn nicht zu viele achselzuckend sich
umwendeten: "Was gehet das mich an? Da siehe Du selbst zu."

Unter den deutschen Frauen - das erwähnte ich schon -
hat Ottilie Hoffmann-Bremen durch Wort und Tat
bahnbrechend gewirkt. Für Gasthausreform treten
weitere Kreise ein. Was aber von allen Seiten vor anderem
gefordert wird, das ist Bewahrung, Rettung der Jugend durch
Aufklärung im Hause und in der Schule. Unter Volksschul-
Lehrern und -Lehrerinnen greift die Abstinentenbewegung
immer mehr um sich, während die Lehrer der höheren An-
stalten, aus deren Schülerkreise die jungen Leute hervorgehen,
die einst dem Volke Führer werden sollen, hinter ihren Kol-
legen von der Volksschule leider noch weit zurückstehen. Folge
jedenfalls studentischer Sitten, als deren unmittelbare, ver-
hängnisvolle Folge wir auch die hohe Zahl der Geschlechts-
kranken unter den Studenten, den Söhnen gebildeter Stände
erkennen lernten.

Mögen doch Lehrer und Aerzte und Geistliche erkennen
lernen und lehren: Wer den Alkohol bekämpft, trifft am sicher-
sten auch den vom Alkoholgenuß oft untrennbaren Folgezustand:

Weg zur Unsittlichkeit sind fast durchweg diejenigen, die selbst
nicht Kraft genug hatten zu widerstehen oder die
man ungewarnt ihren Weg nehmen ließ
. Sklave
ihrer Gewohnheit geworden, ist es ihnen ein lästiger Ge-
danke, junge Menschen neben sich zu sehen, die stärker, selbst-
bewußter sind als sie es waren. Und – das ist ein Vor-
wurf, den wir den Männern nicht ersparen können – selten
nur hat ein andersdenkender Mann den Mut, seinen abweichen-
den Standpunkt der Herde gegenüber geltend zu machen,
einen Jüngling in der Versuchung zu stützen. Tausende blieben
bewahrt, wenn alle, die einsichtig wären, ihnen zur rechten
Zeit die Hand reichten, wenn nicht zu viele achselzuckend sich
umwendeten: „Was gehet das mich an? Da siehe Du selbst zu.“

Unter den deutschen Frauen – das erwähnte ich schon –
hat Ottilie Hoffmann-Bremen durch Wort und Tat
bahnbrechend gewirkt. Für Gasthausreform treten
weitere Kreise ein. Was aber von allen Seiten vor anderem
gefordert wird, das ist Bewahrung, Rettung der Jugend durch
Aufklärung im Hause und in der Schule. Unter Volksschul-
Lehrern und -Lehrerinnen greift die Abstinentenbewegung
immer mehr um sich, während die Lehrer der höheren An-
stalten, aus deren Schülerkreise die jungen Leute hervorgehen,
die einst dem Volke Führer werden sollen, hinter ihren Kol-
legen von der Volksschule leider noch weit zurückstehen. Folge
jedenfalls studentischer Sitten, als deren unmittelbare, ver-
hängnisvolle Folge wir auch die hohe Zahl der Geschlechts-
kranken unter den Studenten, den Söhnen gebildeter Stände
erkennen lernten.

Mögen doch Lehrer und Aerzte und Geistliche erkennen
lernen und lehren: Wer den Alkohol bekämpft, trifft am sicher-
sten auch den vom Alkoholgenuß oft untrennbaren Folgezustand:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0184" n="174"/>
Weg zur Unsittlichkeit sind fast durchweg diejenigen, <hi rendition="#g">die selbst<lb/>
nicht Kraft genug hatten zu widerstehen oder die<lb/>
man ungewarnt ihren Weg nehmen ließ</hi>. Sklave<lb/>
ihrer Gewohnheit geworden, ist es ihnen ein lästiger Ge-<lb/>
danke, junge Menschen neben sich zu sehen, die stärker, selbst-<lb/>
bewußter sind als sie es waren. Und &#x2013; das ist ein Vor-<lb/>
wurf, den wir den Männern nicht ersparen können &#x2013; selten<lb/>
nur hat ein andersdenkender Mann den Mut, seinen abweichen-<lb/>
den Standpunkt der Herde gegenüber geltend zu machen,<lb/>
einen Jüngling in der Versuchung zu stützen. Tausende blieben<lb/>
bewahrt, wenn alle, die einsichtig wären, ihnen zur rechten<lb/>
Zeit die Hand reichten, wenn nicht zu viele achselzuckend sich<lb/>
umwendeten: &#x201E;Was gehet das mich an? Da siehe Du selbst zu.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Unter den deutschen Frauen &#x2013; das erwähnte ich schon &#x2013;<lb/>
hat <hi rendition="#g">Ottilie Hoffmann-Bremen</hi> durch Wort und Tat<lb/>
bahnbrechend gewirkt. Für <hi rendition="#g">Gasthausreform</hi> treten<lb/>
weitere Kreise ein. Was aber von allen Seiten vor anderem<lb/>
gefordert wird, das ist Bewahrung, Rettung der Jugend durch<lb/>
Aufklärung im Hause und in der Schule. Unter Volksschul-<lb/>
Lehrern und -Lehrerinnen greift die Abstinentenbewegung<lb/>
immer mehr um sich, während die Lehrer der höheren An-<lb/>
stalten, aus deren Schülerkreise die jungen Leute hervorgehen,<lb/>
die einst dem Volke Führer werden sollen, hinter ihren Kol-<lb/>
legen von der Volksschule leider noch weit zurückstehen. Folge<lb/>
jedenfalls studentischer Sitten, als deren unmittelbare, ver-<lb/>
hängnisvolle Folge wir auch die hohe Zahl der Geschlechts-<lb/>
kranken unter den Studenten, den Söhnen gebildeter Stände<lb/>
erkennen lernten.</p><lb/>
        <p>Mögen doch Lehrer und Aerzte und Geistliche erkennen<lb/>
lernen und lehren: Wer den Alkohol bekämpft, trifft am sicher-<lb/>
sten auch den vom Alkoholgenuß oft untrennbaren Folgezustand:<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0184] Weg zur Unsittlichkeit sind fast durchweg diejenigen, die selbst nicht Kraft genug hatten zu widerstehen oder die man ungewarnt ihren Weg nehmen ließ. Sklave ihrer Gewohnheit geworden, ist es ihnen ein lästiger Ge- danke, junge Menschen neben sich zu sehen, die stärker, selbst- bewußter sind als sie es waren. Und – das ist ein Vor- wurf, den wir den Männern nicht ersparen können – selten nur hat ein andersdenkender Mann den Mut, seinen abweichen- den Standpunkt der Herde gegenüber geltend zu machen, einen Jüngling in der Versuchung zu stützen. Tausende blieben bewahrt, wenn alle, die einsichtig wären, ihnen zur rechten Zeit die Hand reichten, wenn nicht zu viele achselzuckend sich umwendeten: „Was gehet das mich an? Da siehe Du selbst zu.“ Unter den deutschen Frauen – das erwähnte ich schon – hat Ottilie Hoffmann-Bremen durch Wort und Tat bahnbrechend gewirkt. Für Gasthausreform treten weitere Kreise ein. Was aber von allen Seiten vor anderem gefordert wird, das ist Bewahrung, Rettung der Jugend durch Aufklärung im Hause und in der Schule. Unter Volksschul- Lehrern und -Lehrerinnen greift die Abstinentenbewegung immer mehr um sich, während die Lehrer der höheren An- stalten, aus deren Schülerkreise die jungen Leute hervorgehen, die einst dem Volke Führer werden sollen, hinter ihren Kol- legen von der Volksschule leider noch weit zurückstehen. Folge jedenfalls studentischer Sitten, als deren unmittelbare, ver- hängnisvolle Folge wir auch die hohe Zahl der Geschlechts- kranken unter den Studenten, den Söhnen gebildeter Stände erkennen lernten. Mögen doch Lehrer und Aerzte und Geistliche erkennen lernen und lehren: Wer den Alkohol bekämpft, trifft am sicher- sten auch den vom Alkoholgenuß oft untrennbaren Folgezustand:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/184
Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/184>, abgerufen am 02.05.2024.