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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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zur Selbsthilfe anleiten.

Daß es - trotz aller Wohltätigkeit und Hilfe - der Ar-
mut niemals weniger wurde, daß sich im Gegenteil die Zahl
der in Vereinen und durch Private unterstützten Armen ständig
mehrte, mußte notwendigerweise Männer und Frauen zum
Nachdenken bringen. Sobald man aber den Ursachen der Ver-
armung nachzuspüren begann, konnte man die Armut nicht
länger, wie das wohl früher geschah, einfach als etwas Un-
abänderliches, als Schicksals Fügung ansehen, sondern man
erkannte Unterlassungssünden an allen Ecken und Enden. Man
erkannte, daß z. B. mangelnde Fürsorge für die heranwach-
sende Jugend des Volkes, unerfreulichste Wohnungsverhält-
nisse, Mangel an veredelnden Genüssen - um nur einige Bei-
spiele herauszugreifen - Armut und Verwahrlosung mit her-
beiführten; ganz besonders aber spielte die Unwissenheit,
die Hilflosigkeit der Frauen
dabei eine Rolle. Sind es
doch der Mehrzahl nach Frauen und Kinder, die der Unter-
stützung privater und öffentlicher Armenpflege anheimfallen.
Frauen und Kinder, nicht vorbereitet fürs Leben, gewohnt,
vom Manne, vom Vater erhalten und beraten zu werden,
beide leichtgläubig, weltfremd, daher eher als ein Mann zu
täuschen und auszunutzen.

Was aber beim Kinde natürlich ist, war bei der
Frau nur Produkt verkehrter Erziehung
. Den Frauen
fehlt es keineswegs an Anlagen, tüchtig und selbständig zu wer-
den. Aber man ließ diese Anlagen, statt sie zu pflegen und zu ent-
wickeln, verkümmern und durch alle Schichten der Bevölkerung
hindurch sehen wir daher eine Menge von Frauen, gerade so oder
doch fast so hilflos und unmündig, wie sonst nur Unerwachsene,
Kinder es sind. Auch der gebildeten Frau gab man allerhand Tand
und Luxus mit ins Leben, - Aesthetik und Poetik und Kunstge-

zur Selbsthilfe anleiten.

Daß es – trotz aller Wohltätigkeit und Hilfe – der Ar-
mut niemals weniger wurde, daß sich im Gegenteil die Zahl
der in Vereinen und durch Private unterstützten Armen ständig
mehrte, mußte notwendigerweise Männer und Frauen zum
Nachdenken bringen. Sobald man aber den Ursachen der Ver-
armung nachzuspüren begann, konnte man die Armut nicht
länger, wie das wohl früher geschah, einfach als etwas Un-
abänderliches, als Schicksals Fügung ansehen, sondern man
erkannte Unterlassungssünden an allen Ecken und Enden. Man
erkannte, daß z. B. mangelnde Fürsorge für die heranwach-
sende Jugend des Volkes, unerfreulichste Wohnungsverhält-
nisse, Mangel an veredelnden Genüssen – um nur einige Bei-
spiele herauszugreifen – Armut und Verwahrlosung mit her-
beiführten; ganz besonders aber spielte die Unwissenheit,
die Hilflosigkeit der Frauen
dabei eine Rolle. Sind es
doch der Mehrzahl nach Frauen und Kinder, die der Unter-
stützung privater und öffentlicher Armenpflege anheimfallen.
Frauen und Kinder, nicht vorbereitet fürs Leben, gewohnt,
vom Manne, vom Vater erhalten und beraten zu werden,
beide leichtgläubig, weltfremd, daher eher als ein Mann zu
täuschen und auszunutzen.

Was aber beim Kinde natürlich ist, war bei der
Frau nur Produkt verkehrter Erziehung
. Den Frauen
fehlt es keineswegs an Anlagen, tüchtig und selbständig zu wer-
den. Aber man ließ diese Anlagen, statt sie zu pflegen und zu ent-
wickeln, verkümmern und durch alle Schichten der Bevölkerung
hindurch sehen wir daher eine Menge von Frauen, gerade so oder
doch fast so hilflos und unmündig, wie sonst nur Unerwachsene,
Kinder es sind. Auch der gebildeten Frau gab man allerhand Tand
und Luxus mit ins Leben, – Aesthetik und Poetik und Kunstge-

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[114/0124] zur Selbsthilfe anleiten. Daß es – trotz aller Wohltätigkeit und Hilfe – der Ar- mut niemals weniger wurde, daß sich im Gegenteil die Zahl der in Vereinen und durch Private unterstützten Armen ständig mehrte, mußte notwendigerweise Männer und Frauen zum Nachdenken bringen. Sobald man aber den Ursachen der Ver- armung nachzuspüren begann, konnte man die Armut nicht länger, wie das wohl früher geschah, einfach als etwas Un- abänderliches, als Schicksals Fügung ansehen, sondern man erkannte Unterlassungssünden an allen Ecken und Enden. Man erkannte, daß z. B. mangelnde Fürsorge für die heranwach- sende Jugend des Volkes, unerfreulichste Wohnungsverhält- nisse, Mangel an veredelnden Genüssen – um nur einige Bei- spiele herauszugreifen – Armut und Verwahrlosung mit her- beiführten; ganz besonders aber spielte die Unwissenheit, die Hilflosigkeit der Frauen dabei eine Rolle. Sind es doch der Mehrzahl nach Frauen und Kinder, die der Unter- stützung privater und öffentlicher Armenpflege anheimfallen. Frauen und Kinder, nicht vorbereitet fürs Leben, gewohnt, vom Manne, vom Vater erhalten und beraten zu werden, beide leichtgläubig, weltfremd, daher eher als ein Mann zu täuschen und auszunutzen. Was aber beim Kinde natürlich ist, war bei der Frau nur Produkt verkehrter Erziehung. Den Frauen fehlt es keineswegs an Anlagen, tüchtig und selbständig zu wer- den. Aber man ließ diese Anlagen, statt sie zu pflegen und zu ent- wickeln, verkümmern und durch alle Schichten der Bevölkerung hindurch sehen wir daher eine Menge von Frauen, gerade so oder doch fast so hilflos und unmündig, wie sonst nur Unerwachsene, Kinder es sind. Auch der gebildeten Frau gab man allerhand Tand und Luxus mit ins Leben, – Aesthetik und Poetik und Kunstge-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/124>, abgerufen am 08.05.2024.