Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746.in den allerältesten Zeiten. neygelahrtheit gibt es endlich keine medicinischen Glau-bensartikel mehr, sondern es ist leider dahin gekommen, daß man diesen Leuten den Hippocrates und Galenus aus den Händen gerissen hat, sie befinden sich also in eben so mißlichen Umständen als ein Theologus, welchen man die Bibel, und ein Rechtsgelehrter, welchen man das Corpus Juris nehmen wollte. Sie sehen sich daher genöthiget blos ihrer eigenen Vernunft zu folgen, und sie finden nur zu ofte, daß diese eine alzugefährliche Führe- rin sey. Jndessen läßt es sich nicht ändern, sie müssen sich zum wenigsten um die theoretische Weltweisheit be- kümmern, sie müssen sich die Erfindungen der neuern Ana- tomisten und Observationen der Arzneygelehrten bekant machen, sie müssen die Mathematick studiren, um nicht nur richtig denken zu lernen, sondern auch um die Natur- lehre gründlich siudiren zu können, anderer Nebensachen zu geschweigen, die ihnen gleichfalls unentbehrlich sind. Dis alles war vormals nicht nöthig, sondern man durfte nur einen grauen Bart haben, und sich mit einer ehr- würdigen ernsthaftigen und klugen Mine neben das Bet- te des Patienten stellen, und ihn bey seiner Treue versi- chern, daß man ihm so etwas verordnet hätte, welches nothwendig helfen müste, weil es mit klaren Worten in dem griechischen Texte des Hippocratis stünde. Jch will jetzo gar nicht untersuchen, ob wir bey unserer jetzigen Weisheit glücklicher als unsere Vorfahren sind, so viel aber wird man vermuthlich einräumen, daß jetzt viel- mehr Kopfbrechens erfordert werde um ein Gelehrter zu heissen, als damals, da sich zwey Mönche drüber zankten ob es mehr als eine Welt gäbe, und der eine seinen Satz daher behauptete, daß in der Bibel stünde: Nonne decem mundi facti sunt; der andere aber antwortete: Sed ubi sunt novem. Aber wie räumt sich dieses zu dem langen Leben der Menschen? Jch sage sehr wohl. Denn wir sehen daraus, daß die Gelehrten heute zu Tage vielmehr studiren
in den alleraͤlteſten Zeiten. neygelahrtheit gibt es endlich keine mediciniſchen Glau-bensartikel mehr, ſondern es iſt leider dahin gekommen, daß man dieſen Leuten den Hippocrates und Galenus aus den Haͤnden geriſſen hat, ſie befinden ſich alſo in eben ſo mißlichen Umſtaͤnden als ein Theologus, welchen man die Bibel, und ein Rechtsgelehrter, welchen man das Corpus Juris nehmen wollte. Sie ſehen ſich daher genoͤthiget blos ihrer eigenen Vernunft zu folgen, und ſie finden nur zu ofte, daß dieſe eine alzugefaͤhrliche Fuͤhre- rin ſey. Jndeſſen laͤßt es ſich nicht aͤndern, ſie muͤſſen ſich zum wenigſten um die theoretiſche Weltweisheit be- kuͤmmern, ſie muͤſſen ſich die Erfindungen der neuern Ana- tomiſten und Obſervationen der Arzneygelehrten bekant machen, ſie muͤſſen die Mathematick ſtudiren, um nicht nur richtig denken zu lernen, ſondern auch um die Natur- lehre gruͤndlich ſiudiren zu koͤnnen, anderer Nebenſachen zu geſchweigen, die ihnen gleichfalls unentbehrlich ſind. Dis alles war vormals nicht noͤthig, ſondern man durfte nur einen grauen Bart haben, und ſich mit einer ehr- wuͤrdigen ernſthaftigen und klugen Mine neben das Bet- te des Patienten ſtellen, und ihn bey ſeiner Treue verſi- chern, daß man ihm ſo etwas verordnet haͤtte, welches nothwendig helfen muͤſte, weil es mit klaren Worten in dem griechiſchen Texte des Hippocratis ſtuͤnde. Jch will jetzo gar nicht unterſuchen, ob wir bey unſerer jetzigen Weisheit gluͤcklicher als unſere Vorfahren ſind, ſo viel aber wird man vermuthlich einraͤumen, daß jetzt viel- mehr Kopfbrechens erfordert werde um ein Gelehrter zu heiſſen, als damals, da ſich zwey Moͤnche druͤber zankten ob es mehr als eine Welt gaͤbe, und der eine ſeinen Satz daher behauptete, daß in der Bibel ſtuͤnde: Nonne decem mundi facti ſunt; der andere aber antwortete: Sed ubi ſunt novem. Aber wie raͤumt ſich dieſes zu dem langen Leben der Menſchen? Jch ſage ſehr wohl. Denn wir ſehen daraus, daß die Gelehrten heute zu Tage vielmehr ſtudiren
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in den alleraͤlteſten Zeiten.
neygelahrtheit gibt es endlich keine mediciniſchen Glau-
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daß man dieſen Leuten den Hippocrates und Galenus
aus den Haͤnden geriſſen hat, ſie befinden ſich alſo in
eben ſo mißlichen Umſtaͤnden als ein Theologus, welchen
man die Bibel, und ein Rechtsgelehrter, welchen man
das Corpus Juris nehmen wollte. Sie ſehen ſich daher
genoͤthiget blos ihrer eigenen Vernunft zu folgen, und ſie
finden nur zu ofte, daß dieſe eine alzugefaͤhrliche Fuͤhre-
rin ſey. Jndeſſen laͤßt es ſich nicht aͤndern, ſie muͤſſen
ſich zum wenigſten um die theoretiſche Weltweisheit be-
kuͤmmern, ſie muͤſſen ſich die Erfindungen der neuern Ana-
tomiſten und Obſervationen der Arzneygelehrten bekant
machen, ſie muͤſſen die Mathematick ſtudiren, um nicht
nur richtig denken zu lernen, ſondern auch um die Natur-
lehre gruͤndlich ſiudiren zu koͤnnen, anderer Nebenſachen
zu geſchweigen, die ihnen gleichfalls unentbehrlich ſind.
Dis alles war vormals nicht noͤthig, ſondern man durfte
nur einen grauen Bart haben, und ſich mit einer ehr-
wuͤrdigen ernſthaftigen und klugen Mine neben das Bet-
te des Patienten ſtellen, und ihn bey ſeiner Treue verſi-
chern, daß man ihm ſo etwas verordnet haͤtte, welches
nothwendig helfen muͤſte, weil es mit klaren Worten in
dem griechiſchen Texte des Hippocratis ſtuͤnde. Jch
will jetzo gar nicht unterſuchen, ob wir bey unſerer
jetzigen Weisheit gluͤcklicher als unſere Vorfahren ſind, ſo
viel aber wird man vermuthlich einraͤumen, daß jetzt viel-
mehr Kopfbrechens erfordert werde um ein Gelehrter zu
heiſſen, als damals, da ſich zwey Moͤnche druͤber zankten
ob es mehr als eine Welt gaͤbe, und der eine ſeinen Satz
daher behauptete, daß in der Bibel ſtuͤnde: Nonne decem
mundi facti ſunt; der andere aber antwortete: Sed ubi
ſunt novem. Aber wie raͤumt ſich dieſes zu dem langen
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