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Krüger, Elsa; Lengefeld, Selma von: Über Wahlrecht und Wahlpflicht der deutschen Frau. Weimar, 1918.

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Jn der schwersten, ernstesten und erschütterndsten Zeit, die das deutsche
Volk jemals in seiner Gesamtheit betroffen hat, - mitten in dem
Niederbruch seiner Verteidigungsmittel vor einer riesenhaften
feindlichen Übermacht, gegen die es über vier Jahre lang mit Auf-
bietung aller Kräfte standgehalten und den heimatlichen Boden von
den Schrecken des Kampfes frei gehalten hat, - mitten in der durch
den Krieg geschaffenen und ihrer Heilung harrenden großen wirtschaft-
lichen und seelischen Notlage im Jnnern des Vaterlandes und endlich
- mitten hinein in den politischen Gewissenskampf, den wir nach der
Revolution um den Neubau unseres Staatslebens miteinander aus-
zufechten haben, ist den deutschen Frauen in ihrer Gesamtheit, kraft
Verordnung der neuen Regierung, das große Recht der vollen staats-
bürgerlichen Gleichstellung neben dem Mann gegeben worden, d.h.
den Zulaß zur Ausübung des politischen allgemeinen, gleichen,
geheimen und direkten Wahlrechtes vom vollendeten 20 ten Lebens-
jahre an. Die Frauen können die Volksvertreter in die National-
versammlung des Reichs wie in diejenigen der Bundesstaaten mit wählen,
das nennt man aktives Wahlrecht, wie auch selbst als Abgeordnete
gewählt werden, das nennt man passives Wahlrecht.

Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der überwiegende Teil
der deutschen Frauen, zumal die politischen Ereignisse sich jetzt so
überstürzen, sich noch nicht annähernd der Bedeutung des zugestandenen
neuen Rechtes klar ist, ja, daß vermutlich sehr viele von ihnen über-
haupt noch nichts vom Frauenstimmrecht wissen. Sie ahnen es nicht,
welch großes politisches Machtmittel sie damit zugeteilt erhielten und
welch ungeheure Verantwortung für die Gesamtheit ihres Vaterlandes
ihnen nunmehr in Hand und Herz gegeben worden ist, ihnen als
der zahlenmäßig größeren Hälfte des deutschen Volkes. Es wird
noch einer längeren Zeitspanne und einer großen aufklärenden Arbeit
in öffentlichen Versammlungen, von Haus zu Haus, von Mund zu
Mund bedürfen, an der jeder Einzelne sich beteiligen sollte, um
dem neuen Gedanken überall Eingang zu verschaffen, auch können
wir nicht erwarten, in den wenigen Wochen, die bis zur Wahl der
Nationalversammlung noch bleiben, dies Ziel ganz zu erreichen. Aber
weil die Zeit drängt, weil augenblicklich von dieser Wahl die ganze
Zukunft unseres Vaterlandes abhängt, weil für uns dabei alles auf
dem Spiel steht, müssen wir versuchen, so gut es irgend geht, die
wahlberechtigten Frauen aufzurütteln, sie herbei zu rufen zu ihrer
Pflicht und ihnen zu helfen, in all dem neuen, was von ihnen ver-
langt wird, sich zurechtzufinden.

Die folgenden Worte sind dazu geschrieben, um die Frauen
auf ihr Wahlrecht vorzubereiten, mit der ausdrücklichen Absicht, in

Jn der schwersten, ernstesten und erschütterndsten Zeit, die das deutsche
Volk jemals in seiner Gesamtheit betroffen hat, – mitten in dem
Niederbruch seiner Verteidigungsmittel vor einer riesenhaften
feindlichen Übermacht, gegen die es über vier Jahre lang mit Auf-
bietung aller Kräfte standgehalten und den heimatlichen Boden von
den Schrecken des Kampfes frei gehalten hat, – mitten in der durch
den Krieg geschaffenen und ihrer Heilung harrenden großen wirtschaft-
lichen und seelischen Notlage im Jnnern des Vaterlandes und endlich
– mitten hinein in den politischen Gewissenskampf, den wir nach der
Revolution um den Neubau unseres Staatslebens miteinander aus-
zufechten haben, ist den deutschen Frauen in ihrer Gesamtheit, kraft
Verordnung der neuen Regierung, das große Recht der vollen staats-
bürgerlichen Gleichstellung neben dem Mann gegeben worden, d.h.
den Zulaß zur Ausübung des politischen allgemeinen, gleichen,
geheimen und direkten Wahlrechtes vom vollendeten 20 ten Lebens-
jahre an. Die Frauen können die Volksvertreter in die National-
versammlung des Reichs wie in diejenigen der Bundesstaaten mit wählen,
das nennt man aktives Wahlrecht, wie auch selbst als Abgeordnete
gewählt werden, das nennt man passives Wahlrecht.

Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der überwiegende Teil
der deutschen Frauen, zumal die politischen Ereignisse sich jetzt so
überstürzen, sich noch nicht annähernd der Bedeutung des zugestandenen
neuen Rechtes klar ist, ja, daß vermutlich sehr viele von ihnen über-
haupt noch nichts vom Frauenstimmrecht wissen. Sie ahnen es nicht,
welch großes politisches Machtmittel sie damit zugeteilt erhielten und
welch ungeheure Verantwortung für die Gesamtheit ihres Vaterlandes
ihnen nunmehr in Hand und Herz gegeben worden ist, ihnen als
der zahlenmäßig größeren Hälfte des deutschen Volkes. Es wird
noch einer längeren Zeitspanne und einer großen aufklärenden Arbeit
in öffentlichen Versammlungen, von Haus zu Haus, von Mund zu
Mund bedürfen, an der jeder Einzelne sich beteiligen sollte, um
dem neuen Gedanken überall Eingang zu verschaffen, auch können
wir nicht erwarten, in den wenigen Wochen, die bis zur Wahl der
Nationalversammlung noch bleiben, dies Ziel ganz zu erreichen. Aber
weil die Zeit drängt, weil augenblicklich von dieser Wahl die ganze
Zukunft unseres Vaterlandes abhängt, weil für uns dabei alles auf
dem Spiel steht, müssen wir versuchen, so gut es irgend geht, die
wahlberechtigten Frauen aufzurütteln, sie herbei zu rufen zu ihrer
Pflicht und ihnen zu helfen, in all dem neuen, was von ihnen ver-
langt wird, sich zurechtzufinden.

Die folgenden Worte sind dazu geschrieben, um die Frauen
auf ihr Wahlrecht vorzubereiten, mit der ausdrücklichen Absicht, in

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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-11-24T15:36:09Z)

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Zitationshilfe: Krüger, Elsa; Lengefeld, Selma von: Über Wahlrecht und Wahlpflicht der deutschen Frau. Weimar, 1918, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_wahlrecht_1918/3>, abgerufen am 24.11.2024.