Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.die Komitemitglieder sich betheiligten. Unser Nothruf hatte grossen Erfolg; Baden und Württemberg schickten viele Wagenladungen von Lebensmitteln aller Art. Im Güterschuppen der Eisenbahn wurde die Vertheilung begonnen. Aber hier nahmen die Komitemitglieder Reissaus. Es ist ja das Austheilen von Geschenken oder unentgeltlichen Wohlthaten an Arme in grösserem Maasstabe immer ein sehr undankbares Geschäft; die steigende Unerquicklichkeit desselben habe ich bei der Lebensmittelvertheilung im Herbst 1870 durchgekostet. Zweimal wöchentlich wurde je nach den Vorräthen Brod, Mehl, Fleisch, Suppeneinlagen, Hülsenfrüchte, Kartoffeln u.a. 200 bis zu 300 Familien herausgegeben. Der Empfang war bei mehreren ein sorglich dankbarer, aber welche Unzufriedenheit und Begehrlichkeit, welcher Neid und welche Zornausbrüche, welches Zanken und Schreien, ja welche Drohungen kamen da zu Tage. Ich musste schliesslich die ganze Polizey- und Gendarmerie-Mannschaft neben dem die einzelnen Lebensmittel abgebenden Bahnpersonal zu Hilfe nehmen, um die Menge in Zucht und Ordnung zu halten. Und wie war ich herzlich froh, als die Wiederaufnahme der Arbeit in den Werken und die Auftheilung der Vorräthe die Einstellung der Lebensmittelabgabe herbeiführte! Gegen das Ende dieses recht unangenehmen Geschäftes erschien der Regierungspräsident v. Pfeiffer und entbot das Verteilungskomite nebst dem Stadtrathe vor sich. Der letztere empfing eine Strafrede wegen der unpatriotischen Stimmung und Haltung eines Theils des Bevölkerung, an der der Stadtrath nicht schuld war.; das Verteilungskomite bekam Vorwürfe wegen seines Aufrufes, durch welchen die Pfalz in ein übles Licht gestellt worden sei. Im Namen des Komites wies ich die Vorwürfe zurück, schilderte die Lage, betonte die Unthätigkeit der Behörden und erklärte, die bittere Noth habe zum Handeln gezwungen, und ein anderes Mal müsste in gleicher Lage wieder ebenso gehandelt werden, wie geschehen war. Die riskierte Ungnade traf mich nicht, vielleicht weil der Präsident nicht aus eigenem Antriebe sondern auf höhere Weisung geredet hatte. die Komitemitglieder sich betheiligten. Unser Nothruf hatte grossen Erfolg; Baden und Württemberg schickten viele Wagenladungen von Lebensmitteln aller Art. Im Güterschuppen der Eisenbahn wurde die Vertheilung begonnen. Aber hier nahmen die Komitemitglieder Reissaus. Es ist ja das Austheilen von Geschenken oder unentgeltlichen Wohlthaten an Arme in grösserem Maasstabe immer ein sehr undankbares Geschäft; die steigende Unerquicklichkeit desselben habe ich bei der Lebensmittelvertheilung im Herbst 1870 durchgekostet. Zweimal wöchentlich wurde je nach den Vorräthen Brod, Mehl, Fleisch, Suppeneinlagen, Hülsenfrüchte, Kartoffeln u.a. 200 bis zu 300 Familien herausgegeben. Der Empfang war bei mehreren ein sorglich dankbarer, aber welche Unzufriedenheit und Begehrlichkeit, welcher Neid und welche Zornausbrüche, welches Zanken und Schreien, ja welche Drohungen kamen da zu Tage. Ich musste schliesslich die ganze Polizey- und Gendarmerie-Mannschaft neben dem die einzelnen Lebensmittel abgebenden Bahnpersonal zu Hilfe nehmen, um die Menge in Zucht und Ordnung zu halten. Und wie war ich herzlich froh, als die Wiederaufnahme der Arbeit in den Werken und die Auftheilung der Vorräthe die Einstellung der Lebensmittelabgabe herbeiführte! Gegen das Ende dieses recht unangenehmen Geschäftes erschien der Regierungspräsident v. Pfeiffer und entbot das Verteilungskomite nebst dem Stadtrathe vor sich. Der letztere empfing eine Strafrede wegen der unpatriotischen Stimmung und Haltung eines Theils des Bevölkerung, an der der Stadtrath nicht schuld war.; das Verteilungskomite bekam Vorwürfe wegen seines Aufrufes, durch welchen die Pfalz in ein übles Licht gestellt worden sei. Im Namen des Komites wies ich die Vorwürfe zurück, schilderte die Lage, betonte die Unthätigkeit der Behörden und erklärte, die bittere Noth habe zum Handeln gezwungen, und ein anderes Mal müsste in gleicher Lage wieder ebenso gehandelt werden, wie geschehen war. Die riskierte Ungnade traf mich nicht, vielleicht weil der Präsident nicht aus eigenem Antriebe sondern auf höhere Weisung geredet hatte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0098" n="98"/> die Komitemitglieder sich betheiligten. Unser Nothruf hatte grossen Erfolg; Baden und Württemberg schickten viele Wagenladungen von Lebensmitteln aller Art. Im Güterschuppen der Eisenbahn wurde die Vertheilung begonnen. Aber hier nahmen die Komitemitglieder Reissaus. Es ist ja das Austheilen von Geschenken oder unentgeltlichen Wohlthaten an Arme in grösserem Maasstabe immer ein sehr undankbares Geschäft; die steigende Unerquicklichkeit desselben habe ich bei der Lebensmittelvertheilung im Herbst 1870 durchgekostet. Zweimal wöchentlich wurde je nach den Vorräthen Brod, Mehl, Fleisch, Suppeneinlagen, Hülsenfrüchte, Kartoffeln u.a. 200 bis zu 300 Familien herausgegeben. Der Empfang war bei mehreren ein sorglich dankbarer, aber welche Unzufriedenheit und Begehrlichkeit, welcher Neid und welche Zornausbrüche, welches Zanken und Schreien, ja welche Drohungen kamen da zu Tage. Ich musste schliesslich die ganze Polizey- und Gendarmerie-Mannschaft neben dem die einzelnen Lebensmittel abgebenden Bahnpersonal zu Hilfe nehmen, um die Menge in Zucht und Ordnung zu halten. Und wie war ich herzlich froh, als die Wiederaufnahme der Arbeit in den Werken und die Auftheilung der Vorräthe die Einstellung der Lebensmittelabgabe herbeiführte!</p> <p>Gegen das Ende dieses recht unangenehmen Geschäftes erschien der Regierungspräsident v. Pfeiffer und entbot das Verteilungskomite nebst dem Stadtrathe vor sich. Der letztere empfing eine Strafrede wegen der unpatriotischen Stimmung und Haltung eines Theils des Bevölkerung, an der der Stadtrath nicht schuld war.; das Verteilungskomite bekam Vorwürfe wegen seines Aufrufes, durch welchen die Pfalz in ein übles Licht gestellt worden sei. Im Namen des Komites wies ich die Vorwürfe zurück, schilderte die Lage, betonte die Unthätigkeit der Behörden und erklärte, die bittere Noth habe zum Handeln gezwungen, und ein anderes Mal müsste in gleicher Lage wieder ebenso gehandelt werden, wie geschehen war. Die riskierte Ungnade traf mich nicht, vielleicht weil der Präsident nicht aus eigenem Antriebe sondern auf höhere Weisung geredet hatte.</p> </div> </body> </text> </TEI> [98/0098]
die Komitemitglieder sich betheiligten. Unser Nothruf hatte grossen Erfolg; Baden und Württemberg schickten viele Wagenladungen von Lebensmitteln aller Art. Im Güterschuppen der Eisenbahn wurde die Vertheilung begonnen. Aber hier nahmen die Komitemitglieder Reissaus. Es ist ja das Austheilen von Geschenken oder unentgeltlichen Wohlthaten an Arme in grösserem Maasstabe immer ein sehr undankbares Geschäft; die steigende Unerquicklichkeit desselben habe ich bei der Lebensmittelvertheilung im Herbst 1870 durchgekostet. Zweimal wöchentlich wurde je nach den Vorräthen Brod, Mehl, Fleisch, Suppeneinlagen, Hülsenfrüchte, Kartoffeln u.a. 200 bis zu 300 Familien herausgegeben. Der Empfang war bei mehreren ein sorglich dankbarer, aber welche Unzufriedenheit und Begehrlichkeit, welcher Neid und welche Zornausbrüche, welches Zanken und Schreien, ja welche Drohungen kamen da zu Tage. Ich musste schliesslich die ganze Polizey- und Gendarmerie-Mannschaft neben dem die einzelnen Lebensmittel abgebenden Bahnpersonal zu Hilfe nehmen, um die Menge in Zucht und Ordnung zu halten. Und wie war ich herzlich froh, als die Wiederaufnahme der Arbeit in den Werken und die Auftheilung der Vorräthe die Einstellung der Lebensmittelabgabe herbeiführte!
Gegen das Ende dieses recht unangenehmen Geschäftes erschien der Regierungspräsident v. Pfeiffer und entbot das Verteilungskomite nebst dem Stadtrathe vor sich. Der letztere empfing eine Strafrede wegen der unpatriotischen Stimmung und Haltung eines Theils des Bevölkerung, an der der Stadtrath nicht schuld war.; das Verteilungskomite bekam Vorwürfe wegen seines Aufrufes, durch welchen die Pfalz in ein übles Licht gestellt worden sei. Im Namen des Komites wies ich die Vorwürfe zurück, schilderte die Lage, betonte die Unthätigkeit der Behörden und erklärte, die bittere Noth habe zum Handeln gezwungen, und ein anderes Mal müsste in gleicher Lage wieder ebenso gehandelt werden, wie geschehen war. Die riskierte Ungnade traf mich nicht, vielleicht weil der Präsident nicht aus eigenem Antriebe sondern auf höhere Weisung geredet hatte.
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