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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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viele Sorgen, denn die Glashüttenbesitzer, auf deren Unterstützung gerechnet war, hielten sich abseits. Ich musste mit eigenem Gelde aushelfen und hatte doch wenig. So blieb die Schule ein Sorgenkind bis zu meinem Wegzuge von St. Ingbert.

Der Aufschwung der Industrie, die wachsende Seelenzahl, das Aufblühen zahlreicher Geschäfte liessen St. Ingbert sich immer mehr zu einer wirklichen Stadt umgestalten. Unter anderen städtischen Bedürfnissen machte sich auch das der Errichtung höherer Schulen geltend. Merkwürdiger Weise verlaute man nicht eine Gewerbe- oder Realschule, sondern eine Lateinschule, denn die Urtheile der auswärts befragten Kaufleute, Industriellen und Handwerker gingen dahin, dass in ihren Geschäften die Lateinschüler brauchbarer seien als die Realschüler. Die öffentliche Meinung ist heute anderer Ansicht. Was ist die Ursache? Der Betrieb der Realschulen hat sich geändert. Ist vielleicht auch der Lateinschulbetrieb ein anderer geworden? Nun, St. Ingbert bekam eine Lateinschule, die stark frequentiert wurde und noch wird; bald darauf auch eine höhere Töchterschule, die aber nicht gedieh. Für mich mehrte sich die Arbeit durch den Religionsunterricht an beiden Schulen, auch durch aushilfsweisen sonstigen Unterricht. Als später freilich einmal der Subrektor der Lateinschule wieder Aushilfe bei mir suchte, da man ihm und seinen Kollegen nicht zumuthen könne, mehr als 22 Wochenstunden zu ertheilen, musste ich ihm antworten, dass ich neben meinem Pfarramte noch 24 Wochenstunden ertheile und darum nicht weiter zu haben sei. Ich hatte nämlich neben den verschiedenen Schulunterrichts- und Konfirmandenstunden noch Privatunterricht im Hause Kraemer-Stumm, dann bei Schullehrlingen etc.

Recht viel wurde ich angesprochen, auswärts Festpredigten zu halten. Bei grösseren und kleineren Missions- und Gustav Adolf-Festen, bei Jahresfeiern von Rettungshäusern und des evang. Vereins, bei Diakonissenhausfesten und Kircheinweihungen wurde ich alle Jahre mehrmals um Predigten gebeten und kam gerne nach. Besonders die preussischen Brüder riefen mich oft und ich leistete ihnen gern Nachbarsdienst, bis sie mich einmal bei einem St. Ingberter Missionsfeste gänzlich im Stiche liessen. Daraufhin ging ich nicht mehr über die Gränze zu Festpredigten, sondern nur noch zu nachbarlicher Hilfe bei

viele Sorgen, denn die Glashüttenbesitzer, auf deren Unterstützung gerechnet war, hielten sich abseits. Ich musste mit eigenem Gelde aushelfen und hatte doch wenig. So blieb die Schule ein Sorgenkind bis zu meinem Wegzuge von St. Ingbert.

Der Aufschwung der Industrie, die wachsende Seelenzahl, das Aufblühen zahlreicher Geschäfte liessen St. Ingbert sich immer mehr zu einer wirklichen Stadt umgestalten. Unter anderen städtischen Bedürfnissen machte sich auch das der Errichtung höherer Schulen geltend. Merkwürdiger Weise verlaute man nicht eine Gewerbe- oder Realschule, sondern eine Lateinschule, denn die Urtheile der auswärts befragten Kaufleute, Industriellen und Handwerker gingen dahin, dass in ihren Geschäften die Lateinschüler brauchbarer seien als die Realschüler. Die öffentliche Meinung ist heute anderer Ansicht. Was ist die Ursache? Der Betrieb der Realschulen hat sich geändert. Ist vielleicht auch der Lateinschulbetrieb ein anderer geworden? Nun, St. Ingbert bekam eine Lateinschule, die stark frequentiert wurde und noch wird; bald darauf auch eine höhere Töchterschule, die aber nicht gedieh. Für mich mehrte sich die Arbeit durch den Religionsunterricht an beiden Schulen, auch durch aushilfsweisen sonstigen Unterricht. Als später freilich einmal der Subrektor der Lateinschule wieder Aushilfe bei mir suchte, da man ihm und seinen Kollegen nicht zumuthen könne, mehr als 22 Wochenstunden zu ertheilen, musste ich ihm antworten, dass ich neben meinem Pfarramte noch 24 Wochenstunden ertheile und darum nicht weiter zu haben sei. Ich hatte nämlich neben den verschiedenen Schulunterrichts- und Konfirmandenstunden noch Privatunterricht im Hause Kraemer-Stumm, dann bei Schullehrlingen etc.

Recht viel wurde ich angesprochen, auswärts Festpredigten zu halten. Bei grösseren und kleineren Missions- und Gustav Adolf-Festen, bei Jahresfeiern von Rettungshäusern und des evang. Vereins, bei Diakonissenhausfesten und Kircheinweihungen wurde ich alle Jahre mehrmals um Predigten gebeten und kam gerne nach. Besonders die preussischen Brüder riefen mich oft und ich leistete ihnen gern Nachbarsdienst, bis sie mich einmal bei einem St. Ingberter Missionsfeste gänzlich im Stiche liessen. Daraufhin ging ich nicht mehr über die Gränze zu Festpredigten, sondern nur noch zu nachbarlicher Hilfe bei

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        <p>Der Aufschwung der Industrie, die wachsende Seelenzahl, das Aufblühen zahlreicher Geschäfte liessen St. Ingbert sich immer mehr zu einer wirklichen Stadt umgestalten. Unter anderen städtischen Bedürfnissen machte sich auch das der Errichtung höherer Schulen geltend. Merkwürdiger Weise verlaute man nicht eine Gewerbe- oder Realschule, sondern eine Lateinschule, denn die Urtheile der auswärts befragten Kaufleute, Industriellen und Handwerker gingen dahin, dass in ihren Geschäften die Lateinschüler brauchbarer seien als die Realschüler. Die öffentliche Meinung ist heute anderer Ansicht. Was ist die Ursache? Der Betrieb der Realschulen hat sich geändert. Ist vielleicht auch der Lateinschulbetrieb ein anderer geworden? Nun, St. Ingbert bekam eine Lateinschule, die stark frequentiert wurde und noch wird; bald darauf auch eine höhere Töchterschule, die aber nicht gedieh. Für mich mehrte sich die Arbeit durch den Religionsunterricht an beiden Schulen, auch durch aushilfsweisen sonstigen Unterricht. Als später freilich einmal der Subrektor der Lateinschule wieder Aushilfe bei mir suchte, da man ihm und seinen Kollegen nicht zumuthen könne, mehr als 22 Wochenstunden zu ertheilen, musste ich ihm antworten, dass ich neben meinem Pfarramte noch 24 Wochenstunden ertheile und darum nicht weiter zu haben sei. Ich hatte nämlich neben den verschiedenen Schulunterrichts- und Konfirmandenstunden noch Privatunterricht im Hause Kraemer-Stumm, dann bei Schullehrlingen etc.</p>
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[86/0086] viele Sorgen, denn die Glashüttenbesitzer, auf deren Unterstützung gerechnet war, hielten sich abseits. Ich musste mit eigenem Gelde aushelfen und hatte doch wenig. So blieb die Schule ein Sorgenkind bis zu meinem Wegzuge von St. Ingbert. Der Aufschwung der Industrie, die wachsende Seelenzahl, das Aufblühen zahlreicher Geschäfte liessen St. Ingbert sich immer mehr zu einer wirklichen Stadt umgestalten. Unter anderen städtischen Bedürfnissen machte sich auch das der Errichtung höherer Schulen geltend. Merkwürdiger Weise verlaute man nicht eine Gewerbe- oder Realschule, sondern eine Lateinschule, denn die Urtheile der auswärts befragten Kaufleute, Industriellen und Handwerker gingen dahin, dass in ihren Geschäften die Lateinschüler brauchbarer seien als die Realschüler. Die öffentliche Meinung ist heute anderer Ansicht. Was ist die Ursache? Der Betrieb der Realschulen hat sich geändert. Ist vielleicht auch der Lateinschulbetrieb ein anderer geworden? Nun, St. Ingbert bekam eine Lateinschule, die stark frequentiert wurde und noch wird; bald darauf auch eine höhere Töchterschule, die aber nicht gedieh. Für mich mehrte sich die Arbeit durch den Religionsunterricht an beiden Schulen, auch durch aushilfsweisen sonstigen Unterricht. Als später freilich einmal der Subrektor der Lateinschule wieder Aushilfe bei mir suchte, da man ihm und seinen Kollegen nicht zumuthen könne, mehr als 22 Wochenstunden zu ertheilen, musste ich ihm antworten, dass ich neben meinem Pfarramte noch 24 Wochenstunden ertheile und darum nicht weiter zu haben sei. Ich hatte nämlich neben den verschiedenen Schulunterrichts- und Konfirmandenstunden noch Privatunterricht im Hause Kraemer-Stumm, dann bei Schullehrlingen etc. Recht viel wurde ich angesprochen, auswärts Festpredigten zu halten. Bei grösseren und kleineren Missions- und Gustav Adolf-Festen, bei Jahresfeiern von Rettungshäusern und des evang. Vereins, bei Diakonissenhausfesten und Kircheinweihungen wurde ich alle Jahre mehrmals um Predigten gebeten und kam gerne nach. Besonders die preussischen Brüder riefen mich oft und ich leistete ihnen gern Nachbarsdienst, bis sie mich einmal bei einem St. Ingberter Missionsfeste gänzlich im Stiche liessen. Daraufhin ging ich nicht mehr über die Gränze zu Festpredigten, sondern nur noch zu nachbarlicher Hilfe bei

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/86>, abgerufen am 27.04.2024.