Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.Eine gründliche Veränderung des häuslichen Lebens brachte der 31. Oktober 1861. Es erscholl Kindergeschrei! Unser Karl Gottlob verkündete sein Erscheinen. Den am Reformationstage Geborenen taufte am Tauftage Luthers (11. Nov.) der Grossvater väterlicher Seite, der Grossvater mütterlicher Seite und die Grossmutter väterlicher Seite hoben ihn aus der Taufe. Neues Leben füllte das Haus, neue dankbare Freude unsere Herzen. Unterdessen war der traurige Gesangbuchstreit in der prot. Kirche der Pfalz zum vollen Ausbruche gekommen. Er sollte mir noch manche bittere Stunde bereiten und griff auch in meine Gymnasialthätigkeit ein. Die Fehler und Mängel an Inhalt und Form des alten Gesangbuches von 1828 waren offenkundig. Das neue, hauptsächlich von Kons. Direktor Frey und Kons. Rat Ebrard ausgearbeitete war von der Generalsynode 1857 angenommen worden mit einigen gefährlichen Bestimmungen. Das Buch hatte grosse Vorzüge, bot aber auch den Gegnern verschiedene Angriffspunkte, die von den Gegnern unter rühriger und organisierter Agitation ausgenützt wurden, während die Behörden ungeschickte Fehler begingen. Der dem positiven kirchl. Bekenntnisse des Evangeliums entsprechende Inhalt war es, gegen welchen der Rationalismus und Liberalismus sich aufbäumten. Aber er stellte Vorwände in den Vordergrund, welche die Hauptsache verhüllten. Die angeblich archaische oder unästhetische Sprache mancher Lieder, die doch, wo sie wirklich im Urtext vorhanden war, Änderungen erfahren hatte. Dann die zahlreichen Jesue-Lieder, die Lieder der Böhmischen Brüder, vor allem die übergrosse Zahl der Lieder, welche das Buch allerdings unhandlich machten, endlich die Menge der Lieder, welche die Generalsynode nicht gebilligt hatte. Die Generalsynode hatte ja das Konsistorium bevollmächtigt, zu den genehmigten Liedern noch einige zu fügen, die besonders für Gustav Adolf-Feste sich eigneten oder sonst werthvoll erschienen. Diese Vollmacht war allerdings in sehr weitgehendem Masse benutzt worden. Dass man den Presbyterien vorläufig die Ingebrauchnahme des Buches in den einzelnen Gemeinden überliess, war an sich kein Fehler, aber dass darnach doch die allgemeine Einführung in den Schulen angeordnet wurde, erregte mit Recht grossen Unwillen. Einzelne Taktlosigkeiten und Missgriffe pastoralen Übereifers und behördlicher unzeitiger Schärfe kamen hinzu. Und als gar entdeckt Eine gründliche Veränderung des häuslichen Lebens brachte der 31. Oktober 1861. Es erscholl Kindergeschrei! Unser Karl Gottlob verkündete sein Erscheinen. Den am Reformationstage Geborenen taufte am Tauftage Luthers (11. Nov.) der Grossvater väterlicher Seite, der Grossvater mütterlicher Seite und die Grossmutter väterlicher Seite hoben ihn aus der Taufe. Neues Leben füllte das Haus, neue dankbare Freude unsere Herzen. Unterdessen war der traurige Gesangbuchstreit in der prot. Kirche der Pfalz zum vollen Ausbruche gekommen. Er sollte mir noch manche bittere Stunde bereiten und griff auch in meine Gymnasialthätigkeit ein. Die Fehler und Mängel an Inhalt und Form des alten Gesangbuches von 1828 waren offenkundig. Das neue, hauptsächlich von Kons. Direktor Frey und Kons. Rat Ebrard ausgearbeitete war von der Generalsynode 1857 angenommen worden mit einigen gefährlichen Bestimmungen. Das Buch hatte grosse Vorzüge, bot aber auch den Gegnern verschiedene Angriffspunkte, die von den Gegnern unter rühriger und organisierter Agitation ausgenützt wurden, während die Behörden ungeschickte Fehler begingen. Der dem positiven kirchl. Bekenntnisse des Evangeliums entsprechende Inhalt war es, gegen welchen der Rationalismus und Liberalismus sich aufbäumten. Aber er stellte Vorwände in den Vordergrund, welche die Hauptsache verhüllten. Die angeblich archaische oder unästhetische Sprache mancher Lieder, die doch, wo sie wirklich im Urtext vorhanden war, Änderungen erfahren hatte. Dann die zahlreichen Jesue-Lieder, die Lieder der Böhmischen Brüder, vor allem die übergrosse Zahl der Lieder, welche das Buch allerdings unhandlich machten, endlich die Menge der Lieder, welche die Generalsynode nicht gebilligt hatte. Die Generalsynode hatte ja das Konsistorium bevollmächtigt, zu den genehmigten Liedern noch einige zu fügen, die besonders für Gustav Adolf-Feste sich eigneten oder sonst werthvoll erschienen. Diese Vollmacht war allerdings in sehr weitgehendem Masse benutzt worden. Dass man den Presbyterien vorläufig die Ingebrauchnahme des Buches in den einzelnen Gemeinden überliess, war an sich kein Fehler, aber dass darnach doch die allgemeine Einführung in den Schulen angeordnet wurde, erregte mit Recht grossen Unwillen. Einzelne Taktlosigkeiten und Missgriffe pastoralen Übereifers und behördlicher unzeitiger Schärfe kamen hinzu. Und als gar entdeckt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0070" n="70"/> Eine gründliche Veränderung des häuslichen Lebens brachte der 31. Oktober 1861. Es erscholl Kindergeschrei! Unser Karl Gottlob verkündete sein Erscheinen. Den am Reformationstage Geborenen taufte am Tauftage Luthers (11. Nov.) der Grossvater väterlicher Seite, der Grossvater mütterlicher Seite und die Grossmutter väterlicher Seite hoben ihn aus der Taufe. Neues Leben füllte das Haus, neue dankbare Freude unsere Herzen.</p> <p>Unterdessen war der traurige Gesangbuchstreit in der prot. Kirche der Pfalz zum vollen Ausbruche gekommen. Er sollte mir noch manche bittere Stunde bereiten und griff auch in meine Gymnasialthätigkeit ein. Die Fehler und Mängel an Inhalt und Form des alten Gesangbuches von 1828 waren offenkundig. Das neue, hauptsächlich von Kons. Direktor Frey und Kons. Rat Ebrard ausgearbeitete war von der Generalsynode 1857 angenommen worden mit einigen gefährlichen Bestimmungen. Das Buch hatte grosse Vorzüge, bot aber auch den Gegnern verschiedene Angriffspunkte, die von den Gegnern unter rühriger und organisierter Agitation ausgenützt wurden, während die Behörden ungeschickte Fehler begingen. Der dem positiven kirchl. Bekenntnisse des Evangeliums entsprechende Inhalt war es, gegen welchen der Rationalismus und Liberalismus sich aufbäumten. Aber er stellte Vorwände in den Vordergrund, welche die Hauptsache verhüllten. Die angeblich archaische oder unästhetische Sprache mancher Lieder, die doch, wo sie wirklich im Urtext vorhanden war, Änderungen erfahren hatte. Dann die zahlreichen Jesue-Lieder, die Lieder der Böhmischen Brüder, vor allem die übergrosse Zahl der Lieder, welche das Buch allerdings unhandlich machten, endlich die Menge der Lieder, welche die Generalsynode nicht gebilligt hatte. Die Generalsynode hatte ja das Konsistorium bevollmächtigt, zu den genehmigten Liedern noch <hi rendition="#u">einige</hi> zu fügen, die besonders für Gustav Adolf-Feste sich eigneten oder sonst werthvoll erschienen. Diese Vollmacht war allerdings in sehr weitgehendem Masse benutzt worden. Dass man den Presbyterien vorläufig die Ingebrauchnahme des Buches in den einzelnen Gemeinden überliess, war an sich kein Fehler, aber dass darnach doch die allgemeine Einführung in den Schulen angeordnet wurde, erregte mit Recht grossen Unwillen. Einzelne Taktlosigkeiten und Missgriffe pastoralen Übereifers und behördlicher unzeitiger Schärfe kamen hinzu. Und als gar entdeckt </p> </div> </body> </text> </TEI> [70/0070]
Eine gründliche Veränderung des häuslichen Lebens brachte der 31. Oktober 1861. Es erscholl Kindergeschrei! Unser Karl Gottlob verkündete sein Erscheinen. Den am Reformationstage Geborenen taufte am Tauftage Luthers (11. Nov.) der Grossvater väterlicher Seite, der Grossvater mütterlicher Seite und die Grossmutter väterlicher Seite hoben ihn aus der Taufe. Neues Leben füllte das Haus, neue dankbare Freude unsere Herzen.
Unterdessen war der traurige Gesangbuchstreit in der prot. Kirche der Pfalz zum vollen Ausbruche gekommen. Er sollte mir noch manche bittere Stunde bereiten und griff auch in meine Gymnasialthätigkeit ein. Die Fehler und Mängel an Inhalt und Form des alten Gesangbuches von 1828 waren offenkundig. Das neue, hauptsächlich von Kons. Direktor Frey und Kons. Rat Ebrard ausgearbeitete war von der Generalsynode 1857 angenommen worden mit einigen gefährlichen Bestimmungen. Das Buch hatte grosse Vorzüge, bot aber auch den Gegnern verschiedene Angriffspunkte, die von den Gegnern unter rühriger und organisierter Agitation ausgenützt wurden, während die Behörden ungeschickte Fehler begingen. Der dem positiven kirchl. Bekenntnisse des Evangeliums entsprechende Inhalt war es, gegen welchen der Rationalismus und Liberalismus sich aufbäumten. Aber er stellte Vorwände in den Vordergrund, welche die Hauptsache verhüllten. Die angeblich archaische oder unästhetische Sprache mancher Lieder, die doch, wo sie wirklich im Urtext vorhanden war, Änderungen erfahren hatte. Dann die zahlreichen Jesue-Lieder, die Lieder der Böhmischen Brüder, vor allem die übergrosse Zahl der Lieder, welche das Buch allerdings unhandlich machten, endlich die Menge der Lieder, welche die Generalsynode nicht gebilligt hatte. Die Generalsynode hatte ja das Konsistorium bevollmächtigt, zu den genehmigten Liedern noch einige zu fügen, die besonders für Gustav Adolf-Feste sich eigneten oder sonst werthvoll erschienen. Diese Vollmacht war allerdings in sehr weitgehendem Masse benutzt worden. Dass man den Presbyterien vorläufig die Ingebrauchnahme des Buches in den einzelnen Gemeinden überliess, war an sich kein Fehler, aber dass darnach doch die allgemeine Einführung in den Schulen angeordnet wurde, erregte mit Recht grossen Unwillen. Einzelne Taktlosigkeiten und Missgriffe pastoralen Übereifers und behördlicher unzeitiger Schärfe kamen hinzu. Und als gar entdeckt
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