Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

Bild:
<< vorherige Seite

die Reformatoren vor der Reformation dahin deute, den inneren Zusammenhang der reformatorischen und der vorreformatorischen Bewegung hervorzuheben. Der herbeigerufene Dirigent, welcher offenbar das Thema formuliert hatte, liess einen Zornerguss über mich ergehen mit den 2 Pointen, dass ich nicht Deutsch verstehe und ein suffisanter Mensch sei. Ohne zu antworten setzte ich mich nieder, zückte die Feder und schrieb uno tenore 3 oder 4 Bogen voll. Als ich die Arbeit abgab, erschien der Dirigent wie gerufen noch einmal, warf einen Blick in das Manuskript und brummte, dass ich ja über das Thema etwas zu schreiben gewusst habe. Wach der Prüfung aber erfuhr ich, dass wegen meiner exegetischen Arbeit über 1 Kor. 11, 17-31 Konsistorialrat Dr. Ebrard meinen Durchfall beantragt hatte. Ich hatte in der Stelle die lutherische Abendmahlslehre begründet gefunden. Von Durchfall blieb ich jedoch ziemlich weit weg, denn ich bekam die Note II.

Sehr gemüthlich war das Zusammenleben der Kandidaten im rothen Ochsen zu Speyer, wo auch der Prüfungskommissär Moschel wohnte. Als wir eine Mysogynia II stifteten, weil wir sämtlich, wie die Kandidaten unseres Vorkurses, unverlobt waren, rückte Moschel erstaunt seine Perücke, warnte uns vor Verachtung des Ehestandes, aber auch vor dem Bach- und Landadel (d.h. vor den reichen Müllers- und Bauerntöchtern) und empfahl uns, im Stamme Levi zu bleiben mit der triftigen Begründung, wir würden unsere künftigen Töchter auch gern standesgemäss verheirathet sehen.

Aus der Prüfung zurückgekehrt fand ich den Typhus in St. Ingbert, musste in einer fast ganz aussterbenden Familie mit Pflegedienst und Nachtwache eintreten und erkrankte selbst zwar nicht sehr schwer, denn ich konnte nach 3 Wochen wieder amtieren, aber die völlige Genesung zog sich 4 Monate hinaus, vielleicht weil ich die Arbeit zu frühe wieder aufgegriffen hatte.

Aber ich hatte keine Zeit zum Kranksein. Die Schule stand ohne mich stille und mein einziger für Aushilfe zu habender Nachbar wohnte 2 Std. entfernt und hatte eine arbeitsreiche Pfarrei. Auch der Dekan konnte mir keine Stellvertretung beschaffen. Mein Dekan war anfangs Pfarrer Göppel in Homburg.

die Reformatoren vor der Reformation dahin deute, den inneren Zusammenhang der reformatorischen und der vorreformatorischen Bewegung hervorzuheben. Der herbeigerufene Dirigent, welcher offenbar das Thema formuliert hatte, liess einen Zornerguss über mich ergehen mit den 2 Pointen, dass ich nicht Deutsch verstehe und ein suffisanter Mensch sei. Ohne zu antworten setzte ich mich nieder, zückte die Feder und schrieb uno tenore 3 oder 4 Bogen voll. Als ich die Arbeit abgab, erschien der Dirigent wie gerufen noch einmal, warf einen Blick in das Manuskript und brummte, dass ich ja über das Thema etwas zu schreiben gewusst habe. Wach der Prüfung aber erfuhr ich, dass wegen meiner exegetischen Arbeit über 1 Kor. 11, 17-31 Konsistorialrat Dr. Ebrard meinen Durchfall beantragt hatte. Ich hatte in der Stelle die lutherische Abendmahlslehre begründet gefunden. Von Durchfall blieb ich jedoch ziemlich weit weg, denn ich bekam die Note II.

Sehr gemüthlich war das Zusammenleben der Kandidaten im rothen Ochsen zu Speyer, wo auch der Prüfungskommissär Moschel wohnte. Als wir eine Mysogynia II stifteten, weil wir sämtlich, wie die Kandidaten unseres Vorkurses, unverlobt waren, rückte Moschel erstaunt seine Perücke, warnte uns vor Verachtung des Ehestandes, aber auch vor dem Bach- und Landadel (d.h. vor den reichen Müllers- und Bauerntöchtern) und empfahl uns, im Stamme Levi zu bleiben mit der triftigen Begründung, wir würden unsere künftigen Töchter auch gern standesgemäss verheirathet sehen.

Aus der Prüfung zurückgekehrt fand ich den Typhus in St. Ingbert, musste in einer fast ganz aussterbenden Familie mit Pflegedienst und Nachtwache eintreten und erkrankte selbst zwar nicht sehr schwer, denn ich konnte nach 3 Wochen wieder amtieren, aber die völlige Genesung zog sich 4 Monate hinaus, vielleicht weil ich die Arbeit zu frühe wieder aufgegriffen hatte.

Aber ich hatte keine Zeit zum Kranksein. Die Schule stand ohne mich stille und mein einziger für Aushilfe zu habender Nachbar wohnte 2 Std. entfernt und hatte eine arbeitsreiche Pfarrei. Auch der Dekan konnte mir keine Stellvertretung beschaffen. Mein Dekan war anfangs Pfarrer Göppel in Homburg.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0052" n="52"/>
die Reformatoren vor der Reformation dahin deute, den inneren Zusammenhang der reformatorischen und der vorreformatorischen Bewegung hervorzuheben. Der herbeigerufene Dirigent, welcher offenbar das Thema formuliert hatte, liess einen Zornerguss über mich ergehen mit den 2 Pointen, dass ich nicht Deutsch verstehe und ein suffisanter Mensch sei. Ohne zu antworten setzte ich mich nieder, zückte die Feder und schrieb uno tenore 3 oder 4 Bogen voll. Als ich die Arbeit abgab, erschien der Dirigent wie gerufen noch einmal, warf einen Blick in das Manuskript und brummte, dass ich ja über das Thema etwas zu schreiben gewusst habe. Wach der Prüfung aber erfuhr ich, dass wegen meiner exegetischen Arbeit über 1 Kor. 11, 17-31 Konsistorialrat Dr. Ebrard meinen Durchfall beantragt hatte. Ich hatte in der Stelle die lutherische Abendmahlslehre begründet gefunden. Von Durchfall blieb ich jedoch ziemlich weit weg, denn ich bekam die Note II.</p>
        <p>Sehr gemüthlich war das Zusammenleben der Kandidaten im rothen Ochsen zu Speyer, wo auch der Prüfungskommissär Moschel wohnte. Als wir eine Mysogynia II stifteten, weil wir sämtlich, wie die Kandidaten unseres Vorkurses, unverlobt waren, rückte Moschel erstaunt seine Perücke, warnte uns vor Verachtung des Ehestandes, aber auch vor dem Bach- und Landadel (d.h. vor den reichen Müllers- und Bauerntöchtern) und empfahl uns, im Stamme Levi zu bleiben mit der triftigen Begründung, wir würden unsere künftigen Töchter auch gern standesgemäss verheirathet sehen.</p>
        <p>Aus der Prüfung zurückgekehrt fand ich den Typhus in St. Ingbert, musste in einer fast ganz aussterbenden Familie mit Pflegedienst und Nachtwache eintreten und erkrankte selbst zwar nicht sehr schwer, denn ich konnte nach 3 Wochen wieder amtieren, aber die völlige Genesung zog sich 4 Monate hinaus, vielleicht weil ich die Arbeit zu frühe wieder aufgegriffen hatte.</p>
        <p>Aber ich hatte keine Zeit zum Kranksein. Die Schule stand ohne mich stille und mein einziger für Aushilfe zu habender Nachbar wohnte 2 Std. entfernt und hatte eine arbeitsreiche Pfarrei. Auch der Dekan konnte mir keine Stellvertretung beschaffen. Mein Dekan war anfangs Pfarrer Göppel in Homburg.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0052] die Reformatoren vor der Reformation dahin deute, den inneren Zusammenhang der reformatorischen und der vorreformatorischen Bewegung hervorzuheben. Der herbeigerufene Dirigent, welcher offenbar das Thema formuliert hatte, liess einen Zornerguss über mich ergehen mit den 2 Pointen, dass ich nicht Deutsch verstehe und ein suffisanter Mensch sei. Ohne zu antworten setzte ich mich nieder, zückte die Feder und schrieb uno tenore 3 oder 4 Bogen voll. Als ich die Arbeit abgab, erschien der Dirigent wie gerufen noch einmal, warf einen Blick in das Manuskript und brummte, dass ich ja über das Thema etwas zu schreiben gewusst habe. Wach der Prüfung aber erfuhr ich, dass wegen meiner exegetischen Arbeit über 1 Kor. 11, 17-31 Konsistorialrat Dr. Ebrard meinen Durchfall beantragt hatte. Ich hatte in der Stelle die lutherische Abendmahlslehre begründet gefunden. Von Durchfall blieb ich jedoch ziemlich weit weg, denn ich bekam die Note II. Sehr gemüthlich war das Zusammenleben der Kandidaten im rothen Ochsen zu Speyer, wo auch der Prüfungskommissär Moschel wohnte. Als wir eine Mysogynia II stifteten, weil wir sämtlich, wie die Kandidaten unseres Vorkurses, unverlobt waren, rückte Moschel erstaunt seine Perücke, warnte uns vor Verachtung des Ehestandes, aber auch vor dem Bach- und Landadel (d.h. vor den reichen Müllers- und Bauerntöchtern) und empfahl uns, im Stamme Levi zu bleiben mit der triftigen Begründung, wir würden unsere künftigen Töchter auch gern standesgemäss verheirathet sehen. Aus der Prüfung zurückgekehrt fand ich den Typhus in St. Ingbert, musste in einer fast ganz aussterbenden Familie mit Pflegedienst und Nachtwache eintreten und erkrankte selbst zwar nicht sehr schwer, denn ich konnte nach 3 Wochen wieder amtieren, aber die völlige Genesung zog sich 4 Monate hinaus, vielleicht weil ich die Arbeit zu frühe wieder aufgegriffen hatte. Aber ich hatte keine Zeit zum Kranksein. Die Schule stand ohne mich stille und mein einziger für Aushilfe zu habender Nachbar wohnte 2 Std. entfernt und hatte eine arbeitsreiche Pfarrei. Auch der Dekan konnte mir keine Stellvertretung beschaffen. Mein Dekan war anfangs Pfarrer Göppel in Homburg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-14T12:32:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-14T12:32:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-14T12:32:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Die handschriftlichen Korrekturen in der Vorlage werden stillschweigend eingearbeitet, offensichtliche Verschreibungen ohne Kennzeichnung korrigiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/52
Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/52>, abgerufen am 28.04.2024.