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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Karoline, angethan mit einer durchbrochenen Haube an
welcher breite Bänder von zarter Lilafarbe prangten, und
einer sauber geplätteten, gestreiften Schürze, auf deren
Nettigkeit die Lebensgefährtin des Drechslermeisters sehr viel
gab. Das bereits graue Haar war in der Mitte gescheitelt
und zog sich wellenförmig bis hinter die Schläfe, so daß
das milde Gesicht dem einer ehrsamen Matrone glich, die ge¬
wohnt ist, auch noch im Alter den besten Eindruck zu machen.
Die Stricknadeln klapperten eifrig und nur hin und wieder
ruhten die Hände im Schoß. Dann erhob der Kopf sich die
Brille wurde fester gedrückt und die Frage erschallte:

"Kommst Du bald herunter, Vater?" Sie sagte zu ihrem
Manne nur noch "Vater", seitdem der Großpapa für den
"Alten" galt. Neben ihr in seinen ausgedienten schwarz¬
ledernen Lehnstuhl versunken, den man seinetwegen jeden Tag
in's Freie transportirte, saß der dreiundachtzigjährige Greis,
theilnahmslos und schweigsam wie immer, aber lauschend auf
jedes Wort und Geräusch und nur zum Reden aufgelegt,
wenn die Nothwendigkeit ihn dazu zwang.

Regelmäßig des Donnerstags gesellte sich auch noch
Thomas Beyer zu der Familie. Seit vielen Jahren bereits
mußte der älteste Geselle an einem Tage in der Woche sein
Abendbrod bei dem Meister einnehmen. Es war das eine
schöne Sitte aus jener Zeit, wo der Geselle noch Kost und
Wohnung im Hause des Arbeitgebers fand und dadurch zur
Familie mitgezählt wurde.

Oftmals auch wurde der kleine Kreis durch Krusemeyer
vermehrt, der, bevor er seinen Dienst antrat, auf ein Viertel¬
stündchen mit heran kam. Es muß hier gleich bemerkt werden,
daß der würdige Beamte seit beinahe zwanzig Jahren zu

Karoline, angethan mit einer durchbrochenen Haube an
welcher breite Bänder von zarter Lilafarbe prangten, und
einer ſauber geplätteten, geſtreiften Schürze, auf deren
Nettigkeit die Lebensgefährtin des Drechslermeiſters ſehr viel
gab. Das bereits graue Haar war in der Mitte geſcheitelt
und zog ſich wellenförmig bis hinter die Schläfe, ſo daß
das milde Geſicht dem einer ehrſamen Matrone glich, die ge¬
wohnt iſt, auch noch im Alter den beſten Eindruck zu machen.
Die Stricknadeln klapperten eifrig und nur hin und wieder
ruhten die Hände im Schoß. Dann erhob der Kopf ſich die
Brille wurde feſter gedrückt und die Frage erſchallte:

„Kommſt Du bald herunter, Vater?“ Sie ſagte zu ihrem
Manne nur noch „Vater“, ſeitdem der Großpapa für den
„Alten“ galt. Neben ihr in ſeinen ausgedienten ſchwarz¬
ledernen Lehnſtuhl verſunken, den man ſeinetwegen jeden Tag
in's Freie transportirte, ſaß der dreiundachtzigjährige Greis,
theilnahmslos und ſchweigſam wie immer, aber lauſchend auf
jedes Wort und Geräuſch und nur zum Reden aufgelegt,
wenn die Nothwendigkeit ihn dazu zwang.

Regelmäßig des Donnerſtags geſellte ſich auch noch
Thomas Beyer zu der Familie. Seit vielen Jahren bereits
mußte der älteſte Geſelle an einem Tage in der Woche ſein
Abendbrod bei dem Meiſter einnehmen. Es war das eine
ſchöne Sitte aus jener Zeit, wo der Geſelle noch Koſt und
Wohnung im Hauſe des Arbeitgebers fand und dadurch zur
Familie mitgezählt wurde.

Oftmals auch wurde der kleine Kreis durch Kruſemeyer
vermehrt, der, bevor er ſeinen Dienſt antrat, auf ein Viertel¬
ſtündchen mit heran kam. Es muß hier gleich bemerkt werden,
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[74/0086] Karoline, angethan mit einer durchbrochenen Haube an welcher breite Bänder von zarter Lilafarbe prangten, und einer ſauber geplätteten, geſtreiften Schürze, auf deren Nettigkeit die Lebensgefährtin des Drechslermeiſters ſehr viel gab. Das bereits graue Haar war in der Mitte geſcheitelt und zog ſich wellenförmig bis hinter die Schläfe, ſo daß das milde Geſicht dem einer ehrſamen Matrone glich, die ge¬ wohnt iſt, auch noch im Alter den beſten Eindruck zu machen. Die Stricknadeln klapperten eifrig und nur hin und wieder ruhten die Hände im Schoß. Dann erhob der Kopf ſich die Brille wurde feſter gedrückt und die Frage erſchallte: „Kommſt Du bald herunter, Vater?“ Sie ſagte zu ihrem Manne nur noch „Vater“, ſeitdem der Großpapa für den „Alten“ galt. Neben ihr in ſeinen ausgedienten ſchwarz¬ ledernen Lehnſtuhl verſunken, den man ſeinetwegen jeden Tag in's Freie transportirte, ſaß der dreiundachtzigjährige Greis, theilnahmslos und ſchweigſam wie immer, aber lauſchend auf jedes Wort und Geräuſch und nur zum Reden aufgelegt, wenn die Nothwendigkeit ihn dazu zwang. Regelmäßig des Donnerſtags geſellte ſich auch noch Thomas Beyer zu der Familie. Seit vielen Jahren bereits mußte der älteſte Geſelle an einem Tage in der Woche ſein Abendbrod bei dem Meiſter einnehmen. Es war das eine ſchöne Sitte aus jener Zeit, wo der Geſelle noch Koſt und Wohnung im Hauſe des Arbeitgebers fand und dadurch zur Familie mitgezählt wurde. Oftmals auch wurde der kleine Kreis durch Kruſemeyer vermehrt, der, bevor er ſeinen Dienſt antrat, auf ein Viertel¬ ſtündchen mit heran kam. Es muß hier gleich bemerkt werden, daß der würdige Beamte ſeit beinahe zwanzig Jahren zu

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/86>, abgerufen am 22.11.2024.