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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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ausgingen, zuzuschauen. Das Schnurren der Drehbänke und
das Sprühen der Schnitzel übten einen großen Reiz auf sie aus.

Mit der Zeit waren sie mit Franz so vertraut geworden, daß
er sich nicht scheute, den Zaun zu überklettern, um sich nach
Herzenslust mit den Mädchen in dem großen Garten zu tummeln.
Dabei blieb es jedoch nicht. Sein Hang zu allerlei üblen
Streichen trieb ihn öfters dazu, in der Dämmerung auf eigene
Faust dem Nachbargrundstücke Besuche abzustatten, um die
Obstbäume zu plündern.

Als er eines Abends dabei gesehen worden war, hatte es
eine Auseinandersetzung zwischen der Wittwe und Johannes
Timpe gegeben. Der Drechslermeister war sehr betrübt über
die Diebereien seines einzigen Kindes und versprach der Wittwe,
den Knaben zu züchtigen und Sorge dafür zu tragen, daß
man ihr zu weiteren Klagen keine Veranlassung geben würde.
Johannes Timpe hätte vielleicht die versprochene Züchtigung,
zum ersten Male in seinem Leben, energisch vorgenommen, wenn
er nicht bemerkt haben würde, wie sein Vater bereits auf den
Moment wartete, wo das Geheul des Jungen ihm endlich
den Beweis für die Umsetzung seiner Lehre von der Zucht¬
ruthe ins Praktische geben werde. Er unterließ also die
Züchtigung und beschränkte sich auf einen Verweis, der be¬
schämend auf seinen Sprößling wirken sollte. Seine über¬
große Gutmüthigkeit aber that nicht die geringste Wirkung;
denn nach acht Tagen hatte Franz die gute Lehre vergessen.
Er ließ sich abermals auf frischer That im Nachbargarten
ertappen. Diesmal schlug die Wittwe einen anderen
Weg ein.

Eines Tages wurden Fuhren neuer Steine hinter dem
kleinen Zaune abgeladen; Arbeiter mit ihren Geräthschaften

ausgingen, zuzuſchauen. Das Schnurren der Drehbänke und
das Sprühen der Schnitzel übten einen großen Reiz auf ſie aus.

Mit der Zeit waren ſie mit Franz ſo vertraut geworden, daß
er ſich nicht ſcheute, den Zaun zu überklettern, um ſich nach
Herzensluſt mit den Mädchen in dem großen Garten zu tummeln.
Dabei blieb es jedoch nicht. Sein Hang zu allerlei üblen
Streichen trieb ihn öfters dazu, in der Dämmerung auf eigene
Fauſt dem Nachbargrundſtücke Beſuche abzuſtatten, um die
Obſtbäume zu plündern.

Als er eines Abends dabei geſehen worden war, hatte es
eine Auseinanderſetzung zwiſchen der Wittwe und Johannes
Timpe gegeben. Der Drechslermeiſter war ſehr betrübt über
die Diebereien ſeines einzigen Kindes und verſprach der Wittwe,
den Knaben zu züchtigen und Sorge dafür zu tragen, daß
man ihr zu weiteren Klagen keine Veranlaſſung geben würde.
Johannes Timpe hätte vielleicht die verſprochene Züchtigung,
zum erſten Male in ſeinem Leben, energiſch vorgenommen, wenn
er nicht bemerkt haben würde, wie ſein Vater bereits auf den
Moment wartete, wo das Geheul des Jungen ihm endlich
den Beweis für die Umſetzung ſeiner Lehre von der Zucht¬
ruthe ins Praktiſche geben werde. Er unterließ alſo die
Züchtigung und beſchränkte ſich auf einen Verweis, der be¬
ſchämend auf ſeinen Sprößling wirken ſollte. Seine über¬
große Gutmüthigkeit aber that nicht die geringſte Wirkung;
denn nach acht Tagen hatte Franz die gute Lehre vergeſſen.
Er ließ ſich abermals auf friſcher That im Nachbargarten
ertappen. Diesmal ſchlug die Wittwe einen anderen
Weg ein.

Eines Tages wurden Fuhren neuer Steine hinter dem
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[23/0035] ausgingen, zuzuſchauen. Das Schnurren der Drehbänke und das Sprühen der Schnitzel übten einen großen Reiz auf ſie aus. Mit der Zeit waren ſie mit Franz ſo vertraut geworden, daß er ſich nicht ſcheute, den Zaun zu überklettern, um ſich nach Herzensluſt mit den Mädchen in dem großen Garten zu tummeln. Dabei blieb es jedoch nicht. Sein Hang zu allerlei üblen Streichen trieb ihn öfters dazu, in der Dämmerung auf eigene Fauſt dem Nachbargrundſtücke Beſuche abzuſtatten, um die Obſtbäume zu plündern. Als er eines Abends dabei geſehen worden war, hatte es eine Auseinanderſetzung zwiſchen der Wittwe und Johannes Timpe gegeben. Der Drechslermeiſter war ſehr betrübt über die Diebereien ſeines einzigen Kindes und verſprach der Wittwe, den Knaben zu züchtigen und Sorge dafür zu tragen, daß man ihr zu weiteren Klagen keine Veranlaſſung geben würde. Johannes Timpe hätte vielleicht die verſprochene Züchtigung, zum erſten Male in ſeinem Leben, energiſch vorgenommen, wenn er nicht bemerkt haben würde, wie ſein Vater bereits auf den Moment wartete, wo das Geheul des Jungen ihm endlich den Beweis für die Umſetzung ſeiner Lehre von der Zucht¬ ruthe ins Praktiſche geben werde. Er unterließ alſo die Züchtigung und beſchränkte ſich auf einen Verweis, der be¬ ſchämend auf ſeinen Sprößling wirken ſollte. Seine über¬ große Gutmüthigkeit aber that nicht die geringſte Wirkung; denn nach acht Tagen hatte Franz die gute Lehre vergeſſen. Er ließ ſich abermals auf friſcher That im Nachbargarten ertappen. Diesmal ſchlug die Wittwe einen anderen Weg ein. Eines Tages wurden Fuhren neuer Steine hinter dem kleinen Zaune abgeladen; Arbeiter mit ihren Geräthſchaften

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/35>, abgerufen am 25.04.2024.