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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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ließ ein Testament aufsetzen, in dem er seine ganzen Hab¬
seligkeiten Thomas Beyer und dessen Schwester vermachte.
Als diese Angelegenheit erledigt war, besuchte er den
Kirchhof, wo seine Lieben den ewigen Schlaf schliefen.
Lange verweilte er an den Gräbern, und die Dämmerung brach
bereits über Berlin herein, als er aufbrach. Es war die
letzte Nacht, die er in seinem Heim zubringen durfte. Am
anderen Tage würde der Gerichtsvollzieher kommen, Wagen
würden vorfahren, fremde Leute in die liebgewordenen Räume
dringen und rohe Fäuste die Heiligthümer entweihen. Kein
böser Gedanke trübte seine Seele, aber er hatte sich vor¬
genommen, nur der Gewalt zu weichen. Und wenn man ihn
in tausend Stücke risse, er wollte nicht gutwillig diese Scholle
verlassen, an der das Herzblut seines Lebens klebte. Ueber¬
dies, sollte er nicht in zwei Tagen auf die Anklagebank kom¬
men, um gebrandmarkt für ewige Zeiten zu werden?

Mitten in der Nacht begann er plötzlich eine unheimliche
Thätigkeit zu entfalten. Er verrammelte sämmtliche Thüren,
schleppte mit übermenschlichen Kräften schwere Gegenstände
an die Fenster und auf den Flur. Dann befestigte er auch
die Laden zur Werkstatt, die seit undenklichen Zeiten nicht
geschlossen wurden; und als die Kraft ihn zu verlassen drohte,
griff er zum Schnaps und versuchte sich Muth für die letzte
That seines Lebens zu geben. Als er alles genügend ver¬
barrikadirt glaubte, ging er durch die noch offene Hofthür
zum Gärtchen hinaus und schritt von hier aus mit der
Lampe in der Hand in den Keller hinunter. Er hatte vor
Jahren dem Gewölbe ein wohnliches Aussehen gegeben, als
er auf die Idee gekommen war, es zur Schlafstube für die
Lehrlinge zu verwenden. Es war ein weißgetünchter Raum,

Kretzer, Meister Timpe. 21

ließ ein Teſtament aufſetzen, in dem er ſeine ganzen Hab¬
ſeligkeiten Thomas Beyer und deſſen Schweſter vermachte.
Als dieſe Angelegenheit erledigt war, beſuchte er den
Kirchhof, wo ſeine Lieben den ewigen Schlaf ſchliefen.
Lange verweilte er an den Gräbern, und die Dämmerung brach
bereits über Berlin herein, als er aufbrach. Es war die
letzte Nacht, die er in ſeinem Heim zubringen durfte. Am
anderen Tage würde der Gerichtsvollzieher kommen, Wagen
würden vorfahren, fremde Leute in die liebgewordenen Räume
dringen und rohe Fäuſte die Heiligthümer entweihen. Kein
böſer Gedanke trübte ſeine Seele, aber er hatte ſich vor¬
genommen, nur der Gewalt zu weichen. Und wenn man ihn
in tauſend Stücke riſſe, er wollte nicht gutwillig dieſe Scholle
verlaſſen, an der das Herzblut ſeines Lebens klebte. Ueber¬
dies, ſollte er nicht in zwei Tagen auf die Anklagebank kom¬
men, um gebrandmarkt für ewige Zeiten zu werden?

Mitten in der Nacht begann er plötzlich eine unheimliche
Thätigkeit zu entfalten. Er verrammelte ſämmtliche Thüren,
ſchleppte mit übermenſchlichen Kräften ſchwere Gegenſtände
an die Fenſter und auf den Flur. Dann befeſtigte er auch
die Laden zur Werkſtatt, die ſeit undenklichen Zeiten nicht
geſchloſſen wurden; und als die Kraft ihn zu verlaſſen drohte,
griff er zum Schnaps und verſuchte ſich Muth für die letzte
That ſeines Lebens zu geben. Als er alles genügend ver¬
barrikadirt glaubte, ging er durch die noch offene Hofthür
zum Gärtchen hinaus und ſchritt von hier aus mit der
Lampe in der Hand in den Keller hinunter. Er hatte vor
Jahren dem Gewölbe ein wohnliches Ausſehen gegeben, als
er auf die Idee gekommen war, es zur Schlafſtube für die
Lehrlinge zu verwenden. Es war ein weißgetünchter Raum,

Kretzer, Meiſter Timpe. 21
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[321/0333] ließ ein Teſtament aufſetzen, in dem er ſeine ganzen Hab¬ ſeligkeiten Thomas Beyer und deſſen Schweſter vermachte. Als dieſe Angelegenheit erledigt war, beſuchte er den Kirchhof, wo ſeine Lieben den ewigen Schlaf ſchliefen. Lange verweilte er an den Gräbern, und die Dämmerung brach bereits über Berlin herein, als er aufbrach. Es war die letzte Nacht, die er in ſeinem Heim zubringen durfte. Am anderen Tage würde der Gerichtsvollzieher kommen, Wagen würden vorfahren, fremde Leute in die liebgewordenen Räume dringen und rohe Fäuſte die Heiligthümer entweihen. Kein böſer Gedanke trübte ſeine Seele, aber er hatte ſich vor¬ genommen, nur der Gewalt zu weichen. Und wenn man ihn in tauſend Stücke riſſe, er wollte nicht gutwillig dieſe Scholle verlaſſen, an der das Herzblut ſeines Lebens klebte. Ueber¬ dies, ſollte er nicht in zwei Tagen auf die Anklagebank kom¬ men, um gebrandmarkt für ewige Zeiten zu werden? Mitten in der Nacht begann er plötzlich eine unheimliche Thätigkeit zu entfalten. Er verrammelte ſämmtliche Thüren, ſchleppte mit übermenſchlichen Kräften ſchwere Gegenſtände an die Fenſter und auf den Flur. Dann befeſtigte er auch die Laden zur Werkſtatt, die ſeit undenklichen Zeiten nicht geſchloſſen wurden; und als die Kraft ihn zu verlaſſen drohte, griff er zum Schnaps und verſuchte ſich Muth für die letzte That ſeines Lebens zu geben. Als er alles genügend ver¬ barrikadirt glaubte, ging er durch die noch offene Hofthür zum Gärtchen hinaus und ſchritt von hier aus mit der Lampe in der Hand in den Keller hinunter. Er hatte vor Jahren dem Gewölbe ein wohnliches Ausſehen gegeben, als er auf die Idee gekommen war, es zur Schlafſtube für die Lehrlinge zu verwenden. Es war ein weißgetünchter Raum, Kretzer, Meiſter Timpe. 21

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/333>, abgerufen am 22.11.2024.