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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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hereintraten Spiller, gen. Spillrich, der kleine Sachse, und
Fritz Wiesel. Sie waren im schwarzen Sonntagsstaat und
traten, den Cylinderhut in der einen und einen großen Kranz
in der anderen Hand haltend, zögernd näher. Das war eine
Ueberraschung, die Thomas Beyer dem Meister zugedacht
hatte. Es gab doch Menschen in der Welt, die seiner noch
gedachten und ihre Anhänglichkeit bewiesen. Der Sargdeckel
wurde noch einmal heruntergenommen und die beiden Ge¬
sellen durften einen letzten Blick auf das Antlitz der ver¬
storbenen Meisterin thun. Der Sachse konnte nicht an sich
halten, seine Augen wurden naß. Und das zog auch das
Gefühl des lustigen Berliners in Mitleidenschaft. Sie
brachten dann stammelnd und äußerst unbeholfen ein Paar
an Timpe gerichtete Trostworte hervor. Er saß in der
Nähe des Fensters, dessen untere Flügel der Leiche wegen
geöffnet waren. Draußen fiel der Schnee dicht wie die
Daunen eines ausgeschütteten Riesenbettes zur Erde. Einige
Flocken flogen ins Zimmer hinein und näßten des Meisters
Gesicht. Ihm that das wohl, denn sein Kopf war heiß, wie
in Fiebergluth. Nun erhob er sich und drückte seinen früheren
Gehilfen warm die Hände. Nur schwer rangen die Worte
sich über seine Lippen.

"Der Großvater hat ihr keine Ruhe gelassen .. er hat
sie geholt. .."

Er konnte nicht weiter sprechen. Er trat noch einmal
an die Todte heran und legte die flache Hand auf ihre Stirn,
um sie zum letzten Male zu liebkosen.

"Schlaf wohl, Alte, grüße die Kinder und den Vater
... es giebt ein Wiedersehen, dort oben", sagte er leise.
Und nun fand er die Thränen, nach denen er so lange ver¬

hereintraten Spiller, gen. Spillrich, der kleine Sachſe, und
Fritz Wieſel. Sie waren im ſchwarzen Sonntagsſtaat und
traten, den Cylinderhut in der einen und einen großen Kranz
in der anderen Hand haltend, zögernd näher. Das war eine
Ueberraſchung, die Thomas Beyer dem Meiſter zugedacht
hatte. Es gab doch Menſchen in der Welt, die ſeiner noch
gedachten und ihre Anhänglichkeit bewieſen. Der Sargdeckel
wurde noch einmal heruntergenommen und die beiden Ge¬
ſellen durften einen letzten Blick auf das Antlitz der ver¬
ſtorbenen Meiſterin thun. Der Sachſe konnte nicht an ſich
halten, ſeine Augen wurden naß. Und das zog auch das
Gefühl des luſtigen Berliners in Mitleidenſchaft. Sie
brachten dann ſtammelnd und äußerſt unbeholfen ein Paar
an Timpe gerichtete Troſtworte hervor. Er ſaß in der
Nähe des Fenſters, deſſen untere Flügel der Leiche wegen
geöffnet waren. Draußen fiel der Schnee dicht wie die
Daunen eines ausgeſchütteten Rieſenbettes zur Erde. Einige
Flocken flogen ins Zimmer hinein und näßten des Meiſters
Geſicht. Ihm that das wohl, denn ſein Kopf war heiß, wie
in Fiebergluth. Nun erhob er ſich und drückte ſeinen früheren
Gehilfen warm die Hände. Nur ſchwer rangen die Worte
ſich über ſeine Lippen.

„Der Großvater hat ihr keine Ruhe gelaſſen .. er hat
ſie geholt. ..“

Er konnte nicht weiter ſprechen. Er trat noch einmal
an die Todte heran und legte die flache Hand auf ihre Stirn,
um ſie zum letzten Male zu liebkoſen.

„Schlaf wohl, Alte, grüße die Kinder und den Vater
... es giebt ein Wiederſehen, dort oben“, ſagte er leiſe.
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[250/0262] hereintraten Spiller, gen. Spillrich, der kleine Sachſe, und Fritz Wieſel. Sie waren im ſchwarzen Sonntagsſtaat und traten, den Cylinderhut in der einen und einen großen Kranz in der anderen Hand haltend, zögernd näher. Das war eine Ueberraſchung, die Thomas Beyer dem Meiſter zugedacht hatte. Es gab doch Menſchen in der Welt, die ſeiner noch gedachten und ihre Anhänglichkeit bewieſen. Der Sargdeckel wurde noch einmal heruntergenommen und die beiden Ge¬ ſellen durften einen letzten Blick auf das Antlitz der ver¬ ſtorbenen Meiſterin thun. Der Sachſe konnte nicht an ſich halten, ſeine Augen wurden naß. Und das zog auch das Gefühl des luſtigen Berliners in Mitleidenſchaft. Sie brachten dann ſtammelnd und äußerſt unbeholfen ein Paar an Timpe gerichtete Troſtworte hervor. Er ſaß in der Nähe des Fenſters, deſſen untere Flügel der Leiche wegen geöffnet waren. Draußen fiel der Schnee dicht wie die Daunen eines ausgeſchütteten Rieſenbettes zur Erde. Einige Flocken flogen ins Zimmer hinein und näßten des Meiſters Geſicht. Ihm that das wohl, denn ſein Kopf war heiß, wie in Fiebergluth. Nun erhob er ſich und drückte ſeinen früheren Gehilfen warm die Hände. Nur ſchwer rangen die Worte ſich über ſeine Lippen. „Der Großvater hat ihr keine Ruhe gelaſſen .. er hat ſie geholt. ..“ Er konnte nicht weiter ſprechen. Er trat noch einmal an die Todte heran und legte die flache Hand auf ihre Stirn, um ſie zum letzten Male zu liebkoſen. „Schlaf wohl, Alte, grüße die Kinder und den Vater ... es giebt ein Wiederſehen, dort oben“, ſagte er leiſe. Und nun fand er die Thränen, nach denen er ſo lange ver¬

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/262>, abgerufen am 19.05.2024.