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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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an die gute, alte Zeit, wo der Handwerker noch nicht nöthig
hatte, den Krämer zu spielen und von Thür zu Thür zu
gehen, um zu feilschen und zu betteln.

Wenn er dann so mit seinem Packet unter dem Arm,
den grauen Cylinderhut auf dem Kopf, und mit einem etwas
altfränkischen, braunen Gehrock angethan, durch die Straße
irrte, kam er sich wie Ahasverus vor, der ewig wandern muß,
ohne an sein Ziel zu gelangen. Das betäubende Getöse des
Berliner Straßenlebens, das Branden und Wogen der Menge,
in der er sich wie ein ausgedientes Wrack in einem unruhigen
Meere ausnahm, machte ihn förmlich betrunken, sodaß er
mehr taumelte als ging. Die fortdauernde Nutzlosigkeit seiner
Bemühungen wirkte schließlich so entmuthigend auf ihn ein,
daß er seiner Empfindung durch Selbstgespräche Ausdruck
verlieh.

"Pack' ein, Timpe, und lege Dich sterben, Du gehörst
nicht mehr in diese Welt," sagte er. Dann blieb er vor
einem mächtigen Schaufenster stehen und betrachtete sich kopf¬
schüttelnd in der großen Spiegelscheibe. Einmal begegnete
ihm ein alter Herr, der sich wie ein Doppelgänger von ihm
ausnahm. Er fand das so komisch, daß er lachte und der
seltsamen Gestalt nachblickte.

"Du pack' nur auch ein," murmelte er vor sich hin.
"Wie kann man in unserer aufgeklärten Zeit eine so lächer¬
liche Figur spielen. So ein alter Knopp ... sieht aus,
als wenn er bereits zwanzig Jahre im Grabe gelegen
hätte und nun damit prahlen wollte, daß er sich gut er¬
halten hat."

Als er sich aber selbst wieder im nächsten Schaufenster
erblickte, sagte er wehmüthig: "Johannes, es scheint, als

an die gute, alte Zeit, wo der Handwerker noch nicht nöthig
hatte, den Krämer zu ſpielen und von Thür zu Thür zu
gehen, um zu feilſchen und zu betteln.

Wenn er dann ſo mit ſeinem Packet unter dem Arm,
den grauen Cylinderhut auf dem Kopf, und mit einem etwas
altfränkiſchen, braunen Gehrock angethan, durch die Straße
irrte, kam er ſich wie Ahasverus vor, der ewig wandern muß,
ohne an ſein Ziel zu gelangen. Das betäubende Getöſe des
Berliner Straßenlebens, das Branden und Wogen der Menge,
in der er ſich wie ein ausgedientes Wrack in einem unruhigen
Meere ausnahm, machte ihn förmlich betrunken, ſodaß er
mehr taumelte als ging. Die fortdauernde Nutzloſigkeit ſeiner
Bemühungen wirkte ſchließlich ſo entmuthigend auf ihn ein,
daß er ſeiner Empfindung durch Selbſtgeſpräche Ausdruck
verlieh.

„Pack' ein, Timpe, und lege Dich ſterben, Du gehörſt
nicht mehr in dieſe Welt,“ ſagte er. Dann blieb er vor
einem mächtigen Schaufenſter ſtehen und betrachtete ſich kopf¬
ſchüttelnd in der großen Spiegelſcheibe. Einmal begegnete
ihm ein alter Herr, der ſich wie ein Doppelgänger von ihm
ausnahm. Er fand das ſo komiſch, daß er lachte und der
ſeltſamen Geſtalt nachblickte.

„Du pack' nur auch ein,“ murmelte er vor ſich hin.
„Wie kann man in unſerer aufgeklärten Zeit eine ſo lächer¬
liche Figur ſpielen. So ein alter Knopp ... ſieht aus,
als wenn er bereits zwanzig Jahre im Grabe gelegen
hätte und nun damit prahlen wollte, daß er ſich gut er¬
halten hat.“

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[232/0244] an die gute, alte Zeit, wo der Handwerker noch nicht nöthig hatte, den Krämer zu ſpielen und von Thür zu Thür zu gehen, um zu feilſchen und zu betteln. Wenn er dann ſo mit ſeinem Packet unter dem Arm, den grauen Cylinderhut auf dem Kopf, und mit einem etwas altfränkiſchen, braunen Gehrock angethan, durch die Straße irrte, kam er ſich wie Ahasverus vor, der ewig wandern muß, ohne an ſein Ziel zu gelangen. Das betäubende Getöſe des Berliner Straßenlebens, das Branden und Wogen der Menge, in der er ſich wie ein ausgedientes Wrack in einem unruhigen Meere ausnahm, machte ihn förmlich betrunken, ſodaß er mehr taumelte als ging. Die fortdauernde Nutzloſigkeit ſeiner Bemühungen wirkte ſchließlich ſo entmuthigend auf ihn ein, daß er ſeiner Empfindung durch Selbſtgeſpräche Ausdruck verlieh. „Pack' ein, Timpe, und lege Dich ſterben, Du gehörſt nicht mehr in dieſe Welt,“ ſagte er. Dann blieb er vor einem mächtigen Schaufenſter ſtehen und betrachtete ſich kopf¬ ſchüttelnd in der großen Spiegelſcheibe. Einmal begegnete ihm ein alter Herr, der ſich wie ein Doppelgänger von ihm ausnahm. Er fand das ſo komiſch, daß er lachte und der ſeltſamen Geſtalt nachblickte. „Du pack' nur auch ein,“ murmelte er vor ſich hin. „Wie kann man in unſerer aufgeklärten Zeit eine ſo lächer¬ liche Figur ſpielen. So ein alter Knopp ... ſieht aus, als wenn er bereits zwanzig Jahre im Grabe gelegen hätte und nun damit prahlen wollte, daß er ſich gut er¬ halten hat.“ Als er ſich aber ſelbſt wieder im nächſten Schaufenſter erblickte, ſagte er wehmüthig: „Johannes, es ſcheint, als

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/244>, abgerufen am 25.11.2024.