Last legen, wenn eins ihrer Mitglieder aus der Art ge¬ schlagen ist."
Das Ehepaar hörte ein leises Schluchzen. Als sich Beide umdrehten, sahen sie Emma, wie sie auf das Sopha niedergesunken war und die Augen mit ihrem Taschentuch bedeckt hielt. Die Meisterin eilte sofort auf sie zu, legte die Arme liebevoll um ihre Schulter und fragte:
"Was ist Ihnen, Fräulein? Sie weinen? Um Himmels willen!"
Statt der Antwort wurde das Schluchzen stärker. Die ganze Gestalt war gepackt von der Erschütterung, die über sie gekommen war. Endlich brachte sie die Worte hervor: "O, lassen Sie mich weinen, es thut mir wohl."
Auch der Meister war nun bestürzt, trat auf sie zu und sagte so freundlich, als er es in diesem Augenblick vermochte: "Fassen Sie sich, gnädiges Fräulein. Wenn ich Sie durch irgend etwas beleidigt haben sollte, so bitte ich vielmals um Entschuldigung, vielmals . . . Aber ich bitte Rücksicht auf den Vater zu nehmen, dem der Groll mit dem Herzen durch¬ geht. Nochmals: ich bitte vielmals um Verzeihung. Und wenn ich meine letzten unschicklichen Worte wieder gut machen kann, so soll es geschehen. Wohlverstanden: soweit es in meinen Kräften steht."
"Sie können es, Herr Timpe."
Sie hatte sich plötzlich erhoben, war vor ihm auf die Kniee gefallen und blickte mit von Thränen umschleierten Augen zu ihm empor. Und jedes Wort, daß sie jetzt sprach, schien zugleich mit einem Schluchzen aus der Kehle zu quellen.
"Mag Franz nicht recht an Ihnen gehandelt haben,
Laſt legen, wenn eins ihrer Mitglieder aus der Art ge¬ ſchlagen iſt.“
Das Ehepaar hörte ein leiſes Schluchzen. Als ſich Beide umdrehten, ſahen ſie Emma, wie ſie auf das Sopha niedergeſunken war und die Augen mit ihrem Taſchentuch bedeckt hielt. Die Meiſterin eilte ſofort auf ſie zu, legte die Arme liebevoll um ihre Schulter und fragte:
„Was iſt Ihnen, Fräulein? Sie weinen? Um Himmels willen!“
Statt der Antwort wurde das Schluchzen ſtärker. Die ganze Geſtalt war gepackt von der Erſchütterung, die über ſie gekommen war. Endlich brachte ſie die Worte hervor: „O, laſſen Sie mich weinen, es thut mir wohl.“
Auch der Meiſter war nun beſtürzt, trat auf ſie zu und ſagte ſo freundlich, als er es in dieſem Augenblick vermochte: „Faſſen Sie ſich, gnädiges Fräulein. Wenn ich Sie durch irgend etwas beleidigt haben ſollte, ſo bitte ich vielmals um Entſchuldigung, vielmals . . . Aber ich bitte Rückſicht auf den Vater zu nehmen, dem der Groll mit dem Herzen durch¬ geht. Nochmals: ich bitte vielmals um Verzeihung. Und wenn ich meine letzten unſchicklichen Worte wieder gut machen kann, ſo ſoll es geſchehen. Wohlverſtanden: ſoweit es in meinen Kräften ſteht.“
„Sie können es, Herr Timpe.“
Sie hatte ſich plötzlich erhoben, war vor ihm auf die Kniee gefallen und blickte mit von Thränen umſchleierten Augen zu ihm empor. Und jedes Wort, daß ſie jetzt ſprach, ſchien zugleich mit einem Schluchzen aus der Kehle zu quellen.
„Mag Franz nicht recht an Ihnen gehandelt haben,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0228"n="216"/>
Laſt legen, wenn eins ihrer Mitglieder aus der Art ge¬<lb/>ſchlagen iſt.“</p><lb/><p>Das Ehepaar hörte ein leiſes Schluchzen. Als ſich<lb/>
Beide umdrehten, ſahen ſie Emma, wie ſie auf das Sopha<lb/>
niedergeſunken war und die Augen mit ihrem Taſchentuch<lb/>
bedeckt hielt. Die Meiſterin eilte ſofort auf ſie zu, legte die<lb/>
Arme liebevoll um ihre Schulter und fragte:</p><lb/><p>„Was iſt Ihnen, Fräulein? Sie weinen? Um Himmels<lb/>
willen!“</p><lb/><p>Statt der Antwort wurde das Schluchzen ſtärker. Die<lb/>
ganze Geſtalt war gepackt von der Erſchütterung, die über ſie<lb/>
gekommen war. Endlich brachte ſie die Worte hervor: „O,<lb/>
laſſen Sie mich weinen, es thut mir wohl.“</p><lb/><p>Auch der Meiſter war nun beſtürzt, trat auf ſie zu und<lb/>ſagte ſo freundlich, als er es in dieſem Augenblick vermochte:<lb/>„Faſſen Sie ſich, gnädiges Fräulein. Wenn ich Sie durch<lb/>
irgend etwas beleidigt haben ſollte, ſo bitte ich vielmals um<lb/>
Entſchuldigung, vielmals . . . Aber ich bitte Rückſicht auf<lb/>
den Vater zu nehmen, dem der Groll mit dem Herzen durch¬<lb/>
geht. Nochmals: ich bitte vielmals um Verzeihung. Und<lb/>
wenn ich meine letzten unſchicklichen Worte wieder gut machen<lb/>
kann, ſo ſoll es geſchehen. Wohlverſtanden: ſoweit es in<lb/>
meinen Kräften ſteht.“</p><lb/><p>„Sie können es, Herr Timpe.“</p><lb/><p>Sie hatte ſich plötzlich erhoben, war vor ihm auf die<lb/>
Kniee gefallen und blickte mit von Thränen umſchleierten<lb/>
Augen zu ihm empor. Und jedes Wort, daß ſie jetzt ſprach,<lb/>ſchien zugleich mit einem Schluchzen aus der Kehle zu<lb/>
quellen.</p><lb/><p>„Mag Franz nicht recht an Ihnen gehandelt haben,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[216/0228]
Laſt legen, wenn eins ihrer Mitglieder aus der Art ge¬
ſchlagen iſt.“
Das Ehepaar hörte ein leiſes Schluchzen. Als ſich
Beide umdrehten, ſahen ſie Emma, wie ſie auf das Sopha
niedergeſunken war und die Augen mit ihrem Taſchentuch
bedeckt hielt. Die Meiſterin eilte ſofort auf ſie zu, legte die
Arme liebevoll um ihre Schulter und fragte:
„Was iſt Ihnen, Fräulein? Sie weinen? Um Himmels
willen!“
Statt der Antwort wurde das Schluchzen ſtärker. Die
ganze Geſtalt war gepackt von der Erſchütterung, die über ſie
gekommen war. Endlich brachte ſie die Worte hervor: „O,
laſſen Sie mich weinen, es thut mir wohl.“
Auch der Meiſter war nun beſtürzt, trat auf ſie zu und
ſagte ſo freundlich, als er es in dieſem Augenblick vermochte:
„Faſſen Sie ſich, gnädiges Fräulein. Wenn ich Sie durch
irgend etwas beleidigt haben ſollte, ſo bitte ich vielmals um
Entſchuldigung, vielmals . . . Aber ich bitte Rückſicht auf
den Vater zu nehmen, dem der Groll mit dem Herzen durch¬
geht. Nochmals: ich bitte vielmals um Verzeihung. Und
wenn ich meine letzten unſchicklichen Worte wieder gut machen
kann, ſo ſoll es geſchehen. Wohlverſtanden: ſoweit es in
meinen Kräften ſteht.“
„Sie können es, Herr Timpe.“
Sie hatte ſich plötzlich erhoben, war vor ihm auf die
Kniee gefallen und blickte mit von Thränen umſchleierten
Augen zu ihm empor. Und jedes Wort, daß ſie jetzt ſprach,
ſchien zugleich mit einem Schluchzen aus der Kehle zu
quellen.
„Mag Franz nicht recht an Ihnen gehandelt haben,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/228>, abgerufen am 07.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.