Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit der Mittheilung Wiesel's hatte es seine Richtigkeit
Vor einem halben Jahre hatte ein Konsortium von Speku¬
lanten Urban zu bewegen versucht, die Fabrik durch ein
Aktienkapital zu erweitern; er hatte aber dieses Ansinnen
sehr bestimmt zurückgewiesen. Sein scharfer Blick ließ ihn
nur zu sehr den Rückschlag der industriellen Gründungen vor¬
hersehen. Wolle er sein Geschäft vergrößern, hatte er ge¬
meint, so könne er es auch aus eigenen Mitteln thun. Und
um sogleich den Beweis dafür zu liefern, eröffnete er ein
Vierteljahr später eine Knopffabrik, die er bereits längst ge¬
plant hatte. Zu diesem Zwecke hatte er bereits im vergan¬
genen Jahre einen Anbau an die hintere Seite der großen
Fabrik errichten lassen; auch ein zweites Kesselhaus gehörte
dazu.

Es war ihm namentlich um die Anfertigung von Stein¬
nuß-Knöpfen zu thun. Dieselben waren von London zuerst
eingeführt worden und schnell in Mode gekommen. Der Be¬
darf für die Konfektion war ein gewaltiger.

Urban bezog die Nüsse in Massenlieferungen und brachte
die fertigen Knöpfe äußerst billig auf den Markt. Das
Plattenschneiden an der Dampfsäge war eine gefährliche Be¬
schäftigung. Gleich am ersten Tage wurden einem Arbeiter
die drei Finger der rechten Hand abgeschnitten. Die ganze
Fabrik kam zusammengelaufen und bedauerte den vor Schmerz
Heulenden. Es war ein bereits ergrauter Familienvater, den
das Unglück getroffen hatte. Der Blutverlust hatte ihn ohn¬
mächtig gemacht. In diesem Zustande trug man ihn nach
Bethanien. Urban zahlte der verzweifelten Frau den Lohn
für zwei Wochen aus und erklärte, seiner Pflicht damit ge¬
nügt zu haben. Nach seiner Meinung habe der Arbeiter

Mit der Mittheilung Wieſel's hatte es ſeine Richtigkeit
Vor einem halben Jahre hatte ein Konſortium von Speku¬
lanten Urban zu bewegen verſucht, die Fabrik durch ein
Aktienkapital zu erweitern; er hatte aber dieſes Anſinnen
ſehr beſtimmt zurückgewieſen. Sein ſcharfer Blick ließ ihn
nur zu ſehr den Rückſchlag der induſtriellen Gründungen vor¬
herſehen. Wolle er ſein Geſchäft vergrößern, hatte er ge¬
meint, ſo könne er es auch aus eigenen Mitteln thun. Und
um ſogleich den Beweis dafür zu liefern, eröffnete er ein
Vierteljahr ſpäter eine Knopffabrik, die er bereits längſt ge¬
plant hatte. Zu dieſem Zwecke hatte er bereits im vergan¬
genen Jahre einen Anbau an die hintere Seite der großen
Fabrik errichten laſſen; auch ein zweites Keſſelhaus gehörte
dazu.

Es war ihm namentlich um die Anfertigung von Stein¬
nuß-Knöpfen zu thun. Dieſelben waren von London zuerſt
eingeführt worden und ſchnell in Mode gekommen. Der Be¬
darf für die Konfektion war ein gewaltiger.

Urban bezog die Nüſſe in Maſſenlieferungen und brachte
die fertigen Knöpfe äußerſt billig auf den Markt. Das
Plattenſchneiden an der Dampfſäge war eine gefährliche Be¬
ſchäftigung. Gleich am erſten Tage wurden einem Arbeiter
die drei Finger der rechten Hand abgeſchnitten. Die ganze
Fabrik kam zuſammengelaufen und bedauerte den vor Schmerz
Heulenden. Es war ein bereits ergrauter Familienvater, den
das Unglück getroffen hatte. Der Blutverluſt hatte ihn ohn¬
mächtig gemacht. In dieſem Zuſtande trug man ihn nach
Bethanien. Urban zahlte der verzweifelten Frau den Lohn
für zwei Wochen aus und erklärte, ſeiner Pflicht damit ge¬
nügt zu haben. Nach ſeiner Meinung habe der Arbeiter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0186" n="174"/>
        <p>Mit der Mittheilung Wie&#x017F;el's hatte es &#x017F;eine Richtigkeit<lb/>
Vor einem halben Jahre hatte ein Kon&#x017F;ortium von Speku¬<lb/>
lanten Urban zu bewegen ver&#x017F;ucht, die Fabrik durch ein<lb/>
Aktienkapital zu erweitern; er hatte aber die&#x017F;es An&#x017F;innen<lb/>
&#x017F;ehr be&#x017F;timmt zurückgewie&#x017F;en. Sein &#x017F;charfer Blick ließ ihn<lb/>
nur zu &#x017F;ehr den Rück&#x017F;chlag der indu&#x017F;triellen Gründungen vor¬<lb/>
her&#x017F;ehen. Wolle er &#x017F;ein Ge&#x017F;chäft vergrößern, hatte er ge¬<lb/>
meint, &#x017F;o könne er es auch aus eigenen Mitteln thun. Und<lb/>
um &#x017F;ogleich den Beweis dafür zu liefern, eröffnete er ein<lb/>
Vierteljahr &#x017F;päter eine Knopffabrik, die er bereits läng&#x017F;t ge¬<lb/>
plant hatte. Zu die&#x017F;em Zwecke hatte er bereits im vergan¬<lb/>
genen Jahre einen Anbau an die hintere Seite der großen<lb/>
Fabrik errichten la&#x017F;&#x017F;en; auch ein zweites Ke&#x017F;&#x017F;elhaus gehörte<lb/>
dazu.</p><lb/>
        <p>Es war ihm namentlich um die Anfertigung von Stein¬<lb/>
nuß-Knöpfen zu thun. Die&#x017F;elben waren von London zuer&#x017F;t<lb/>
eingeführt worden und &#x017F;chnell in Mode gekommen. Der Be¬<lb/>
darf für die Konfektion war ein gewaltiger.</p><lb/>
        <p>Urban bezog die Nü&#x017F;&#x017F;e in Ma&#x017F;&#x017F;enlieferungen und brachte<lb/>
die fertigen Knöpfe äußer&#x017F;t billig auf den Markt. Das<lb/>
Platten&#x017F;chneiden an der Dampf&#x017F;äge war eine gefährliche Be¬<lb/>
&#x017F;chäftigung. Gleich am er&#x017F;ten Tage wurden einem Arbeiter<lb/>
die drei Finger der rechten Hand abge&#x017F;chnitten. Die ganze<lb/>
Fabrik kam zu&#x017F;ammengelaufen und bedauerte den vor Schmerz<lb/>
Heulenden. Es war ein bereits ergrauter Familienvater, den<lb/>
das Unglück getroffen hatte. Der Blutverlu&#x017F;t hatte ihn ohn¬<lb/>
mächtig gemacht. In die&#x017F;em Zu&#x017F;tande trug man ihn nach<lb/>
Bethanien. Urban zahlte der verzweifelten Frau den Lohn<lb/>
für zwei Wochen aus und erklärte, &#x017F;einer Pflicht damit ge¬<lb/>
nügt zu haben. Nach &#x017F;einer Meinung habe der Arbeiter<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0186] Mit der Mittheilung Wieſel's hatte es ſeine Richtigkeit Vor einem halben Jahre hatte ein Konſortium von Speku¬ lanten Urban zu bewegen verſucht, die Fabrik durch ein Aktienkapital zu erweitern; er hatte aber dieſes Anſinnen ſehr beſtimmt zurückgewieſen. Sein ſcharfer Blick ließ ihn nur zu ſehr den Rückſchlag der induſtriellen Gründungen vor¬ herſehen. Wolle er ſein Geſchäft vergrößern, hatte er ge¬ meint, ſo könne er es auch aus eigenen Mitteln thun. Und um ſogleich den Beweis dafür zu liefern, eröffnete er ein Vierteljahr ſpäter eine Knopffabrik, die er bereits längſt ge¬ plant hatte. Zu dieſem Zwecke hatte er bereits im vergan¬ genen Jahre einen Anbau an die hintere Seite der großen Fabrik errichten laſſen; auch ein zweites Keſſelhaus gehörte dazu. Es war ihm namentlich um die Anfertigung von Stein¬ nuß-Knöpfen zu thun. Dieſelben waren von London zuerſt eingeführt worden und ſchnell in Mode gekommen. Der Be¬ darf für die Konfektion war ein gewaltiger. Urban bezog die Nüſſe in Maſſenlieferungen und brachte die fertigen Knöpfe äußerſt billig auf den Markt. Das Plattenſchneiden an der Dampfſäge war eine gefährliche Be¬ ſchäftigung. Gleich am erſten Tage wurden einem Arbeiter die drei Finger der rechten Hand abgeſchnitten. Die ganze Fabrik kam zuſammengelaufen und bedauerte den vor Schmerz Heulenden. Es war ein bereits ergrauter Familienvater, den das Unglück getroffen hatte. Der Blutverluſt hatte ihn ohn¬ mächtig gemacht. In dieſem Zuſtande trug man ihn nach Bethanien. Urban zahlte der verzweifelten Frau den Lohn für zwei Wochen aus und erklärte, ſeiner Pflicht damit ge¬ nügt zu haben. Nach ſeiner Meinung habe der Arbeiter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/186
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/186>, abgerufen am 03.05.2024.