Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

da drüben, und da habe ich wieder einmal Recht. Wer kann
überhaupt die Dichter alle kennen! Die richten nur Unheil
an in der Welt. Sprechen von Freiheit und Menschenwürde
und hetzen die Arbeiter auf! Mir soll einer kommen! Ich
kann auch ohne sie leben."

Während er diesen Erguß zum Besten gab, ohne irgend
welche Opposition zu vernehmen, war er unwillkürlich dem
Hause seines Feindes näher gekommen, so daß die letzten
Worte immer deutlicher Timpes Ohr berührten. Plötzlich
erblickte er den Drechsler und machte erschreckt Kehrt. Der
Meister hatte schon längst von Wuth übermannt die Hand
geballt. Plötzlich rief er laut hinunter: "Trotz alledem bleiben
Sie doch ein kleiner Mann mit einem großen Mund! Sie --
mein Haus bekommen?! Sie komischer Knirps! Da müssen
Sie früher aufstehn!"

Urban's Begleiter drehte sich überrascht um. Der Fabrik¬
besitzer aber zog ihn mit sich fort und sagte: "Lassen Sie ihn
nur reden! Er ärgert sich doch!"

Seit diesem Abend war der Haß des Meisters gegen den
Nachbar zum vollen Ausbruch gekommen. Schon die Nen¬
nung des Namens Urban genügte, um ihn herbe Worte sprechen
zu lassen. Frau Karoline stellte im Geheimen ihre Be¬
trachtungen darüber an und schreckte zusammen, wenn Jo¬
hannes mit zusammengezogenen Augenbrauen in die Stube
trat. Das war das Zeichen, daß wieder etwas Aergerliches
passirt war. Gewöhnlich hatte Timpe dann in Erfahrung ge¬
bracht, daß ein Kunde ihm abgesprungen sei, weil Urban ihm
billiger liefere. Der Meister kam dann aus einer Stimmung
in die andere. Er drohte mit der Faust nach der Fabrik hin¬
über und wurde dann wieder sanft wie in früheren Zeiten

da drüben, und da habe ich wieder einmal Recht. Wer kann
überhaupt die Dichter alle kennen! Die richten nur Unheil
an in der Welt. Sprechen von Freiheit und Menſchenwürde
und hetzen die Arbeiter auf! Mir ſoll einer kommen! Ich
kann auch ohne ſie leben.“

Während er dieſen Erguß zum Beſten gab, ohne irgend
welche Oppoſition zu vernehmen, war er unwillkürlich dem
Hauſe ſeines Feindes näher gekommen, ſo daß die letzten
Worte immer deutlicher Timpes Ohr berührten. Plötzlich
erblickte er den Drechsler und machte erſchreckt Kehrt. Der
Meiſter hatte ſchon längſt von Wuth übermannt die Hand
geballt. Plötzlich rief er laut hinunter: „Trotz alledem bleiben
Sie doch ein kleiner Mann mit einem großen Mund! Sie —
mein Haus bekommen?! Sie komiſcher Knirps! Da müſſen
Sie früher aufſtehn!“

Urban's Begleiter drehte ſich überraſcht um. Der Fabrik¬
beſitzer aber zog ihn mit ſich fort und ſagte: „Laſſen Sie ihn
nur reden! Er ärgert ſich doch!“

Seit dieſem Abend war der Haß des Meiſters gegen den
Nachbar zum vollen Ausbruch gekommen. Schon die Nen¬
nung des Namens Urban genügte, um ihn herbe Worte ſprechen
zu laſſen. Frau Karoline ſtellte im Geheimen ihre Be¬
trachtungen darüber an und ſchreckte zuſammen, wenn Jo¬
hannes mit zuſammengezogenen Augenbrauen in die Stube
trat. Das war das Zeichen, daß wieder etwas Aergerliches
paſſirt war. Gewöhnlich hatte Timpe dann in Erfahrung ge¬
bracht, daß ein Kunde ihm abgeſprungen ſei, weil Urban ihm
billiger liefere. Der Meiſter kam dann aus einer Stimmung
in die andere. Er drohte mit der Fauſt nach der Fabrik hin¬
über und wurde dann wieder ſanft wie in früheren Zeiten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="166"/>
da drüben, und da habe ich wieder einmal Recht. Wer kann<lb/>
überhaupt die Dichter alle kennen! Die richten nur Unheil<lb/>
an in der Welt. Sprechen von Freiheit und Men&#x017F;chenwürde<lb/>
und hetzen die Arbeiter auf! Mir &#x017F;oll einer kommen! Ich<lb/>
kann auch ohne &#x017F;ie leben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Während er die&#x017F;en Erguß zum Be&#x017F;ten gab, ohne irgend<lb/>
welche Oppo&#x017F;ition zu vernehmen, war er unwillkürlich dem<lb/>
Hau&#x017F;e &#x017F;eines Feindes näher gekommen, &#x017F;o daß die letzten<lb/>
Worte immer deutlicher Timpes Ohr berührten. Plötzlich<lb/>
erblickte er den Drechsler und machte er&#x017F;chreckt Kehrt. Der<lb/>
Mei&#x017F;ter hatte &#x017F;chon läng&#x017F;t von Wuth übermannt die Hand<lb/>
geballt. Plötzlich rief er laut hinunter: &#x201E;Trotz alledem bleiben<lb/>
Sie doch ein kleiner Mann mit einem großen Mund! Sie &#x2014;<lb/>
mein Haus bekommen?! Sie komi&#x017F;cher Knirps! Da mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sie früher auf&#x017F;tehn!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Urban's Begleiter drehte &#x017F;ich überra&#x017F;cht um. Der Fabrik¬<lb/>
be&#x017F;itzer aber zog ihn mit &#x017F;ich fort und &#x017F;agte: &#x201E;La&#x017F;&#x017F;en Sie ihn<lb/>
nur reden! Er ärgert &#x017F;ich doch!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Seit die&#x017F;em Abend war der Haß des Mei&#x017F;ters gegen den<lb/>
Nachbar zum vollen Ausbruch gekommen. Schon die Nen¬<lb/>
nung des Namens Urban genügte, um ihn herbe Worte &#x017F;prechen<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en. Frau Karoline &#x017F;tellte im Geheimen ihre Be¬<lb/>
trachtungen darüber an und &#x017F;chreckte zu&#x017F;ammen, wenn Jo¬<lb/>
hannes mit zu&#x017F;ammengezogenen Augenbrauen in die Stube<lb/>
trat. Das war das Zeichen, daß wieder etwas Aergerliches<lb/>
pa&#x017F;&#x017F;irt war. Gewöhnlich hatte Timpe dann in Erfahrung ge¬<lb/>
bracht, daß ein Kunde ihm abge&#x017F;prungen &#x017F;ei, weil Urban ihm<lb/>
billiger liefere. Der Mei&#x017F;ter kam dann aus einer Stimmung<lb/>
in die andere. Er drohte mit der Fau&#x017F;t nach der Fabrik hin¬<lb/>
über und wurde dann wieder &#x017F;anft wie in früheren Zeiten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0178] da drüben, und da habe ich wieder einmal Recht. Wer kann überhaupt die Dichter alle kennen! Die richten nur Unheil an in der Welt. Sprechen von Freiheit und Menſchenwürde und hetzen die Arbeiter auf! Mir ſoll einer kommen! Ich kann auch ohne ſie leben.“ Während er dieſen Erguß zum Beſten gab, ohne irgend welche Oppoſition zu vernehmen, war er unwillkürlich dem Hauſe ſeines Feindes näher gekommen, ſo daß die letzten Worte immer deutlicher Timpes Ohr berührten. Plötzlich erblickte er den Drechsler und machte erſchreckt Kehrt. Der Meiſter hatte ſchon längſt von Wuth übermannt die Hand geballt. Plötzlich rief er laut hinunter: „Trotz alledem bleiben Sie doch ein kleiner Mann mit einem großen Mund! Sie — mein Haus bekommen?! Sie komiſcher Knirps! Da müſſen Sie früher aufſtehn!“ Urban's Begleiter drehte ſich überraſcht um. Der Fabrik¬ beſitzer aber zog ihn mit ſich fort und ſagte: „Laſſen Sie ihn nur reden! Er ärgert ſich doch!“ Seit dieſem Abend war der Haß des Meiſters gegen den Nachbar zum vollen Ausbruch gekommen. Schon die Nen¬ nung des Namens Urban genügte, um ihn herbe Worte ſprechen zu laſſen. Frau Karoline ſtellte im Geheimen ihre Be¬ trachtungen darüber an und ſchreckte zuſammen, wenn Jo¬ hannes mit zuſammengezogenen Augenbrauen in die Stube trat. Das war das Zeichen, daß wieder etwas Aergerliches paſſirt war. Gewöhnlich hatte Timpe dann in Erfahrung ge¬ bracht, daß ein Kunde ihm abgeſprungen ſei, weil Urban ihm billiger liefere. Der Meiſter kam dann aus einer Stimmung in die andere. Er drohte mit der Fauſt nach der Fabrik hin¬ über und wurde dann wieder ſanft wie in früheren Zeiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/178
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/178>, abgerufen am 04.05.2024.