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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Timpe blickte groß auf. Er glaubte nicht recht verstanden
zu haben und bat um nähere Aufklärung. Deppler langte in
die Tasche seines Paletots, der hinter ihm hing, zog ein
Päckchen hervor und wickelte es auf.

"Hier, sehen Sie: Diese Viktoriakrücke, die ich früher
von Ihnen bezog, liefert mir jetzt Urban um fünfundzwanzig
Prozent billiger. Er könne sich das leisten, meinte er neulich
zu mir, weil er auf großen Absatz rechne und die Massen¬
fabrikation die Fabrikate billiger stelle. Ja, ja, lieber
Timpe, das machen der Dampf und die neuen Maschinenvor¬
richtungen."

Die Viktoriakrücke zeigte eine besonders schöne Zeichnung
und nahm sich eben so einfach wie geschmackvoll aus. Timpe
hatte sie zuerst eingeführt und sie hatte reißenden Absatz ge¬
funden. Namentlich an Damenschirmen sah man sie überall
auftauchen. Sie wurde aus Elfenbein, Horn und Holz zu
gleicher Zeit hergestellt. Ein Hoflieferant, für den der Meister
arbeitete, hatte sie so geschmackvoll gefunden, daß er das
Modell Ihrer Königl. Hoheit der Kronprinzessin vorgelegt
hatte. Die hohe Frau ließ sofort ein Exemplar in Elfenbein
ausführen, das hatte dem Griff die Benennung gegeben;
und schließlich hatte man auch den Schirm danach getauft,
der sofort bei der tonangebenden Damenwelt Mode wurde.
Diese Krücken wurden noch immer sehr begehrt, namentlich
von den kleinen Fabrikanten in der Provinz, die das ganze
Gestell fertig bezogen und nur die Ueberspannung machten.

Timpe erkannte sofort sein Modell, aber es war ver¬
ändert. Der Schwung der Linien, die Zeichnung war
dieselbe, nur die Gliederung war eine andere geworden. Das
war eine gute Spekulation, das mußte man sagen! Die

Timpe blickte groß auf. Er glaubte nicht recht verſtanden
zu haben und bat um nähere Aufklärung. Deppler langte in
die Taſche ſeines Paletots, der hinter ihm hing, zog ein
Päckchen hervor und wickelte es auf.

„Hier, ſehen Sie: Dieſe Viktoriakrücke, die ich früher
von Ihnen bezog, liefert mir jetzt Urban um fünfundzwanzig
Prozent billiger. Er könne ſich das leiſten, meinte er neulich
zu mir, weil er auf großen Abſatz rechne und die Maſſen¬
fabrikation die Fabrikate billiger ſtelle. Ja, ja, lieber
Timpe, das machen der Dampf und die neuen Maſchinenvor¬
richtungen.“

Die Viktoriakrücke zeigte eine beſonders ſchöne Zeichnung
und nahm ſich eben ſo einfach wie geſchmackvoll aus. Timpe
hatte ſie zuerſt eingeführt und ſie hatte reißenden Abſatz ge¬
funden. Namentlich an Damenſchirmen ſah man ſie überall
auftauchen. Sie wurde aus Elfenbein, Horn und Holz zu
gleicher Zeit hergeſtellt. Ein Hoflieferant, für den der Meiſter
arbeitete, hatte ſie ſo geſchmackvoll gefunden, daß er das
Modell Ihrer Königl. Hoheit der Kronprinzeſſin vorgelegt
hatte. Die hohe Frau ließ ſofort ein Exemplar in Elfenbein
ausführen, das hatte dem Griff die Benennung gegeben;
und ſchließlich hatte man auch den Schirm danach getauft,
der ſofort bei der tonangebenden Damenwelt Mode wurde.
Dieſe Krücken wurden noch immer ſehr begehrt, namentlich
von den kleinen Fabrikanten in der Provinz, die das ganze
Geſtell fertig bezogen und nur die Ueberſpannung machten.

Timpe erkannte ſofort ſein Modell, aber es war ver¬
ändert. Der Schwung der Linien, die Zeichnung war
dieſelbe, nur die Gliederung war eine andere geworden. Das
war eine gute Spekulation, das mußte man ſagen! Die

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[140/0152] Timpe blickte groß auf. Er glaubte nicht recht verſtanden zu haben und bat um nähere Aufklärung. Deppler langte in die Taſche ſeines Paletots, der hinter ihm hing, zog ein Päckchen hervor und wickelte es auf. „Hier, ſehen Sie: Dieſe Viktoriakrücke, die ich früher von Ihnen bezog, liefert mir jetzt Urban um fünfundzwanzig Prozent billiger. Er könne ſich das leiſten, meinte er neulich zu mir, weil er auf großen Abſatz rechne und die Maſſen¬ fabrikation die Fabrikate billiger ſtelle. Ja, ja, lieber Timpe, das machen der Dampf und die neuen Maſchinenvor¬ richtungen.“ Die Viktoriakrücke zeigte eine beſonders ſchöne Zeichnung und nahm ſich eben ſo einfach wie geſchmackvoll aus. Timpe hatte ſie zuerſt eingeführt und ſie hatte reißenden Abſatz ge¬ funden. Namentlich an Damenſchirmen ſah man ſie überall auftauchen. Sie wurde aus Elfenbein, Horn und Holz zu gleicher Zeit hergeſtellt. Ein Hoflieferant, für den der Meiſter arbeitete, hatte ſie ſo geſchmackvoll gefunden, daß er das Modell Ihrer Königl. Hoheit der Kronprinzeſſin vorgelegt hatte. Die hohe Frau ließ ſofort ein Exemplar in Elfenbein ausführen, das hatte dem Griff die Benennung gegeben; und ſchließlich hatte man auch den Schirm danach getauft, der ſofort bei der tonangebenden Damenwelt Mode wurde. Dieſe Krücken wurden noch immer ſehr begehrt, namentlich von den kleinen Fabrikanten in der Provinz, die das ganze Geſtell fertig bezogen und nur die Ueberſpannung machten. Timpe erkannte ſofort ſein Modell, aber es war ver¬ ändert. Der Schwung der Linien, die Zeichnung war dieſelbe, nur die Gliederung war eine andere geworden. Das war eine gute Spekulation, das mußte man ſagen! Die

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/152>, abgerufen am 24.11.2024.