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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Die Tische waren dann vollbesetzt und Vater Jamrath und
und Fritz, der einzige Kellner, der die Serviette am Arm
mit dem Gesicht eines alten Tragöden ernst und gemessen
durch die Reihen schritt und sich die möglichste Mühe gab,
seinen abgenutzten Frack vor Fettflecken zu bewahren, hatten
alle Hände voll zu thun, um die Gäste zu befriedigen. An
diesem Abend blieb man auch länger zusammen als sonst, nur
Herr Brümmer erhob sich Punkt zehn Uhr kerzengerade, ließ
für seine Gattin ein besonders schönes Stück Pökelfleisch
einwickeln, suchte wie gewöhnlich sehr lange nach einem Fünf¬
pfennigstück für Fritz, und schritt gravitätisch wie auf zwei
Stelzen von dannen.

Als Johannes eintrat, rief ihm Jamrath sofort zu:

"Ei, Meister Timpe, sieht man Sie auch mal wieder! Das
ist hübsch von Ihnen." Und vom Stammtisch, dessen Runde
bereits geschlossen war, schallte ihm ein lautes "Halloh" zur
Begrüßung entgegen. Kaum hatte man ihm Platz gemacht
und er sich gesetzt, so gerieth er in nicht geringes Erstaunen
über die Gratulation, die man ihm entgegenbrachte.

"Das nenne ich Glück, Timpe", sagte Baldrun, indem er
einen tiefen Griff in seine Schnupftabaksdose that. "Ihr Sohn
hat es weit gebracht."

"Eine ausgezeichnete Partie, mehr kann man nicht
sagen", fiel Wipperlich ein. Und selbst Herr Brümmer, der
wie eine Pagodenfigur nur zeitweilig mit dem Kopfe nickte,
brummte etwas vor sich hin, was einer Zustimmung des
soeben Gehörten gleichkam. Neben ihm saß Deppler, ein
Stock- und Schirmfabrikant aus der Alexanderstraße. Er war
ein kleiner verw[verlorenes Material - Zeichen fehlt]ner Mann, dessen Riesenkopf tief in die
Schultern hine[inge]zwängt saß, während die langen knochigen

Die Tiſche waren dann vollbeſetzt und Vater Jamrath und
und Fritz, der einzige Kellner, der die Serviette am Arm
mit dem Geſicht eines alten Tragöden ernſt und gemeſſen
durch die Reihen ſchritt und ſich die möglichſte Mühe gab,
ſeinen abgenutzten Frack vor Fettflecken zu bewahren, hatten
alle Hände voll zu thun, um die Gäſte zu befriedigen. An
dieſem Abend blieb man auch länger zuſammen als ſonſt, nur
Herr Brümmer erhob ſich Punkt zehn Uhr kerzengerade, ließ
für ſeine Gattin ein beſonders ſchönes Stück Pökelfleiſch
einwickeln, ſuchte wie gewöhnlich ſehr lange nach einem Fünf¬
pfennigſtück für Fritz, und ſchritt gravitätiſch wie auf zwei
Stelzen von dannen.

Als Johannes eintrat, rief ihm Jamrath ſofort zu:

„Ei, Meiſter Timpe, ſieht man Sie auch mal wieder! Das
iſt hübſch von Ihnen.“ Und vom Stammtiſch, deſſen Runde
bereits geſchloſſen war, ſchallte ihm ein lautes „Halloh“ zur
Begrüßung entgegen. Kaum hatte man ihm Platz gemacht
und er ſich geſetzt, ſo gerieth er in nicht geringes Erſtaunen
über die Gratulation, die man ihm entgegenbrachte.

„Das nenne ich Glück, Timpe“, ſagte Baldrun, indem er
einen tiefen Griff in ſeine Schnupftabaksdoſe that. „Ihr Sohn
hat es weit gebracht.“

„Eine ausgezeichnete Partie, mehr kann man nicht
ſagen“, fiel Wipperlich ein. Und ſelbſt Herr Brümmer, der
wie eine Pagodenfigur nur zeitweilig mit dem Kopfe nickte,
brummte etwas vor ſich hin, was einer Zuſtimmung des
ſoeben Gehörten gleichkam. Neben ihm ſaß Deppler, ein
Stock- und Schirmfabrikant aus der Alexanderſtraße. Er war
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[137/0149] Die Tiſche waren dann vollbeſetzt und Vater Jamrath und und Fritz, der einzige Kellner, der die Serviette am Arm mit dem Geſicht eines alten Tragöden ernſt und gemeſſen durch die Reihen ſchritt und ſich die möglichſte Mühe gab, ſeinen abgenutzten Frack vor Fettflecken zu bewahren, hatten alle Hände voll zu thun, um die Gäſte zu befriedigen. An dieſem Abend blieb man auch länger zuſammen als ſonſt, nur Herr Brümmer erhob ſich Punkt zehn Uhr kerzengerade, ließ für ſeine Gattin ein beſonders ſchönes Stück Pökelfleiſch einwickeln, ſuchte wie gewöhnlich ſehr lange nach einem Fünf¬ pfennigſtück für Fritz, und ſchritt gravitätiſch wie auf zwei Stelzen von dannen. Als Johannes eintrat, rief ihm Jamrath ſofort zu: „Ei, Meiſter Timpe, ſieht man Sie auch mal wieder! Das iſt hübſch von Ihnen.“ Und vom Stammtiſch, deſſen Runde bereits geſchloſſen war, ſchallte ihm ein lautes „Halloh“ zur Begrüßung entgegen. Kaum hatte man ihm Platz gemacht und er ſich geſetzt, ſo gerieth er in nicht geringes Erſtaunen über die Gratulation, die man ihm entgegenbrachte. „Das nenne ich Glück, Timpe“, ſagte Baldrun, indem er einen tiefen Griff in ſeine Schnupftabaksdoſe that. „Ihr Sohn hat es weit gebracht.“ „Eine ausgezeichnete Partie, mehr kann man nicht ſagen“, fiel Wipperlich ein. Und ſelbſt Herr Brümmer, der wie eine Pagodenfigur nur zeitweilig mit dem Kopfe nickte, brummte etwas vor ſich hin, was einer Zuſtimmung des ſoeben Gehörten gleichkam. Neben ihm ſaß Deppler, ein Stock- und Schirmfabrikant aus der Alexanderſtraße. Er war ein kleiner verw_ ner Mann, deſſen Rieſenkopf tief in die Schultern hineingezwängt ſaß, während die langen knochigen

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/149>, abgerufen am 22.11.2024.