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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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poetische Ausdruck der geistigen Zustände. Die selbst in ihren
Jrrthümern und Thorheiten gründliche, grübelnde und mehr be-
schauliche als handelnde Natur der Deutschen ist recht geeignet
für eine Dichtungsart, bei deren breiter Form oder vielmehr Un-
form der Dichter wie auf einem Spaziergange alles nur Erdenk-
liche, Natur und Menschen, Wolken und Kraut, Palast und
Hühnerhof gemüthlich in seinem Gedächtniß einfangen kann.
Und eben dieses bequeme Sichgehenlassen macht den Roman, der
überdies neben der Lyrik bei uns am eifrigsten ausgebildet wor-
den, zu einer wahren Musterkarte aller Gesinnungen und Narr-
heiten, Abgründe und Untiefen seiner Zeit." Hiernach war der
berühmte Egyptologe G. Ebers ohne Zweifel berechtigt einen
egyptischen Roman zu schreiben und demselben der Rarität
halber vorne den Titel "Eine egyptische Königstochter"
und hinten in den drei Bänden über ein halbes Tausend mehr
oder minder gelehrte Anmerkungen mitzugeben. Einzelne Noten
erinnern an den gelehrten Schulmeister Thomas de la Fuente,
von welchem Lesage im Gil Blas sagt: "Sans lui, nous ne
saurions pas que dans la ville d'Athenes les enfants pleuraient
quand on leur donnait le fouet: nous devons cette decouverte
a sa profonde erudition."
Jn der bekannten Schrift "Nach
berühmten Mustern" wird die gelungene Nachahmung Ebers'scher
Romandichtung wesentlich durch die verschiedenen Sorten von
Noten erreicht: auch in Egypten gab es Kinder, auch in Egypten
ging die Sonne auf, die ersten Spuren der Nähmaschinen findet
man in der bekannten "Nadel der Kleopatra" u. s. w.

Bei Ebers sollte die Professorenkunst reichlicher Noten den
sonst vielfach unklaren Text erklären, sodann dem gelehrten Publikum
gegenüber die Treue der archäologischen Einzelarbeit darthun
und endlich als Hilfsmittel für das Studium wißbegieriger Leser
dienen. Vielleicht gerade der Noten wegen ist die zum erstenmale
1864 erschienene "Königstochter" erst nach vier Jahren neu
aufgelegt worden. Bei allem Reichthum an Universitäten, bei
allem Ueberfluß an Professoren konnte es bei uns doch erst nach
Jahren dazu kommen, der "Königstochter" in der Gesellschaft die
ihr gebührende Aufnahme zu verschaffen. Nachdem man aber in

poetiſche Ausdruck der geiſtigen Zuſtände. Die ſelbſt in ihren
Jrrthümern und Thorheiten gründliche, grübelnde und mehr be-
ſchauliche als handelnde Natur der Deutſchen iſt recht geeignet
für eine Dichtungsart, bei deren breiter Form oder vielmehr Un-
form der Dichter wie auf einem Spaziergange alles nur Erdenk-
liche, Natur und Menſchen, Wolken und Kraut, Palaſt und
Hühnerhof gemüthlich in ſeinem Gedächtniß einfangen kann.
Und eben dieſes bequeme Sichgehenlaſſen macht den Roman, der
überdies neben der Lyrik bei uns am eifrigſten ausgebildet wor-
den, zu einer wahren Muſterkarte aller Geſinnungen und Narr-
heiten, Abgründe und Untiefen ſeiner Zeit.‟ Hiernach war der
berühmte Egyptologe G. Ebers ohne Zweifel berechtigt einen
egyptiſchen Roman zu ſchreiben und demſelben der Rarität
halber vorne den Titel „Eine egyptiſche Königstochter
und hinten in den drei Bänden über ein halbes Tauſend mehr
oder minder gelehrte Anmerkungen mitzugeben. Einzelne Noten
erinnern an den gelehrten Schulmeiſter Thomas de la Fuente,
von welchem Leſage im Gil Blas ſagt: „Sans lui, nous ne
saurions pas que dans la ville d’Athènes les enfants pleuraient
quand on leur donnait le fouet: nous devons cette découverte
à sa profonde érudition.‟
Jn der bekannten Schrift „Nach
berühmten Muſtern‟ wird die gelungene Nachahmung Ebers’ſcher
Romandichtung weſentlich durch die verſchiedenen Sorten von
Noten erreicht: auch in Egypten gab es Kinder, auch in Egypten
ging die Sonne auf, die erſten Spuren der Nähmaſchinen findet
man in der bekannten „Nadel der Kleopatra‟ u. ſ. w.

Bei Ebers ſollte die Profeſſorenkunſt reichlicher Noten den
ſonſt vielfach unklaren Text erklären, ſodann dem gelehrten Publikum
gegenüber die Treue der archäologiſchen Einzelarbeit darthun
und endlich als Hilfsmittel für das Studium wißbegieriger Leſer
dienen. Vielleicht gerade der Noten wegen iſt die zum erſtenmale
1864 erſchienene „Königstochter‟ erſt nach vier Jahren neu
aufgelegt worden. Bei allem Reichthum an Univerſitäten, bei
allem Ueberfluß an Profeſſoren konnte es bei uns doch erſt nach
Jahren dazu kommen, der „Königstochter‟ in der Geſellſchaft die
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[7 199/0007] poetiſche Ausdruck der geiſtigen Zuſtände. Die ſelbſt in ihren Jrrthümern und Thorheiten gründliche, grübelnde und mehr be- ſchauliche als handelnde Natur der Deutſchen iſt recht geeignet für eine Dichtungsart, bei deren breiter Form oder vielmehr Un- form der Dichter wie auf einem Spaziergange alles nur Erdenk- liche, Natur und Menſchen, Wolken und Kraut, Palaſt und Hühnerhof gemüthlich in ſeinem Gedächtniß einfangen kann. Und eben dieſes bequeme Sichgehenlaſſen macht den Roman, der überdies neben der Lyrik bei uns am eifrigſten ausgebildet wor- den, zu einer wahren Muſterkarte aller Geſinnungen und Narr- heiten, Abgründe und Untiefen ſeiner Zeit.‟ Hiernach war der berühmte Egyptologe G. Ebers ohne Zweifel berechtigt einen egyptiſchen Roman zu ſchreiben und demſelben der Rarität halber vorne den Titel „Eine egyptiſche Königstochter‟ und hinten in den drei Bänden über ein halbes Tauſend mehr oder minder gelehrte Anmerkungen mitzugeben. Einzelne Noten erinnern an den gelehrten Schulmeiſter Thomas de la Fuente, von welchem Leſage im Gil Blas ſagt: „Sans lui, nous ne saurions pas que dans la ville d’Athènes les enfants pleuraient quand on leur donnait le fouet: nous devons cette découverte à sa profonde érudition.‟ Jn der bekannten Schrift „Nach berühmten Muſtern‟ wird die gelungene Nachahmung Ebers’ſcher Romandichtung weſentlich durch die verſchiedenen Sorten von Noten erreicht: auch in Egypten gab es Kinder, auch in Egypten ging die Sonne auf, die erſten Spuren der Nähmaſchinen findet man in der bekannten „Nadel der Kleopatra‟ u. ſ. w. Bei Ebers ſollte die Profeſſorenkunſt reichlicher Noten den ſonſt vielfach unklaren Text erklären, ſodann dem gelehrten Publikum gegenüber die Treue der archäologiſchen Einzelarbeit darthun und endlich als Hilfsmittel für das Studium wißbegieriger Leſer dienen. Vielleicht gerade der Noten wegen iſt die zum erſtenmale 1864 erſchienene „Königstochter‟ erſt nach vier Jahren neu aufgelegt worden. Bei allem Reichthum an Univerſitäten, bei allem Ueberfluß an Profeſſoren konnte es bei uns doch erſt nach Jahren dazu kommen, der „Königstochter‟ in der Geſellſchaft die ihr gebührende Aufnahme zu verſchaffen. Nachdem man aber in

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 7 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/7>, abgerufen am 26.04.2024.