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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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swintha zur Ehe nehme. Hildebrand berichtet von einem Bei-
spiele, wie in solchem Falle eine Heidenfrau auf ihren Gatten
verzichtet habe. "Aber freilich, das war die Heidenzeit," setzte
der Alte, dem das Reich, der Staat sein Gott ist, wehmüthig
hinzu.

Von dem vom alten Hildebrand erzogenen Grafen Teja,
dem Helden, Dichter und Sänger, hören wir, daß er einst in
griechischer Gefangenschaft Nachts statt der Verlobten des von
ihm begehrten Mädchens aus Versehen dieses selbst nieder-
gestoßen hat. Dieses Unglück hat den Mann zum Gottesleugner
gemacht! "Was hatte sie -- was hatte ich verschuldet? Weß-
halb ließ Gott, wenn er lebt, dies Grauenhafte zu? -- Ewige
Nothwendigkeit seh' ich im Gang der Sterne da oben; und das
gleiche, ewige Gesetz lenkt unsere Erde und die Geschicke der
Menschen." "Das Rechte thun, was Pflicht und Ehre heischen,
ohne dabei auf tausend Jahre Verzinsung jeder Edelthat im
Jenseits zu rechnen: Volk, Vaterland, die Freunde männlich
lieben und solche Liebe mit dem Blut besiegeln; das Schlechte
in den Staub treten, wo du es findest (wie beispielsweise den
arglosen Verlobten der Jugendfreundin?) und dabei allem Glück
entsagen, nur jenen tiefen Frieden suchen, der da unendlich ernst
und hoch ist wie der nächtige Himmel, und wie leuchtende Sterne
gehen darin auf und nieder traurige, stolze Gedanken --: und
dem Pulsschlag des Weltgesetzes lauschen, der in der eignen
Brust, wie in dem Sterngetriebe geht." "Wer einmal gleich mir
den unbarmherzigen Rädergang des Schicksals (oder Weltgesetzes?)
verspürt hat, wie es blind und taub für das Zarte und Hohe,
mit eherner grundloser Gewalt Alles vor sich niedertritt, ja, wie
es das Edle, weil es Zweck ist, leichter und lieber zermalmt, als
das Gemeine, wer erkannt hat, daß eine dumpfe Nothwendigkeit,
welche Thoren die weise Vorsehung Gottes nennen, die Welt
und das Leben der Menschen beherrscht, der ist hinaus über
Hilfe und Trost; er hört ewig, wenn er es einmal erlauschte,
mit dem leisen Gehör der Verzweiflung den immer gleichen
Taktschlag des fühllosen Rades (oder Weltgesetz-Pulses?) im
Mittelpunkt der Welt, welches gleichgiltig mit jeder Bewegung

ſwintha zur Ehe nehme. Hildebrand berichtet von einem Bei-
ſpiele, wie in ſolchem Falle eine Heidenfrau auf ihren Gatten
verzichtet habe. „Aber freilich, das war die Heidenzeit,‟ ſetzte
der Alte, dem das Reich, der Staat ſein Gott iſt, wehmüthig
hinzu.

Von dem vom alten Hildebrand erzogenen Grafen Teja,
dem Helden, Dichter und Sänger, hören wir, daß er einſt in
griechiſcher Gefangenſchaft Nachts ſtatt der Verlobten des von
ihm begehrten Mädchens aus Verſehen dieſes ſelbſt nieder-
geſtoßen hat. Dieſes Unglück hat den Mann zum Gottesleugner
gemacht! „Was hatte ſie — was hatte ich verſchuldet? Weß-
halb ließ Gott, wenn er lebt, dies Grauenhafte zu? — Ewige
Nothwendigkeit ſeh’ ich im Gang der Sterne da oben; und das
gleiche, ewige Geſetz lenkt unſere Erde und die Geſchicke der
Menſchen.‟ „Das Rechte thun, was Pflicht und Ehre heiſchen,
ohne dabei auf tauſend Jahre Verzinſung jeder Edelthat im
Jenſeits zu rechnen: Volk, Vaterland, die Freunde männlich
lieben und ſolche Liebe mit dem Blut beſiegeln; das Schlechte
in den Staub treten, wo du es findeſt (wie beiſpielsweiſe den
argloſen Verlobten der Jugendfreundin?) und dabei allem Glück
entſagen, nur jenen tiefen Frieden ſuchen, der da unendlich ernſt
und hoch iſt wie der nächtige Himmel, und wie leuchtende Sterne
gehen darin auf und nieder traurige, ſtolze Gedanken —: und
dem Pulsſchlag des Weltgeſetzes lauſchen, der in der eignen
Bruſt, wie in dem Sterngetriebe geht.‟ „Wer einmal gleich mir
den unbarmherzigen Rädergang des Schickſals (oder Weltgeſetzes?)
verſpürt hat, wie es blind und taub für das Zarte und Hohe,
mit eherner grundloſer Gewalt Alles vor ſich niedertritt, ja, wie
es das Edle, weil es Zweck iſt, leichter und lieber zermalmt, als
das Gemeine, wer erkannt hat, daß eine dumpfe Nothwendigkeit,
welche Thoren die weiſe Vorſehung Gottes nennen, die Welt
und das Leben der Menſchen beherrſcht, der iſt hinaus über
Hilfe und Troſt; er hört ewig, wenn er es einmal erlauſchte,
mit dem leiſen Gehör der Verzweiflung den immer gleichen
Taktſchlag des fühlloſen Rades (oder Weltgeſetz-Pulſes?) im
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[48 240/0048] ſwintha zur Ehe nehme. Hildebrand berichtet von einem Bei- ſpiele, wie in ſolchem Falle eine Heidenfrau auf ihren Gatten verzichtet habe. „Aber freilich, das war die Heidenzeit,‟ ſetzte der Alte, dem das Reich, der Staat ſein Gott iſt, wehmüthig hinzu. Von dem vom alten Hildebrand erzogenen Grafen Teja, dem Helden, Dichter und Sänger, hören wir, daß er einſt in griechiſcher Gefangenſchaft Nachts ſtatt der Verlobten des von ihm begehrten Mädchens aus Verſehen dieſes ſelbſt nieder- geſtoßen hat. Dieſes Unglück hat den Mann zum Gottesleugner gemacht! „Was hatte ſie — was hatte ich verſchuldet? Weß- halb ließ Gott, wenn er lebt, dies Grauenhafte zu? — Ewige Nothwendigkeit ſeh’ ich im Gang der Sterne da oben; und das gleiche, ewige Geſetz lenkt unſere Erde und die Geſchicke der Menſchen.‟ „Das Rechte thun, was Pflicht und Ehre heiſchen, ohne dabei auf tauſend Jahre Verzinſung jeder Edelthat im Jenſeits zu rechnen: Volk, Vaterland, die Freunde männlich lieben und ſolche Liebe mit dem Blut beſiegeln; das Schlechte in den Staub treten, wo du es findeſt (wie beiſpielsweiſe den argloſen Verlobten der Jugendfreundin?) und dabei allem Glück entſagen, nur jenen tiefen Frieden ſuchen, der da unendlich ernſt und hoch iſt wie der nächtige Himmel, und wie leuchtende Sterne gehen darin auf und nieder traurige, ſtolze Gedanken —: und dem Pulsſchlag des Weltgeſetzes lauſchen, der in der eignen Bruſt, wie in dem Sterngetriebe geht.‟ „Wer einmal gleich mir den unbarmherzigen Rädergang des Schickſals (oder Weltgeſetzes?) verſpürt hat, wie es blind und taub für das Zarte und Hohe, mit eherner grundloſer Gewalt Alles vor ſich niedertritt, ja, wie es das Edle, weil es Zweck iſt, leichter und lieber zermalmt, als das Gemeine, wer erkannt hat, daß eine dumpfe Nothwendigkeit, welche Thoren die weiſe Vorſehung Gottes nennen, die Welt und das Leben der Menſchen beherrſcht, der iſt hinaus über Hilfe und Troſt; er hört ewig, wenn er es einmal erlauſchte, mit dem leiſen Gehör der Verzweiflung den immer gleichen Taktſchlag des fühlloſen Rades (oder Weltgeſetz-Pulſes?) im Mittelpunkt der Welt, welches gleichgiltig mit jeder Bewegung

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 48 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/48>, abgerufen am 24.04.2024.