Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).dieser letztere, daß er einmal in Ephesus beim Blick auf die "Nein Freund! Das ist die Sophistik einer starken Leiden- dieſer letztere, daß er einmal in Epheſus beim Blick auf die „Nein Freund! Das iſt die Sophiſtik einer ſtarken Leiden- <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0045" n="45 237"/> dieſer letztere, daß er einmal in <hi rendition="#g">Epheſus</hi> beim Blick auf die<lb/> Kirche des heiligen Geiſtes (der ehemalige Dianentempel), auf<lb/> den zerfallenen Jſisaltar und auf das Bethaus gedacht habe:<lb/> „Die alle glaubten und glauben nun ſteif und feſt, ſie allein<lb/> wüßten das Rechte von dem höchſten Weſen. Und dieß iſt doch<lb/> unmöglich: das höchſte Weſen hat, wie es ſcheint, gar kein Be-<lb/> dürfniß, von uns erkannt zu werden — ich hätte es auch nicht<lb/> an ſeiner Stelle — und es hat die Menſchen geſchaffen, daß ſie<lb/> leben, tüchtig handeln und ſich wacker umtreiben auf Erden.<lb/> Und dies Leben, Handeln, Genießen und Sichumtreiben iſt eigen-<lb/> lich alles, worauf es ankömmt. Und wenn Einer forſchen und<lb/> denken will, ſo ſoll er der Menſchen Leben und Treiben er-<lb/> forſchen.‟ — Mit dem in ſo plattköpfigem Rationalismus glücklichen<lb/> Prokop hat Cethegus eines Tages ein Zwiegeſpräch, aus dem<lb/> wir zur Charakteriſirung Dahn’s einiges mittheilen wollen. Nach-<lb/> dem Prokop das politiſche Streben des Cethegus als ein <hi rendition="#g">ſelbſt-<lb/> loſes</hi> bezeichnet hat, dem man mancherlei krumme und dunkle<lb/> Pfade, Argliſt und Frevel zu Gute halten müſſe, eine Anſchauung,<lb/> welche Cethegus eine „Mädchen-Moral‟ nennt, wirft er dem<lb/> Freunde, welcher ſein Ballſpiel „Selbſtiſch-unſelbſtiſch‟ mit der<lb/> albernen Phraſe beſchloſſen hat: „Die Liebe iſt die größte, weil<lb/> die ſüßeſte Selbſtſucht,‟ die Frage entgegen: „Und Chriſtus?<lb/> ſtarb er vielleicht auch aus Selbſtſucht?‟ Cethegus antwortet:<lb/> „Gewiß: aus einer edeln Schwärmerei! Sein Egoismus galt<lb/> der Menſchheit! Sie hat ihm danach vergolten: gekreuzigt<lb/> haben ſie ihn für ſeine Liebe. Wie Juſtinian den Beliſar,<lb/> wie Rom dem Cethegus vergilt. Die Selbſtſucht der Schwäch-<lb/> linge iſt erbärmlich, die der Starken großartig. Das iſt der<lb/> einzige Unterſchied der Menſchen.‟</p><lb/> <p>„Nein Freund! Das iſt die Sophiſtik einer ſtarken Leiden-<lb/> ſchaft. Das Höchſte iſt: das Gute nur durch gute Mittel an-<lb/> ſtreben. Zu dieſem Höchſten iſt Prokop zu klein, die Zeit zu<lb/> ſchwach. Aber laß uns wenigſtens durch böſe Mittel nur dem<lb/> Guten dienen, nicht dem Böſen, nicht der Selbſtſucht. Wehe mir,<lb/> wenn ich einſt an dir irre werden müßte. Jch glaube an den<lb/> Schwerthelden Beliſar, an den Geiſteshelden Cethegus. Wehe,<lb/></p> </body> </text> </TEI> [45 237/0045]
dieſer letztere, daß er einmal in Epheſus beim Blick auf die
Kirche des heiligen Geiſtes (der ehemalige Dianentempel), auf
den zerfallenen Jſisaltar und auf das Bethaus gedacht habe:
„Die alle glaubten und glauben nun ſteif und feſt, ſie allein
wüßten das Rechte von dem höchſten Weſen. Und dieß iſt doch
unmöglich: das höchſte Weſen hat, wie es ſcheint, gar kein Be-
dürfniß, von uns erkannt zu werden — ich hätte es auch nicht
an ſeiner Stelle — und es hat die Menſchen geſchaffen, daß ſie
leben, tüchtig handeln und ſich wacker umtreiben auf Erden.
Und dies Leben, Handeln, Genießen und Sichumtreiben iſt eigen-
lich alles, worauf es ankömmt. Und wenn Einer forſchen und
denken will, ſo ſoll er der Menſchen Leben und Treiben er-
forſchen.‟ — Mit dem in ſo plattköpfigem Rationalismus glücklichen
Prokop hat Cethegus eines Tages ein Zwiegeſpräch, aus dem
wir zur Charakteriſirung Dahn’s einiges mittheilen wollen. Nach-
dem Prokop das politiſche Streben des Cethegus als ein ſelbſt-
loſes bezeichnet hat, dem man mancherlei krumme und dunkle
Pfade, Argliſt und Frevel zu Gute halten müſſe, eine Anſchauung,
welche Cethegus eine „Mädchen-Moral‟ nennt, wirft er dem
Freunde, welcher ſein Ballſpiel „Selbſtiſch-unſelbſtiſch‟ mit der
albernen Phraſe beſchloſſen hat: „Die Liebe iſt die größte, weil
die ſüßeſte Selbſtſucht,‟ die Frage entgegen: „Und Chriſtus?
ſtarb er vielleicht auch aus Selbſtſucht?‟ Cethegus antwortet:
„Gewiß: aus einer edeln Schwärmerei! Sein Egoismus galt
der Menſchheit! Sie hat ihm danach vergolten: gekreuzigt
haben ſie ihn für ſeine Liebe. Wie Juſtinian den Beliſar,
wie Rom dem Cethegus vergilt. Die Selbſtſucht der Schwäch-
linge iſt erbärmlich, die der Starken großartig. Das iſt der
einzige Unterſchied der Menſchen.‟
„Nein Freund! Das iſt die Sophiſtik einer ſtarken Leiden-
ſchaft. Das Höchſte iſt: das Gute nur durch gute Mittel an-
ſtreben. Zu dieſem Höchſten iſt Prokop zu klein, die Zeit zu
ſchwach. Aber laß uns wenigſtens durch böſe Mittel nur dem
Guten dienen, nicht dem Böſen, nicht der Selbſtſucht. Wehe mir,
wenn ich einſt an dir irre werden müßte. Jch glaube an den
Schwerthelden Beliſar, an den Geiſteshelden Cethegus. Wehe,
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Zitationshilfe: | Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 45 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/45>, abgerufen am 07.07.2024. |