Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).Was in diesem Zwiegespräch geltend gemacht wird, hat seiner Was in dieſem Zwiegeſpräch geltend gemacht wird, hat ſeiner <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0004" n="4 196"/> <p>Was in dieſem Zwiegeſpräch geltend gemacht wird, hat ſeiner<lb/> Zeit <hi rendition="#g">Leſſing</hi> in die Theſe zuſammengefaßt: „<hi rendition="#g">Nun werden<lb/> Modeſchriften — eben weil es Modeſchriften ſind,<lb/> ſie mögen ſein von welchem Jnhalte ſie wollen, ſo<lb/> fleißig und allgemein geleſen, daß jeder Menſch,<lb/> der ſich nur in etwas mit Leſen abgibt, ſich ſchämen<lb/> muß, ſie nicht geleſen zu haben.</hi>‟ Leſſing ſelbſt war ein<lb/> außerordentlicher Leſer, ein ſehr unabhängiger Geiſt, aber dem<lb/> Zwang der Modeſchriften hat er ſich nicht entzogen. Und es ge-<lb/> hört in der That ein gewiſſer Muth dazu, bei aller Neigung zur<lb/> Bücherwelt Novitäten „allgemein gefeierter und beliebter‟ Schrift-<lb/> ſteller ungeleſen zu laſſen, und ſich dabei täglich der Gefahr aus-<lb/> zuſetzen, mit Literaturfreunden über die Waaren des Bücher-<lb/> marktes ſich zu unterhalten. Was an der Tagesordnung, was<lb/> Mode iſt, hat einen großen Einfluß, eine wirkliche Macht über<lb/> die Gemüther. Beſinnen wir uns nur auf die letzten dreißig<lb/> Jahre. Jn der Zeit der Reſtauration nach 1848 las alle Welt<lb/><hi rendition="#g">Redwitzens Amaranth.</hi> Die Leihbibliotheken hielten ſich vier,<lb/> fünf Exemplare. Dann kam <hi rendition="#g">Onkel Toms Hütte.</hi> Trockne,<lb/> langweilige Bureaukraten, welche faſt nie ein Buch zur Hand<lb/> nahmen, haben mit Heißhunger jene Negergeſchichte verſchlungen<lb/> und reichliche Thränen bei ihrer Lektüre vergoſſen. Dann kam<lb/><hi rendition="#g">Freytag</hi> an die Reihe. Auch <hi rendition="#g">die Marlitt</hi> war eine Zeitlang<lb/> ſtark Mode. Seit Jahren haben wir es mit den Romanen der<lb/> gelehrten Herren, mit den hiſtoriſchen Romanen der <hi rendition="#g">Profeſſoren</hi><lb/> zu thun, mit den Romanen, welchen zum Verſtändniß und zur<lb/> Rechtfertigung gelehrte Anmerkungen reichlich mitgegeben werden<lb/> oder doch mitgegeben werden ſollten. Der Profeſſorenroman iſt jetzt<lb/> in der Mode; in erſter Linie der nicht kirchenfeindliche <hi rendition="#g">Georg<lb/> Ebers</hi> mit ſeinem unbedeutenden poetiſchen Talent, in zweiter<lb/> Linie-der antichriſtliche <hi rendition="#g">Felix Dahn</hi> mit ſeiner großen dich-<lb/> teriſchen Begabung. Der Pfadfinder für beide war <hi rendition="#g">Victor von<lb/> Scheffel,</hi> deſſen Ekkehard vielleicht gerade darum lange Zeit<lb/> wenig beachtet wurde und ohne Zweifel den Ebers’ſchen Erfolgen<lb/> gegenüber noch heute darum weniger beachtet wird, weil er, von<lb/> Einzelheiten abgeſehen, wirklich ein muſtergiltiger hiſtoriſcher<lb/></p> </body> </text> </TEI> [4 196/0004]
Was in dieſem Zwiegeſpräch geltend gemacht wird, hat ſeiner
Zeit Leſſing in die Theſe zuſammengefaßt: „Nun werden
Modeſchriften — eben weil es Modeſchriften ſind,
ſie mögen ſein von welchem Jnhalte ſie wollen, ſo
fleißig und allgemein geleſen, daß jeder Menſch,
der ſich nur in etwas mit Leſen abgibt, ſich ſchämen
muß, ſie nicht geleſen zu haben.‟ Leſſing ſelbſt war ein
außerordentlicher Leſer, ein ſehr unabhängiger Geiſt, aber dem
Zwang der Modeſchriften hat er ſich nicht entzogen. Und es ge-
hört in der That ein gewiſſer Muth dazu, bei aller Neigung zur
Bücherwelt Novitäten „allgemein gefeierter und beliebter‟ Schrift-
ſteller ungeleſen zu laſſen, und ſich dabei täglich der Gefahr aus-
zuſetzen, mit Literaturfreunden über die Waaren des Bücher-
marktes ſich zu unterhalten. Was an der Tagesordnung, was
Mode iſt, hat einen großen Einfluß, eine wirkliche Macht über
die Gemüther. Beſinnen wir uns nur auf die letzten dreißig
Jahre. Jn der Zeit der Reſtauration nach 1848 las alle Welt
Redwitzens Amaranth. Die Leihbibliotheken hielten ſich vier,
fünf Exemplare. Dann kam Onkel Toms Hütte. Trockne,
langweilige Bureaukraten, welche faſt nie ein Buch zur Hand
nahmen, haben mit Heißhunger jene Negergeſchichte verſchlungen
und reichliche Thränen bei ihrer Lektüre vergoſſen. Dann kam
Freytag an die Reihe. Auch die Marlitt war eine Zeitlang
ſtark Mode. Seit Jahren haben wir es mit den Romanen der
gelehrten Herren, mit den hiſtoriſchen Romanen der Profeſſoren
zu thun, mit den Romanen, welchen zum Verſtändniß und zur
Rechtfertigung gelehrte Anmerkungen reichlich mitgegeben werden
oder doch mitgegeben werden ſollten. Der Profeſſorenroman iſt jetzt
in der Mode; in erſter Linie der nicht kirchenfeindliche Georg
Ebers mit ſeinem unbedeutenden poetiſchen Talent, in zweiter
Linie-der antichriſtliche Felix Dahn mit ſeiner großen dich-
teriſchen Begabung. Der Pfadfinder für beide war Victor von
Scheffel, deſſen Ekkehard vielleicht gerade darum lange Zeit
wenig beachtet wurde und ohne Zweifel den Ebers’ſchen Erfolgen
gegenüber noch heute darum weniger beachtet wird, weil er, von
Einzelheiten abgeſehen, wirklich ein muſtergiltiger hiſtoriſcher
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