Ich habe die Erfahrung gemacht, dass kurze Pferde mit un- biegsamem Rücken und unbiegsamer Hinterhand lieber Schulter- herein als Travers gingen, und umgekehrt -- lange Pferde mit biegsamer Hinterhand leichter Travers wie Schulterherein. Ich glaube nicht, dass der Umstand, dass im Travers die Hinterhand den kleineren, die Vorhand den grösseren Weg beschreibt, die einzige Ursache der vermehrten Biegung der Hinterhand im Travers sein kann, weil auf der geraden Linie ja die Weite des Weges dieselbe bleibt, und dennoch auch auf derselben sich die Abneigung zeigt. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass durch die Belastung der auswendigen Seite im Schulterherein, mithin gegen die Rippenbiegung, die Belastung schwächer auf die Hinterhand wirkt, als beim Travers, wo sie in die Rippenbiegung fällt. Auch mag dadurch, dass beim Travers Kopfstellung und Reitergewicht der- selben Seite zufallen, eine grössere Belastung herbeigeführt werden, als da, wo sie auseinandergehen. Ich möchte hieraus den Schluss ziehen, dass man bei langen biegsamen Pferden mit dem Travers als der leichteren Lection beginne, und bei den kurzen und un- biegsamen mit dem Schulterherein. Contreschulterherein und Renvers sind als Varianten zu betrachten, welche in der Wesentlichkeit nichts ändern, indess je nachdem den Vortheil der Bande resp. der freien Bahn gewähren. Will man nämlich ein Pferd, welches im Schulterherein vorwärts drängt, ohne stärkere Zügeleinwirkung corrigiren, so nehme man es in Contreschul- terherein, und es wird bei gleicher Stellung die Bande ein na- türliches Hinderniss bilden und den Vortheil gewähren, dass das Thier die Verlegung seines Schwerpunktes von selbst mehr nach rückwärts nimmt, wozu ich mich sonst anderer Mittel bedienen musste und mithin den vortreibenden Schenkel kräftig brauchen kann, ohne eine verhältnissmässig starke Gegenwirkung des Zügels nöthig zu haben. Bei Pferden, die man das Untersetzen der Hin- terhand lehren will, bei denen aber z. B. ein übermässig biegsames Sprunggelenk die Zügeleinwirkung nachtheilig macht, ist dieser Vortheil nicht von der Hand zu weisen. Verhält sich andererseits ein Pferd im Travers und man möchte es auf den inwendigen Schenkel vortreten lassen, so nehme man es in Renvers und man gewinnt dadurch bei gleicher Stellung die freie Bahn zu dieser Bewegung. Letzteres Motiv wird mehr in meine Art und Weise
v. Krane, Dressur d. Reitpferdes. II. Th. 15
II. Abschnitt. 2. Periode.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass kurze Pferde mit un- biegsamem Rücken und unbiegsamer Hinterhand lieber Schulter- herein als Travers gingen, und umgekehrt — lange Pferde mit biegsamer Hinterhand leichter Travers wie Schulterherein. Ich glaube nicht, dass der Umstand, dass im Travers die Hinterhand den kleineren, die Vorhand den grösseren Weg beschreibt, die einzige Ursache der vermehrten Biegung der Hinterhand im Travers sein kann, weil auf der geraden Linie ja die Weite des Weges dieselbe bleibt, und dennoch auch auf derselben sich die Abneigung zeigt. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass durch die Belastung der auswendigen Seite im Schulterherein, mithin gegen die Rippenbiegung, die Belastung schwächer auf die Hinterhand wirkt, als beim Travers, wo sie in die Rippenbiegung fällt. Auch mag dadurch, dass beim Travers Kopfstellung und Reitergewicht der- selben Seite zufallen, eine grössere Belastung herbeigeführt werden, als da, wo sie auseinandergehen. Ich möchte hieraus den Schluss ziehen, dass man bei langen biegsamen Pferden mit dem Travers als der leichteren Lection beginne, und bei den kurzen und un- biegsamen mit dem Schulterherein. Contreschulterherein und Renvers sind als Varianten zu betrachten, welche in der Wesentlichkeit nichts ändern, indess je nachdem den Vortheil der Bande resp. der freien Bahn gewähren. Will man nämlich ein Pferd, welches im Schulterherein vorwärts drängt, ohne stärkere Zügeleinwirkung corrigiren, so nehme man es in Contreschul- terherein, und es wird bei gleicher Stellung die Bande ein na- türliches Hinderniss bilden und den Vortheil gewähren, dass das Thier die Verlegung seines Schwerpunktes von selbst mehr nach rückwärts nimmt, wozu ich mich sonst anderer Mittel bedienen musste und mithin den vortreibenden Schenkel kräftig brauchen kann, ohne eine verhältnissmässig starke Gegenwirkung des Zügels nöthig zu haben. Bei Pferden, die man das Untersetzen der Hin- terhand lehren will, bei denen aber z. B. ein übermässig biegsames Sprunggelenk die Zügeleinwirkung nachtheilig macht, ist dieser Vortheil nicht von der Hand zu weisen. Verhält sich andererseits ein Pferd im Travers und man möchte es auf den inwendigen Schenkel vortreten lassen, so nehme man es in Renvers und man gewinnt dadurch bei gleicher Stellung die freie Bahn zu dieser Bewegung. Letzteres Motiv wird mehr in meine Art und Weise
v. Krane, Dressur d. Reitpferdes. II. Th. 15
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II. Abschnitt. 2. Periode.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass kurze Pferde mit un-
biegsamem Rücken und unbiegsamer Hinterhand lieber Schulter-
herein als Travers gingen, und umgekehrt — lange Pferde mit
biegsamer Hinterhand leichter Travers wie Schulterherein. Ich
glaube nicht, dass der Umstand, dass im Travers die Hinterhand
den kleineren, die Vorhand den grösseren Weg beschreibt, die
einzige Ursache der vermehrten Biegung der Hinterhand im
Travers sein kann, weil auf der geraden Linie ja die Weite des
Weges dieselbe bleibt, und dennoch auch auf derselben sich die
Abneigung zeigt. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass durch die
Belastung der auswendigen Seite im Schulterherein, mithin gegen
die Rippenbiegung, die Belastung schwächer auf die Hinterhand
wirkt, als beim Travers, wo sie in die Rippenbiegung fällt. Auch
mag dadurch, dass beim Travers Kopfstellung und Reitergewicht der-
selben Seite zufallen, eine grössere Belastung herbeigeführt werden,
als da, wo sie auseinandergehen. Ich möchte hieraus den Schluss
ziehen, dass man bei langen biegsamen Pferden mit dem Travers
als der leichteren Lection beginne, und bei den kurzen und un-
biegsamen mit dem Schulterherein. Contreschulterherein
und Renvers sind als Varianten zu betrachten, welche in der
Wesentlichkeit nichts ändern, indess je nachdem den Vortheil der
Bande resp. der freien Bahn gewähren. Will man nämlich ein
Pferd, welches im Schulterherein vorwärts drängt, ohne stärkere
Zügeleinwirkung corrigiren, so nehme man es in Contreschul-
terherein, und es wird bei gleicher Stellung die Bande ein na-
türliches Hinderniss bilden und den Vortheil gewähren, dass das
Thier die Verlegung seines Schwerpunktes von selbst mehr nach
rückwärts nimmt, wozu ich mich sonst anderer Mittel bedienen
musste und mithin den vortreibenden Schenkel kräftig brauchen
kann, ohne eine verhältnissmässig starke Gegenwirkung des Zügels
nöthig zu haben. Bei Pferden, die man das Untersetzen der Hin-
terhand lehren will, bei denen aber z. B. ein übermässig biegsames
Sprunggelenk die Zügeleinwirkung nachtheilig macht, ist dieser
Vortheil nicht von der Hand zu weisen. Verhält sich andererseits
ein Pferd im Travers und man möchte es auf den inwendigen
Schenkel vortreten lassen, so nehme man es in Renvers und man
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Krane, Friedrich von: Die Dressur des Reitpferdes (Campagne- und Gebrauchs-Pferdes). Münster, 1856, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856/247>, abgerufen am 21.11.2024.
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