Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krane, Friedrich von: Die Dressur des Reitpferdes (Campagne- und Gebrauchs-Pferdes). Münster, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Abschnitt. Zweites Kapitel.
vorwärts aus dem Gleichgewicht, sich des Halses zum Zurück-
bringen ihres Schwerpunktes nicht mehr bedienen können.

Namentlich sind es russische Pferde, welche mir diese Erfah-
rung aufgedrungen haben, die ich später bei einigen ungünstigen
preussischen Gebäuden wiederholt fand.

Oft kommen Pferde vor, welche sehr rasch ihre Halsbiegung
vom vollkommen zurückgebogenen Hirschhalse in die überzäumte
tiefe Stellung zu verändern wissen, aber nie in die regelmässige zu
bringen sind. Man pflegt sie Wendehälse zu nennen. Meist
Opfer unrichtiger Dressur, sind sie schwer zu heilen. Sie sind
es namentlich, welche mit der Trense unendlich hoch aufgerichtet
wurden, und bei denen die Kandare das Geschäft der Beizäumung
allein hat besorgen müssen. Ein Eingreifen in die Trense bringt
sie in den Exzess, das Anstehen der Kandare in den Defect.

Pferde, welche sich so tief abwärts beigeben, dass
der Anzug im Halse stecken bleibt, sind bei steilem Halsansatze
und schwerem Hals und Kopf, schlaffer Muskulatur, langem, wei-
chem Rücken und steiler Hinterhand ebenfalls sehr schwer zu bes-
sern, doch muss die Erhebung durchaus erfolgen, weil nicht nur
die Verlegung des Schwerpunktes bei ihnen unmöglich wird, und
keine mechanische Fortpflanzung des Druckes erzielt werden kann,
sondern, weil im Gegensatz zu den vorigen, kein Selbsttragen des
Halses, und somit in den Gängen keine richtige Gewichtsverthei-
lung zu erzielen ist. Bei ihnen ist ein Aufsatzzügel oft das
einzige Hülfsmittel, indem er den Hals trägt, was des Reiters Hand
auf die Dauer nicht zu leisten vermöchte. Für den Dienstgebrauch
ist es allerdings nicht rathsam, sich dauernd dieses Hülfszügels zu
bedienen, indem die Sicherheit des Thieres in schwierigem Terrain
wesentlich durch seine Anwendung leidet. Longiren und Dressur
unter dem spanischen Reiter sind in diesem Falle oft von grossem
Nutzen. Beim spanischen Reiter geht der Stetigkeit des Zügels ein
Anspannen der Feder voran. Das Nachgeben der Feder zeigt
dem Longirenden, dass das Thier sich selbst trägt, was er beim
Longiren beim blossen Gebrauch des Aufsatzzügels sehr schwer
gewahr wird.

Wir finden beim rohen Pferde den Hals in einer be-
stimmten, ihm zur Gewohnheit gewordenen Form
, die
sich theils aus körperlichen Verhältnissen, theils durch Erziehung

III. Abschnitt. Zweites Kapitel.
vorwärts aus dem Gleichgewicht, sich des Halses zum Zurück-
bringen ihres Schwerpunktes nicht mehr bedienen können.

Namentlich sind es russische Pferde, welche mir diese Erfah-
rung aufgedrungen haben, die ich später bei einigen ungünstigen
preussischen Gebäuden wiederholt fand.

Oft kommen Pferde vor, welche sehr rasch ihre Halsbiegung
vom vollkommen zurückgebogenen Hirschhalse in die überzäumte
tiefe Stellung zu verändern wissen, aber nie in die regelmässige zu
bringen sind. Man pflegt sie Wendehälse zu nennen. Meist
Opfer unrichtiger Dressur, sind sie schwer zu heilen. Sie sind
es namentlich, welche mit der Trense unendlich hoch aufgerichtet
wurden, und bei denen die Kandare das Geschäft der Beizäumung
allein hat besorgen müssen. Ein Eingreifen in die Trense bringt
sie in den Exzess, das Anstehen der Kandare in den Defect.

Pferde, welche sich so tief abwärts beigeben, dass
der Anzug im Halse stecken bleibt, sind bei steilem Halsansatze
und schwerem Hals und Kopf, schlaffer Muskulatur, langem, wei-
chem Rücken und steiler Hinterhand ebenfalls sehr schwer zu bes-
sern, doch muss die Erhebung durchaus erfolgen, weil nicht nur
die Verlegung des Schwerpunktes bei ihnen unmöglich wird, und
keine mechanische Fortpflanzung des Druckes erzielt werden kann,
sondern, weil im Gegensatz zu den vorigen, kein Selbsttragen des
Halses, und somit in den Gängen keine richtige Gewichtsverthei-
lung zu erzielen ist. Bei ihnen ist ein Aufsatzzügel oft das
einzige Hülfsmittel, indem er den Hals trägt, was des Reiters Hand
auf die Dauer nicht zu leisten vermöchte. Für den Dienstgebrauch
ist es allerdings nicht rathsam, sich dauernd dieses Hülfszügels zu
bedienen, indem die Sicherheit des Thieres in schwierigem Terrain
wesentlich durch seine Anwendung leidet. Longiren und Dressur
unter dem spanischen Reiter sind in diesem Falle oft von grossem
Nutzen. Beim spanischen Reiter geht der Stetigkeit des Zügels ein
Anspannen der Feder voran. Das Nachgeben der Feder zeigt
dem Longirenden, dass das Thier sich selbst trägt, was er beim
Longiren beim blossen Gebrauch des Aufsatzzügels sehr schwer
gewahr wird.

Wir finden beim rohen Pferde den Hals in einer be-
stimmten, ihm zur Gewohnheit gewordenen Form
, die
sich theils aus körperlichen Verhältnissen, theils durch Erziehung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0134" n="112"/><fw place="top" type="header">III. Abschnitt. Zweites Kapitel.</fw><lb/>
vorwärts aus dem Gleichgewicht, sich des Halses zum Zurück-<lb/>
bringen ihres Schwerpunktes nicht mehr bedienen können.</p><lb/>
            <p>Namentlich sind es russische Pferde, welche mir diese Erfah-<lb/>
rung aufgedrungen haben, die ich später bei einigen ungünstigen<lb/>
preussischen Gebäuden wiederholt fand.</p><lb/>
            <p>Oft kommen Pferde vor, welche sehr rasch ihre Halsbiegung<lb/>
vom vollkommen zurückgebogenen Hirschhalse in die überzäumte<lb/>
tiefe Stellung zu verändern wissen, aber nie in die regelmässige zu<lb/>
bringen sind. Man pflegt sie <hi rendition="#g">Wendehälse</hi> zu nennen. Meist<lb/>
Opfer unrichtiger Dressur, sind sie schwer zu heilen. Sie sind<lb/>
es namentlich, welche mit der Trense unendlich hoch aufgerichtet<lb/>
wurden, und bei denen die Kandare das Geschäft der Beizäumung<lb/>
allein hat besorgen müssen. Ein Eingreifen in die Trense bringt<lb/>
sie in den Exzess, das Anstehen der Kandare in den Defect.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Pferde, welche sich so tief abwärts beigeben</hi>, dass<lb/>
der Anzug im Halse stecken bleibt, sind bei steilem Halsansatze<lb/>
und schwerem Hals und Kopf, schlaffer Muskulatur, langem, wei-<lb/>
chem Rücken und steiler Hinterhand ebenfalls sehr schwer zu bes-<lb/>
sern, doch muss die Erhebung durchaus erfolgen, weil nicht nur<lb/>
die Verlegung des Schwerpunktes bei ihnen unmöglich wird, und<lb/>
keine mechanische Fortpflanzung des Druckes erzielt werden kann,<lb/>
sondern, weil im Gegensatz zu den vorigen, kein Selbsttragen des<lb/>
Halses, und somit in den Gängen keine richtige Gewichtsverthei-<lb/>
lung zu erzielen ist. Bei ihnen ist ein <hi rendition="#g">Aufsatzzügel</hi> oft das<lb/>
einzige Hülfsmittel, indem er den Hals trägt, was des Reiters Hand<lb/>
auf die Dauer nicht zu leisten vermöchte. Für den Dienstgebrauch<lb/>
ist es allerdings nicht rathsam, sich dauernd dieses Hülfszügels zu<lb/>
bedienen, indem die Sicherheit des Thieres in schwierigem Terrain<lb/>
wesentlich durch seine Anwendung leidet. Longiren und Dressur<lb/>
unter dem spanischen Reiter sind in diesem Falle oft von grossem<lb/>
Nutzen. Beim spanischen Reiter geht der Stetigkeit des Zügels ein<lb/>
Anspannen der Feder voran. Das Nachgeben der Feder zeigt<lb/>
dem Longirenden, dass das Thier sich selbst trägt, was er beim<lb/>
Longiren beim blossen Gebrauch des Aufsatzzügels sehr schwer<lb/>
gewahr wird.</p><lb/>
            <p>Wir finden <hi rendition="#g">beim rohen Pferde</hi> den Hals in <hi rendition="#g">einer be-<lb/>
stimmten, ihm zur Gewohnheit gewordenen Form</hi>, die<lb/>
sich theils aus körperlichen Verhältnissen, theils durch Erziehung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0134] III. Abschnitt. Zweites Kapitel. vorwärts aus dem Gleichgewicht, sich des Halses zum Zurück- bringen ihres Schwerpunktes nicht mehr bedienen können. Namentlich sind es russische Pferde, welche mir diese Erfah- rung aufgedrungen haben, die ich später bei einigen ungünstigen preussischen Gebäuden wiederholt fand. Oft kommen Pferde vor, welche sehr rasch ihre Halsbiegung vom vollkommen zurückgebogenen Hirschhalse in die überzäumte tiefe Stellung zu verändern wissen, aber nie in die regelmässige zu bringen sind. Man pflegt sie Wendehälse zu nennen. Meist Opfer unrichtiger Dressur, sind sie schwer zu heilen. Sie sind es namentlich, welche mit der Trense unendlich hoch aufgerichtet wurden, und bei denen die Kandare das Geschäft der Beizäumung allein hat besorgen müssen. Ein Eingreifen in die Trense bringt sie in den Exzess, das Anstehen der Kandare in den Defect. Pferde, welche sich so tief abwärts beigeben, dass der Anzug im Halse stecken bleibt, sind bei steilem Halsansatze und schwerem Hals und Kopf, schlaffer Muskulatur, langem, wei- chem Rücken und steiler Hinterhand ebenfalls sehr schwer zu bes- sern, doch muss die Erhebung durchaus erfolgen, weil nicht nur die Verlegung des Schwerpunktes bei ihnen unmöglich wird, und keine mechanische Fortpflanzung des Druckes erzielt werden kann, sondern, weil im Gegensatz zu den vorigen, kein Selbsttragen des Halses, und somit in den Gängen keine richtige Gewichtsverthei- lung zu erzielen ist. Bei ihnen ist ein Aufsatzzügel oft das einzige Hülfsmittel, indem er den Hals trägt, was des Reiters Hand auf die Dauer nicht zu leisten vermöchte. Für den Dienstgebrauch ist es allerdings nicht rathsam, sich dauernd dieses Hülfszügels zu bedienen, indem die Sicherheit des Thieres in schwierigem Terrain wesentlich durch seine Anwendung leidet. Longiren und Dressur unter dem spanischen Reiter sind in diesem Falle oft von grossem Nutzen. Beim spanischen Reiter geht der Stetigkeit des Zügels ein Anspannen der Feder voran. Das Nachgeben der Feder zeigt dem Longirenden, dass das Thier sich selbst trägt, was er beim Longiren beim blossen Gebrauch des Aufsatzzügels sehr schwer gewahr wird. Wir finden beim rohen Pferde den Hals in einer be- stimmten, ihm zur Gewohnheit gewordenen Form, die sich theils aus körperlichen Verhältnissen, theils durch Erziehung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856/134
Zitationshilfe: Krane, Friedrich von: Die Dressur des Reitpferdes (Campagne- und Gebrauchs-Pferdes). Münster, 1856, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856/134>, abgerufen am 28.04.2024.