Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krafft, Guido: Lehrbuch der Landwirthschaft auf wissenschaftlicher und praktischer Grundlage. Bd. 3. Berlin, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Thierzuchtlehre.
Elternthiere wird man desungeachtet nicht nur die Eigenschaften der Individuen,
sondern auch ihre Abstammung in Betracht ziehen, da es nicht gleichgiltig sein kann,
ob z. B. die ausgewählten Individuen dem Vollblute oder Halbblute angehören.
Die Reinheit der Race bleibt dagegen ohne besonderen Einfluß auf die Vererbung.

Bei der speciellen Auswahl der Zuchtthiere wird man bei jener des männ-
lichen Thieres mit besonderer Sorgfalt vorzugehen haben. Wenn auch dem
männlichen Thiere kein überwiegender Einfluß auf die Vererbung zuerkannt werden
kann, so überträgt es doch seine Charaktere auf eine größere Anzahl von Nachkommen,
während das Mutterthier in den meisten Fällen nur auf die Entstehung je eines
Individuums Einfluß nimmt.

Bei der Auswahl der Zuchtthiere handelt es sich nicht allein um die äußere
Form, sondern auch um die Kenntniß der Nutzungseigenschaften, welche mit der Form
in Verbindung stehen. Für letztere wird die äußere Erscheinung des Thieres allein
nicht immer den sichersten Anhalt gewähren. Es wird in dieser Beziehung verläß-
licher sein, nicht nur die Leistungsfähigkeit des Individuums, sondern auch die seiner
Voreltern zu berücksichtigen. In dieser Beziehung werden dem Züchter zweckentsprechend
angelegte Stamm- und Züchtungs-Register eine sehr werthvolle Stütze für
seine Bestrebungen abgeben. In dieselben ist nicht nur die Abstammung des Zucht-
thieres, sondern auch seine Beschreibung, seine Leistungsfähigkeit mit Rücksicht auf
seinen Gebrauchs- und Zuchtwerth aufzunehmen. Derartige Stammbücher sind
unerläßlich zur individuellen Zutheilung der Zuchtthiere oder zur sogenannten Paa-
rung aus der Hand
. Letztere allein ermöglicht wieder die Erreichung höherer
züchterischer Ziele. In Ländern, in welchen die Entwickelung der Viehzucht eine höhere
Stufe erreicht hat, werden insbesondere über die männlichen Zuchtthiere und über die
Charaktere der einzelnen Heerden öffentliche "Heerdbücher"1) geführt.

Von den männlichen und weiblichen Zuchtthieren verlangt man schließlich im
Allgemeinen: 1. vollkommene Gesundheit und rege Lebensthätigkeit, 2. daß sie die
gewünschten Nutzungseigenschaften in möglichster Vollkommenheit besitzen, 3. Vererbungs-
fähigkeit und 4. proportionirten Körperbau.

5. Das Exterieur.

Bei der Wahl eines Thieres zur Zucht handelt es sich, wie oben bemerkt, vor
Allem darum, ob das betreffende Thier jene Nutzungseigenschaften besitzt, welche
durch die Zucht vorzugsweise angestrebt werden. Diese Nutzungseigenschaften werden
erst durch die Nutzung des Thieres bekannt. Oft ist es jedoch erforderlich, wie
z. B. bei dem Ankaufe eines Zuchtthieres, bei der Auswahl unter den zur Auf-
zucht bestimmten jungen Thieren, einen ungefähren Anhaltspunkt für die nicht be-

1) H. Settegast, A. Krocker und P. Parey, Deutsches Heerdbuch. Ein Verzeichniß
von Individuen und Zuchten edler Thiere Deutschlands, 4 Bde., 1865--1875; Englisches,
französisches, niederösterreichisches, steierisches, böhmisches Heerdbuch etc.

Allgemeine Thierzuchtlehre.
Elternthiere wird man desungeachtet nicht nur die Eigenſchaften der Individuen,
ſondern auch ihre Abſtammung in Betracht ziehen, da es nicht gleichgiltig ſein kann,
ob z. B. die ausgewählten Individuen dem Vollblute oder Halbblute angehören.
Die Reinheit der Race bleibt dagegen ohne beſonderen Einfluß auf die Vererbung.

Bei der ſpeciellen Auswahl der Zuchtthiere wird man bei jener des männ-
lichen Thieres mit beſonderer Sorgfalt vorzugehen haben. Wenn auch dem
männlichen Thiere kein überwiegender Einfluß auf die Vererbung zuerkannt werden
kann, ſo überträgt es doch ſeine Charaktere auf eine größere Anzahl von Nachkommen,
während das Mutterthier in den meiſten Fällen nur auf die Entſtehung je eines
Individuums Einfluß nimmt.

Bei der Auswahl der Zuchtthiere handelt es ſich nicht allein um die äußere
Form, ſondern auch um die Kenntniß der Nutzungseigenſchaften, welche mit der Form
in Verbindung ſtehen. Für letztere wird die äußere Erſcheinung des Thieres allein
nicht immer den ſicherſten Anhalt gewähren. Es wird in dieſer Beziehung verläß-
licher ſein, nicht nur die Leiſtungsfähigkeit des Individuums, ſondern auch die ſeiner
Voreltern zu berückſichtigen. In dieſer Beziehung werden dem Züchter zweckentſprechend
angelegte Stamm- und Züchtungs-Regiſter eine ſehr werthvolle Stütze für
ſeine Beſtrebungen abgeben. In dieſelben iſt nicht nur die Abſtammung des Zucht-
thieres, ſondern auch ſeine Beſchreibung, ſeine Leiſtungsfähigkeit mit Rückſicht auf
ſeinen Gebrauchs- und Zuchtwerth aufzunehmen. Derartige Stammbücher ſind
unerläßlich zur individuellen Zutheilung der Zuchtthiere oder zur ſogenannten Paa-
rung aus der Hand
. Letztere allein ermöglicht wieder die Erreichung höherer
züchteriſcher Ziele. In Ländern, in welchen die Entwickelung der Viehzucht eine höhere
Stufe erreicht hat, werden insbeſondere über die männlichen Zuchtthiere und über die
Charaktere der einzelnen Heerden öffentliche „Heerdbücher“1) geführt.

Von den männlichen und weiblichen Zuchtthieren verlangt man ſchließlich im
Allgemeinen: 1. vollkommene Geſundheit und rege Lebensthätigkeit, 2. daß ſie die
gewünſchten Nutzungseigenſchaften in möglichſter Vollkommenheit beſitzen, 3. Vererbungs-
fähigkeit und 4. proportionirten Körperbau.

5. Das Exterieur.

Bei der Wahl eines Thieres zur Zucht handelt es ſich, wie oben bemerkt, vor
Allem darum, ob das betreffende Thier jene Nutzungseigenſchaften beſitzt, welche
durch die Zucht vorzugsweiſe angeſtrebt werden. Dieſe Nutzungseigenſchaften werden
erſt durch die Nutzung des Thieres bekannt. Oft iſt es jedoch erforderlich, wie
z. B. bei dem Ankaufe eines Zuchtthieres, bei der Auswahl unter den zur Auf-
zucht beſtimmten jungen Thieren, einen ungefähren Anhaltspunkt für die nicht be-

1) H. Settegaſt, A. Krocker und P. Parey, Deutſches Heerdbuch. Ein Verzeichniß
von Individuen und Zuchten edler Thiere Deutſchlands, 4 Bde., 1865—1875; Engliſches,
franzöſiſches, niederöſterreichiſches, ſteieriſches, böhmiſches Heerdbuch ꝛc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0052" n="36"/><fw place="top" type="header">Allgemeine Thierzuchtlehre.</fw><lb/>
Elternthiere wird man desungeachtet nicht nur die Eigen&#x017F;chaften der Individuen,<lb/>
&#x017F;ondern auch ihre Ab&#x017F;tammung in Betracht ziehen, da es nicht gleichgiltig &#x017F;ein kann,<lb/>
ob z. B. die ausgewählten Individuen dem Vollblute oder Halbblute angehören.<lb/>
Die Reinheit der Race bleibt dagegen ohne be&#x017F;onderen Einfluß auf die Vererbung.</p><lb/>
                <p>Bei der &#x017F;peciellen Auswahl der Zuchtthiere wird man bei jener des männ-<lb/>
lichen Thieres mit be&#x017F;onderer Sorgfalt vorzugehen haben. Wenn auch dem<lb/>
männlichen Thiere kein überwiegender Einfluß auf die Vererbung zuerkannt werden<lb/>
kann, &#x017F;o überträgt es doch &#x017F;eine Charaktere auf eine größere Anzahl von Nachkommen,<lb/>
während das Mutterthier in den mei&#x017F;ten Fällen nur auf die Ent&#x017F;tehung je eines<lb/>
Individuums Einfluß nimmt.</p><lb/>
                <p>Bei der Auswahl der Zuchtthiere handelt es &#x017F;ich nicht allein um die äußere<lb/>
Form, &#x017F;ondern auch um die Kenntniß der Nutzungseigen&#x017F;chaften, welche mit der Form<lb/>
in Verbindung &#x017F;tehen. Für letztere wird die äußere Er&#x017F;cheinung des Thieres allein<lb/>
nicht immer den &#x017F;icher&#x017F;ten Anhalt gewähren. Es wird in die&#x017F;er Beziehung verläß-<lb/>
licher &#x017F;ein, nicht nur die Lei&#x017F;tungsfähigkeit des Individuums, &#x017F;ondern auch die &#x017F;einer<lb/>
Voreltern zu berück&#x017F;ichtigen. In die&#x017F;er Beziehung werden dem Züchter zweckent&#x017F;prechend<lb/>
angelegte <hi rendition="#g">Stamm-</hi> und <hi rendition="#g">Züchtungs</hi>-Regi&#x017F;ter eine &#x017F;ehr werthvolle Stütze für<lb/>
&#x017F;eine Be&#x017F;trebungen abgeben. In die&#x017F;elben i&#x017F;t nicht nur die Ab&#x017F;tammung des Zucht-<lb/>
thieres, &#x017F;ondern auch &#x017F;eine Be&#x017F;chreibung, &#x017F;eine Lei&#x017F;tungsfähigkeit mit Rück&#x017F;icht auf<lb/>
&#x017F;einen Gebrauchs- und Zuchtwerth aufzunehmen. Derartige Stammbücher &#x017F;ind<lb/>
unerläßlich zur individuellen Zutheilung der Zuchtthiere oder zur &#x017F;ogenannten <hi rendition="#g">Paa-<lb/>
rung aus der Hand</hi>. Letztere allein ermöglicht wieder die Erreichung höherer<lb/>
züchteri&#x017F;cher Ziele. In Ländern, in welchen die Entwickelung der Viehzucht eine höhere<lb/>
Stufe erreicht hat, werden insbe&#x017F;ondere über die männlichen Zuchtthiere und über die<lb/>
Charaktere der einzelnen Heerden öffentliche &#x201E;Heerdbücher&#x201C;<note place="foot" n="1)">H. Settega&#x017F;t, A. Krocker und P. Parey, Deut&#x017F;ches Heerdbuch. Ein Verzeichniß<lb/>
von Individuen und Zuchten edler Thiere Deut&#x017F;chlands, 4 Bde., 1865&#x2014;1875; Engli&#x017F;ches,<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;ches, niederö&#x017F;terreichi&#x017F;ches, &#x017F;teieri&#x017F;ches, böhmi&#x017F;ches Heerdbuch &#xA75B;c.</note> geführt.</p><lb/>
                <p>Von den männlichen und weiblichen Zuchtthieren verlangt man &#x017F;chließlich im<lb/>
Allgemeinen: 1. vollkommene Ge&#x017F;undheit und rege Lebensthätigkeit, 2. daß &#x017F;ie die<lb/>
gewün&#x017F;chten Nutzungseigen&#x017F;chaften in möglich&#x017F;ter Vollkommenheit be&#x017F;itzen, 3. Vererbungs-<lb/>
fähigkeit und 4. proportionirten Körperbau.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b">5. Das Exterieur.</hi> </head><lb/>
                <p>Bei der Wahl eines Thieres zur Zucht handelt es &#x017F;ich, wie oben bemerkt, vor<lb/>
Allem darum, ob das betreffende Thier jene Nutzungseigen&#x017F;chaften be&#x017F;itzt, welche<lb/>
durch die Zucht vorzugswei&#x017F;e ange&#x017F;trebt werden. Die&#x017F;e Nutzungseigen&#x017F;chaften werden<lb/>
er&#x017F;t durch die Nutzung des Thieres bekannt. Oft i&#x017F;t es jedoch erforderlich, wie<lb/>
z. B. bei dem Ankaufe eines Zuchtthieres, bei der Auswahl unter den zur Auf-<lb/>
zucht be&#x017F;timmten jungen Thieren, einen ungefähren Anhaltspunkt für die nicht be-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0052] Allgemeine Thierzuchtlehre. Elternthiere wird man desungeachtet nicht nur die Eigenſchaften der Individuen, ſondern auch ihre Abſtammung in Betracht ziehen, da es nicht gleichgiltig ſein kann, ob z. B. die ausgewählten Individuen dem Vollblute oder Halbblute angehören. Die Reinheit der Race bleibt dagegen ohne beſonderen Einfluß auf die Vererbung. Bei der ſpeciellen Auswahl der Zuchtthiere wird man bei jener des männ- lichen Thieres mit beſonderer Sorgfalt vorzugehen haben. Wenn auch dem männlichen Thiere kein überwiegender Einfluß auf die Vererbung zuerkannt werden kann, ſo überträgt es doch ſeine Charaktere auf eine größere Anzahl von Nachkommen, während das Mutterthier in den meiſten Fällen nur auf die Entſtehung je eines Individuums Einfluß nimmt. Bei der Auswahl der Zuchtthiere handelt es ſich nicht allein um die äußere Form, ſondern auch um die Kenntniß der Nutzungseigenſchaften, welche mit der Form in Verbindung ſtehen. Für letztere wird die äußere Erſcheinung des Thieres allein nicht immer den ſicherſten Anhalt gewähren. Es wird in dieſer Beziehung verläß- licher ſein, nicht nur die Leiſtungsfähigkeit des Individuums, ſondern auch die ſeiner Voreltern zu berückſichtigen. In dieſer Beziehung werden dem Züchter zweckentſprechend angelegte Stamm- und Züchtungs-Regiſter eine ſehr werthvolle Stütze für ſeine Beſtrebungen abgeben. In dieſelben iſt nicht nur die Abſtammung des Zucht- thieres, ſondern auch ſeine Beſchreibung, ſeine Leiſtungsfähigkeit mit Rückſicht auf ſeinen Gebrauchs- und Zuchtwerth aufzunehmen. Derartige Stammbücher ſind unerläßlich zur individuellen Zutheilung der Zuchtthiere oder zur ſogenannten Paa- rung aus der Hand. Letztere allein ermöglicht wieder die Erreichung höherer züchteriſcher Ziele. In Ländern, in welchen die Entwickelung der Viehzucht eine höhere Stufe erreicht hat, werden insbeſondere über die männlichen Zuchtthiere und über die Charaktere der einzelnen Heerden öffentliche „Heerdbücher“ 1) geführt. Von den männlichen und weiblichen Zuchtthieren verlangt man ſchließlich im Allgemeinen: 1. vollkommene Geſundheit und rege Lebensthätigkeit, 2. daß ſie die gewünſchten Nutzungseigenſchaften in möglichſter Vollkommenheit beſitzen, 3. Vererbungs- fähigkeit und 4. proportionirten Körperbau. 5. Das Exterieur. Bei der Wahl eines Thieres zur Zucht handelt es ſich, wie oben bemerkt, vor Allem darum, ob das betreffende Thier jene Nutzungseigenſchaften beſitzt, welche durch die Zucht vorzugsweiſe angeſtrebt werden. Dieſe Nutzungseigenſchaften werden erſt durch die Nutzung des Thieres bekannt. Oft iſt es jedoch erforderlich, wie z. B. bei dem Ankaufe eines Zuchtthieres, bei der Auswahl unter den zur Auf- zucht beſtimmten jungen Thieren, einen ungefähren Anhaltspunkt für die nicht be- 1) H. Settegaſt, A. Krocker und P. Parey, Deutſches Heerdbuch. Ein Verzeichniß von Individuen und Zuchten edler Thiere Deutſchlands, 4 Bde., 1865—1875; Engliſches, franzöſiſches, niederöſterreichiſches, ſteieriſches, böhmiſches Heerdbuch ꝛc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krafft_landwirthschaft03_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krafft_landwirthschaft03_1876/52
Zitationshilfe: Krafft, Guido: Lehrbuch der Landwirthschaft auf wissenschaftlicher und praktischer Grundlage. Bd. 3. Berlin, 1876, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krafft_landwirthschaft03_1876/52>, abgerufen am 24.11.2024.