Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

qualitative Auffassung des Sinneseindruckes ab. Dieser Vorgang muss
daher durch die Alkoholwirkung erschwert werden. Dagegen tritt in
der Wahlreaction zur Unterscheidung noch die Auswahl zwischen
2 Bewegungen hinzu. Wenn wir hier neben der auf die Unter-
scheidung entfallenden Verlangsamung unter Umständen noch eine
entschiedene Beschleunigung im Beginne der Alkoholwirkung auf-
finden, so kann dieselbe nur den Wahlact betreffen. So wird auch
das Verhalten der einfachen Reaction verständlich, in der sich die
Auffassung des Sinneseindruckes unmittelbar mit der Auslösung der
Bewegung verknüpft. Erschwerung der ersteren geht hier mit Er-
leichterung der letzteren Hand in Hand. Je mehr in den verwickel-
teren Reactionsformen der eine oder der andere der beiden Vorgänge
in den Vordergrund tritt, desto mehr überwiegt die eine oder die
andere Wirkung. Dabei kommt überall die Verkürzung früher zur
Entwicklung, als die Verlängerung; die erstere scheint ihr Maximum
schneller zu erreichen, als die letztere, dafür aber die Verlängerung
weit höhere Beträge zu erreichen, als die Verkürzung. Sie überwiegt
daher bei grösseren Gaben sehr bald oder von vornherein die Ver-
kürzung, und zwar um so stärker, je mehr die Reactionsform über-
haupt dem verlangsamenden Einflusse des Alkohols zugänglich ist,
je mehr in ihr die Auffassung des Eindruckes gegenüber der Auslösung
der Bewegung zurücktritt. Die Neigung zur Beschleunigung des
Willensactes besteht trotz der Verlangsamung der Gesammtreaction
noch lange Zeit fort, wie nicht nur das subjective Gefühl sehr rascher
Reaction, sondern namentlich auch das andauernde Auftreten von
vorzeitigen und Fehlreactionen beweist. Bei kleineren Alkoholgaben
dauert die Verkürzung länger an, als bei grösseren; die Verlängerung
kann hier anscheinend ebenso ganz wegfallen, wie die Verkürzung bei
grosser Dosis.

Die wesentliche Uebereinstimmung aller dieser Erfahrungen mit
den Schlüssen, die ich früher aus denselben, wie aus den combinirten
Versuchsreihen ziehen konnte, liegt auf der Hand. Die Verschiedenheit
der Berechnungsart hat somit die Ergebnisse in keiner Weise beein-
flusst. Ohne Zweifel aber gestaltet sich die Methode des wahrschein-
lichen Mittels, soweit sie überhaupt anwendbar erscheint, viel über-
sichtlicher und sicherer, als die früher geübte Verwerthung der Be-
obachtungen. Ich glaube, dass eine zuverlässigere Darstellung der un-
mittelbar vorliegenden Versuchsresultate schwerlich gefunden werden
dürfte. Allerdings aber lässt sich gegen die Versuche selbst noch ein
schwerwiegender Einwand erheben, der leider jetzt nicht mehr mit

qualitative Auffassung des Sinneseindruckes ab. Dieser Vorgang muss
daher durch die Alkoholwirkung erschwert werden. Dagegen tritt in
der Wahlreaction zur Unterscheidung noch die Auswahl zwischen
2 Bewegungen hinzu. Wenn wir hier neben der auf die Unter-
scheidung entfallenden Verlangsamung unter Umständen noch eine
entschiedene Beschleunigung im Beginne der Alkoholwirkung auf-
finden, so kann dieselbe nur den Wahlact betreffen. So wird auch
das Verhalten der einfachen Reaction verständlich, in der sich die
Auffassung des Sinneseindruckes unmittelbar mit der Auslösung der
Bewegung verknüpft. Erschwerung der ersteren geht hier mit Er-
leichterung der letzteren Hand in Hand. Je mehr in den verwickel-
teren Reactionsformen der eine oder der andere der beiden Vorgänge
in den Vordergrund tritt, desto mehr überwiegt die eine oder die
andere Wirkung. Dabei kommt überall die Verkürzung früher zur
Entwicklung, als die Verlängerung; die erstere scheint ihr Maximum
schneller zu erreichen, als die letztere, dafür aber die Verlängerung
weit höhere Beträge zu erreichen, als die Verkürzung. Sie überwiegt
daher bei grösseren Gaben sehr bald oder von vornherein die Ver-
kürzung, und zwar um so stärker, je mehr die Reactionsform über-
haupt dem verlangsamenden Einflusse des Alkohols zugänglich ist,
je mehr in ihr die Auffassung des Eindruckes gegenüber der Auslösung
der Bewegung zurücktritt. Die Neigung zur Beschleunigung des
Willensactes besteht trotz der Verlangsamung der Gesammtreaction
noch lange Zeit fort, wie nicht nur das subjective Gefühl sehr rascher
Reaction, sondern namentlich auch das andauernde Auftreten von
vorzeitigen und Fehlreactionen beweist. Bei kleineren Alkoholgaben
dauert die Verkürzung länger an, als bei grösseren; die Verlängerung
kann hier anscheinend ebenso ganz wegfallen, wie die Verkürzung bei
grosser Dosis.

Die wesentliche Uebereinstimmung aller dieser Erfahrungen mit
den Schlüssen, die ich früher aus denselben, wie aus den combinirten
Versuchsreihen ziehen konnte, liegt auf der Hand. Die Verschiedenheit
der Berechnungsart hat somit die Ergebnisse in keiner Weise beein-
flusst. Ohne Zweifel aber gestaltet sich die Methode des wahrschein-
lichen Mittels, soweit sie überhaupt anwendbar erscheint, viel über-
sichtlicher und sicherer, als die früher geübte Verwerthung der Be-
obachtungen. Ich glaube, dass eine zuverlässigere Darstellung der un-
mittelbar vorliegenden Versuchsresultate schwerlich gefunden werden
dürfte. Allerdings aber lässt sich gegen die Versuche selbst noch ein
schwerwiegender Einwand erheben, der leider jetzt nicht mehr mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="50"/>
qualitative Auffassung des Sinneseindruckes ab. Dieser Vorgang muss<lb/>
daher durch die Alkoholwirkung erschwert werden. Dagegen tritt in<lb/>
der Wahlreaction zur Unterscheidung noch die Auswahl zwischen<lb/>
2 Bewegungen hinzu. Wenn wir hier neben der auf die Unter-<lb/>
scheidung entfallenden Verlangsamung unter Umständen noch eine<lb/>
entschiedene Beschleunigung im Beginne der Alkoholwirkung auf-<lb/>
finden, so kann dieselbe nur den Wahlact betreffen. So wird auch<lb/>
das Verhalten der einfachen Reaction verständlich, in der sich die<lb/>
Auffassung des Sinneseindruckes unmittelbar mit der Auslösung der<lb/>
Bewegung verknüpft. Erschwerung der ersteren geht hier mit Er-<lb/>
leichterung der letzteren Hand in Hand. Je mehr in den verwickel-<lb/>
teren Reactionsformen der eine oder der andere der beiden Vorgänge<lb/>
in den Vordergrund tritt, desto mehr überwiegt die eine oder die<lb/>
andere Wirkung. Dabei kommt überall die Verkürzung früher zur<lb/>
Entwicklung, als die Verlängerung; die erstere scheint ihr Maximum<lb/>
schneller zu erreichen, als die letztere, dafür aber die Verlängerung<lb/>
weit höhere Beträge zu erreichen, als die Verkürzung. Sie überwiegt<lb/>
daher bei grösseren Gaben sehr bald oder von vornherein die Ver-<lb/>
kürzung, und zwar um so stärker, je mehr die Reactionsform über-<lb/>
haupt dem verlangsamenden Einflusse des Alkohols zugänglich ist,<lb/>
je mehr in ihr die Auffassung des Eindruckes gegenüber der Auslösung<lb/>
der Bewegung zurücktritt. Die Neigung zur Beschleunigung des<lb/>
Willensactes besteht trotz der Verlangsamung der Gesammtreaction<lb/>
noch lange Zeit fort, wie nicht nur das subjective Gefühl sehr rascher<lb/>
Reaction, sondern namentlich auch das andauernde Auftreten von<lb/>
vorzeitigen und Fehlreactionen beweist. Bei kleineren Alkoholgaben<lb/>
dauert die Verkürzung länger an, als bei grösseren; die Verlängerung<lb/>
kann hier anscheinend ebenso ganz wegfallen, wie die Verkürzung bei<lb/>
grosser Dosis.</p><lb/>
          <p>Die wesentliche Uebereinstimmung aller dieser Erfahrungen mit<lb/>
den Schlüssen, die ich früher aus denselben, wie aus den combinirten<lb/>
Versuchsreihen ziehen konnte, liegt auf der Hand. Die Verschiedenheit<lb/>
der Berechnungsart hat somit die Ergebnisse in keiner Weise beein-<lb/>
flusst. Ohne Zweifel aber gestaltet sich die Methode des wahrschein-<lb/>
lichen Mittels, soweit sie überhaupt anwendbar erscheint, viel über-<lb/>
sichtlicher und sicherer, als die früher geübte Verwerthung der Be-<lb/>
obachtungen. Ich glaube, dass eine zuverlässigere Darstellung der un-<lb/>
mittelbar vorliegenden Versuchsresultate schwerlich gefunden werden<lb/>
dürfte. Allerdings aber lässt sich gegen die Versuche selbst noch ein<lb/>
schwerwiegender Einwand erheben, der leider jetzt nicht mehr mit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0066] qualitative Auffassung des Sinneseindruckes ab. Dieser Vorgang muss daher durch die Alkoholwirkung erschwert werden. Dagegen tritt in der Wahlreaction zur Unterscheidung noch die Auswahl zwischen 2 Bewegungen hinzu. Wenn wir hier neben der auf die Unter- scheidung entfallenden Verlangsamung unter Umständen noch eine entschiedene Beschleunigung im Beginne der Alkoholwirkung auf- finden, so kann dieselbe nur den Wahlact betreffen. So wird auch das Verhalten der einfachen Reaction verständlich, in der sich die Auffassung des Sinneseindruckes unmittelbar mit der Auslösung der Bewegung verknüpft. Erschwerung der ersteren geht hier mit Er- leichterung der letzteren Hand in Hand. Je mehr in den verwickel- teren Reactionsformen der eine oder der andere der beiden Vorgänge in den Vordergrund tritt, desto mehr überwiegt die eine oder die andere Wirkung. Dabei kommt überall die Verkürzung früher zur Entwicklung, als die Verlängerung; die erstere scheint ihr Maximum schneller zu erreichen, als die letztere, dafür aber die Verlängerung weit höhere Beträge zu erreichen, als die Verkürzung. Sie überwiegt daher bei grösseren Gaben sehr bald oder von vornherein die Ver- kürzung, und zwar um so stärker, je mehr die Reactionsform über- haupt dem verlangsamenden Einflusse des Alkohols zugänglich ist, je mehr in ihr die Auffassung des Eindruckes gegenüber der Auslösung der Bewegung zurücktritt. Die Neigung zur Beschleunigung des Willensactes besteht trotz der Verlangsamung der Gesammtreaction noch lange Zeit fort, wie nicht nur das subjective Gefühl sehr rascher Reaction, sondern namentlich auch das andauernde Auftreten von vorzeitigen und Fehlreactionen beweist. Bei kleineren Alkoholgaben dauert die Verkürzung länger an, als bei grösseren; die Verlängerung kann hier anscheinend ebenso ganz wegfallen, wie die Verkürzung bei grosser Dosis. Die wesentliche Uebereinstimmung aller dieser Erfahrungen mit den Schlüssen, die ich früher aus denselben, wie aus den combinirten Versuchsreihen ziehen konnte, liegt auf der Hand. Die Verschiedenheit der Berechnungsart hat somit die Ergebnisse in keiner Weise beein- flusst. Ohne Zweifel aber gestaltet sich die Methode des wahrschein- lichen Mittels, soweit sie überhaupt anwendbar erscheint, viel über- sichtlicher und sicherer, als die früher geübte Verwerthung der Be- obachtungen. Ich glaube, dass eine zuverlässigere Darstellung der un- mittelbar vorliegenden Versuchsresultate schwerlich gefunden werden dürfte. Allerdings aber lässt sich gegen die Versuche selbst noch ein schwerwiegender Einwand erheben, der leider jetzt nicht mehr mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/66
Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/66>, abgerufen am 21.11.2024.