Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.die Vermuthung, dass wir es hier mit wirklichen Thatsachen zu thun Es ist vielleicht nach unseren früheren Erfahrungen nicht unwahr- die Vermuthung, dass wir es hier mit wirklichen Thatsachen zu thun Es ist vielleicht nach unseren früheren Erfahrungen nicht unwahr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0206" n="190"/> die Vermuthung, dass wir es hier mit wirklichen Thatsachen zu thun<lb/> haben, durch die tiefere Verwandtschaft, in welcher diese qualitativen<lb/> Veränderungen unserer Vorstellungsverbindungen mit den Ergeb-<lb/> nissen der messenden Methode stehen. Bei allen unseren Unter-<lb/> suchungen haben wir es mit sprachlichen Associationen zu thun gehabt,<lb/> weil sie die wichtigsten und zugleich dem Experimente am leichtesten<lb/> zugänglich sind. Hier knüpft sich daher überall neben dem begriff-<lb/> lichen Bande, welches die innere Beziehung zweier Vorstellungen<lb/> repräsentirt, eine äussere, gewohnheitsmässige Verbindung zwischen<lb/> den zugehörigen sprachlichen Bezeichnungen, und diese Form der<lb/> Sprachgewohnheit ist es, in der uns fremde und eigene Gedanken-<lb/> arbeit jederzeit zum Gebrauche bereit liegt. Die Träger dieser sprach-<lb/> lichen Verbindungen sind aber wahrscheinlich ganz überwiegend Be-<lb/> wegungsvorstellungen. Wir eignen sie uns an, nicht sowol dadurch,<lb/> dass wir sie oft hören, sondern vor Allem, indem wir sie selbst immer<lb/> wiederholen. Dafür spricht schon der Umstand, dass wir die Be-<lb/> wegungen unserer Sprachmuskeln jederzeit willkürlich zu reproduciren<lb/> vermögen, die sinnlichen Sprachvorstellungen aber im Allgemeinen nur<lb/> durch gleichzeitige Innervation des motorischen Apparates.</p><lb/> <p>Es ist vielleicht nach unseren früheren Erfahrungen nicht unwahr-<lb/> scheinlich, dass hinsichtlich dieser Verhältnisse gewisse individuelle<lb/> Verschiedenheiten bestehen, dass die Erlernung einer Sprache bei dem<lb/> Einen mehr durch das Ohr, bei dem Andern mehr durch mechanische<lb/> Einübung mittels der Sprachmusculatur erfolgt, und wir dürfen wol<lb/> annehmen, dass zumeist beide Hülfsmittel gleichzeitig, wenn auch in<lb/> sehr verschiedenem Masse, in Anspruch genommen werden. Dass aber<lb/> eine Sprache ohne jegliche Beihülfe der Klangbilder erlernt werden<lb/> kann, zeigt das Beispiel der sprechenden Taubgeborenen. Jedenfalls<lb/> spielen für denjenigen, der eine Sprache nicht nur versteht, sondern<lb/> auch selber spricht, die Bewegungsvorstellungen für den Ablauf seiner<lb/> sprachlichen Aeusserungen eine um so grössere Rolle, je weniger seine<lb/> Aufmerksamkeit auf die begriffliche Bedeutung der in ihm auf-<lb/> tauchenden Vorstellungen gerichtet ist. Wir vermögen ein Gedicht,<lb/> eine Phrase mechanisch zu reproduciren, ohne uns dabei des Inhalts<lb/> derselben irgendwie bewusst zu werden, und wenn wir stocken, so ist<lb/> es nicht das Nachdenken über die Folge der Klang- und Schrift-<lb/> bilder oder gar über den Gedankengang, welches uns weiterhilft,<lb/> sondern wir wiederholen noch einmal die Reihe der Sprachbewegungen<lb/> in der häufig erfüllten Hoffnung, dass dieses Mal das gelockerte<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [190/0206]
die Vermuthung, dass wir es hier mit wirklichen Thatsachen zu thun
haben, durch die tiefere Verwandtschaft, in welcher diese qualitativen
Veränderungen unserer Vorstellungsverbindungen mit den Ergeb-
nissen der messenden Methode stehen. Bei allen unseren Unter-
suchungen haben wir es mit sprachlichen Associationen zu thun gehabt,
weil sie die wichtigsten und zugleich dem Experimente am leichtesten
zugänglich sind. Hier knüpft sich daher überall neben dem begriff-
lichen Bande, welches die innere Beziehung zweier Vorstellungen
repräsentirt, eine äussere, gewohnheitsmässige Verbindung zwischen
den zugehörigen sprachlichen Bezeichnungen, und diese Form der
Sprachgewohnheit ist es, in der uns fremde und eigene Gedanken-
arbeit jederzeit zum Gebrauche bereit liegt. Die Träger dieser sprach-
lichen Verbindungen sind aber wahrscheinlich ganz überwiegend Be-
wegungsvorstellungen. Wir eignen sie uns an, nicht sowol dadurch,
dass wir sie oft hören, sondern vor Allem, indem wir sie selbst immer
wiederholen. Dafür spricht schon der Umstand, dass wir die Be-
wegungen unserer Sprachmuskeln jederzeit willkürlich zu reproduciren
vermögen, die sinnlichen Sprachvorstellungen aber im Allgemeinen nur
durch gleichzeitige Innervation des motorischen Apparates.
Es ist vielleicht nach unseren früheren Erfahrungen nicht unwahr-
scheinlich, dass hinsichtlich dieser Verhältnisse gewisse individuelle
Verschiedenheiten bestehen, dass die Erlernung einer Sprache bei dem
Einen mehr durch das Ohr, bei dem Andern mehr durch mechanische
Einübung mittels der Sprachmusculatur erfolgt, und wir dürfen wol
annehmen, dass zumeist beide Hülfsmittel gleichzeitig, wenn auch in
sehr verschiedenem Masse, in Anspruch genommen werden. Dass aber
eine Sprache ohne jegliche Beihülfe der Klangbilder erlernt werden
kann, zeigt das Beispiel der sprechenden Taubgeborenen. Jedenfalls
spielen für denjenigen, der eine Sprache nicht nur versteht, sondern
auch selber spricht, die Bewegungsvorstellungen für den Ablauf seiner
sprachlichen Aeusserungen eine um so grössere Rolle, je weniger seine
Aufmerksamkeit auf die begriffliche Bedeutung der in ihm auf-
tauchenden Vorstellungen gerichtet ist. Wir vermögen ein Gedicht,
eine Phrase mechanisch zu reproduciren, ohne uns dabei des Inhalts
derselben irgendwie bewusst zu werden, und wenn wir stocken, so ist
es nicht das Nachdenken über die Folge der Klang- und Schrift-
bilder oder gar über den Gedankengang, welches uns weiterhilft,
sondern wir wiederholen noch einmal die Reihe der Sprachbewegungen
in der häufig erfüllten Hoffnung, dass dieses Mal das gelockerte
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