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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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ist nicht unwahrscheinlich, dass wenigstens bei manchen Versuchs-
personen auch die einzelne Addition erst durch die leise Innervation
jener Muskeln abgeschlossen wird, welche die neugewonnene Summen-
zahl im Sprachlaute wiedergeben. Allein dieser motorische Act spielt
doch für die gemessenen Zeiten eine sehr geringe Rolle. Durch die
Anwendung des Lippenschlüssels signalisirt sich bei den Associations-
versuchen schon der erste Beginn der wirklichen Sprechbewegung, so
dass die betreffende Reactionszeit nur noch die sprachliche Wahlzeit,
nicht aber den Ablauf der Muskelcontractionen in sich schliesst. Beim
Rechnen überdecken sich wahrscheinlich die einzelnen Vorgänge gegen-
seitig, so dass die Auffassung der folgenden Zahlen bereits beginnen
kann, wenn die Innervation der Sprachmuskeln noch nicht ganz ab-
geschlossen ist.

Gegen diese Auffassung spricht nicht der Umstand, dass die
Dauer der einzelnen Association, wie sie sich aus den Rechenver-
suchen feststellen lässt, hier doch nicht kleiner, sondern etwas grösser
ist, als die aus der intermittirenden Methode gewonnenen Zahlen.
Für Dehio hat sich bei seinen früheren Theeversuchen die Normal-
dauer der Addition einer einstelligen, durch das Gehör aufgefassten
Zahl auf 770 s gestellt. Berücksichtigen wir die zwei ersten Mittel-
werthe aller seiner Rechenversuche nach fortlaufender Methode, so
würde jener Vorgang dabei im Mittel etwa 1115 s in Anspruch ge-
nommen haben. Dabei ist indessen zu bedenken, einmal dass die Auf-
gabe hier wegen der bis gegen 100 ansteigenden Summen eine ungleich
schwierigere war, und ferner, dass bei der fortlaufenden Arbeit sich
in Folge von Aufmerksamkeitsschwankungen ganz nothwendig zahlreiche
kürzere und längere Pausen einschieben, die natürlich in dem Rech-
nungsergebniss als Arbeitszeit miterscheinen. Unter diesen Umständen
muss es sogar auffallen, dass der Unterschied zwischen den beiden
angeführten Zahlen kein grösserer ist, zumal wenn man bedenkt, dass
der ältere Werth Dehio's wegen der damals geübten Traut-
scholdt
'schen Signalisirmethode jedenfalls noch relativ zu klein ist.
Freilich lassen sich beide Versuchsgruppen auch wegen der verschiedenen
Entstehungsart der Reize nicht ohne Weiteres mit einander ver-
gleichen.

Die reine Dauer der Wahl zwischen den sprachlichen Inner-
vationen für 26 einsilbige Wörter hat Cattell bei 2 Versuchspersonen
auf 58 resp. 77 s festgestellt. Vergleicht man diese Zahlen mit der
ganzen Dauer einer Associationsreaction oder Addition, so ergiebt sich
unmittelbar, dass bei Weitem der grösste Theil dieser Zeiten eben

ist nicht unwahrscheinlich, dass wenigstens bei manchen Versuchs-
personen auch die einzelne Addition erst durch die leise Innervation
jener Muskeln abgeschlossen wird, welche die neugewonnene Summen-
zahl im Sprachlaute wiedergeben. Allein dieser motorische Act spielt
doch für die gemessenen Zeiten eine sehr geringe Rolle. Durch die
Anwendung des Lippenschlüssels signalisirt sich bei den Associations-
versuchen schon der erste Beginn der wirklichen Sprechbewegung, so
dass die betreffende Reactionszeit nur noch die sprachliche Wahlzeit,
nicht aber den Ablauf der Muskelcontractionen in sich schliesst. Beim
Rechnen überdecken sich wahrscheinlich die einzelnen Vorgänge gegen-
seitig, so dass die Auffassung der folgenden Zahlen bereits beginnen
kann, wenn die Innervation der Sprachmuskeln noch nicht ganz ab-
geschlossen ist.

Gegen diese Auffassung spricht nicht der Umstand, dass die
Dauer der einzelnen Association, wie sie sich aus den Rechenver-
suchen feststellen lässt, hier doch nicht kleiner, sondern etwas grösser
ist, als die aus der intermittirenden Methode gewonnenen Zahlen.
Für Dehio hat sich bei seinen früheren Theeversuchen die Normal-
dauer der Addition einer einstelligen, durch das Gehör aufgefassten
Zahl auf 770 σ gestellt. Berücksichtigen wir die zwei ersten Mittel-
werthe aller seiner Rechenversuche nach fortlaufender Methode, so
würde jener Vorgang dabei im Mittel etwa 1115 σ in Anspruch ge-
nommen haben. Dabei ist indessen zu bedenken, einmal dass die Auf-
gabe hier wegen der bis gegen 100 ansteigenden Summen eine ungleich
schwierigere war, und ferner, dass bei der fortlaufenden Arbeit sich
in Folge von Aufmerksamkeitsschwankungen ganz nothwendig zahlreiche
kürzere und längere Pausen einschieben, die natürlich in dem Rech-
nungsergebniss als Arbeitszeit miterscheinen. Unter diesen Umständen
muss es sogar auffallen, dass der Unterschied zwischen den beiden
angeführten Zahlen kein grösserer ist, zumal wenn man bedenkt, dass
der ältere Werth Dehio’s wegen der damals geübten Traut-
scholdt
’schen Signalisirmethode jedenfalls noch relativ zu klein ist.
Freilich lassen sich beide Versuchsgruppen auch wegen der verschiedenen
Entstehungsart der Reize nicht ohne Weiteres mit einander ver-
gleichen.

Die reine Dauer der Wahl zwischen den sprachlichen Inner-
vationen für 26 einsilbige Wörter hat Cattell bei 2 Versuchspersonen
auf 58 resp. 77 σ festgestellt. Vergleicht man diese Zahlen mit der
ganzen Dauer einer Associationsreaction oder Addition, so ergiebt sich
unmittelbar, dass bei Weitem der grösste Theil dieser Zeiten eben

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[178/0194] ist nicht unwahrscheinlich, dass wenigstens bei manchen Versuchs- personen auch die einzelne Addition erst durch die leise Innervation jener Muskeln abgeschlossen wird, welche die neugewonnene Summen- zahl im Sprachlaute wiedergeben. Allein dieser motorische Act spielt doch für die gemessenen Zeiten eine sehr geringe Rolle. Durch die Anwendung des Lippenschlüssels signalisirt sich bei den Associations- versuchen schon der erste Beginn der wirklichen Sprechbewegung, so dass die betreffende Reactionszeit nur noch die sprachliche Wahlzeit, nicht aber den Ablauf der Muskelcontractionen in sich schliesst. Beim Rechnen überdecken sich wahrscheinlich die einzelnen Vorgänge gegen- seitig, so dass die Auffassung der folgenden Zahlen bereits beginnen kann, wenn die Innervation der Sprachmuskeln noch nicht ganz ab- geschlossen ist. Gegen diese Auffassung spricht nicht der Umstand, dass die Dauer der einzelnen Association, wie sie sich aus den Rechenver- suchen feststellen lässt, hier doch nicht kleiner, sondern etwas grösser ist, als die aus der intermittirenden Methode gewonnenen Zahlen. Für Dehio hat sich bei seinen früheren Theeversuchen die Normal- dauer der Addition einer einstelligen, durch das Gehör aufgefassten Zahl auf 770 σ gestellt. Berücksichtigen wir die zwei ersten Mittel- werthe aller seiner Rechenversuche nach fortlaufender Methode, so würde jener Vorgang dabei im Mittel etwa 1115 σ in Anspruch ge- nommen haben. Dabei ist indessen zu bedenken, einmal dass die Auf- gabe hier wegen der bis gegen 100 ansteigenden Summen eine ungleich schwierigere war, und ferner, dass bei der fortlaufenden Arbeit sich in Folge von Aufmerksamkeitsschwankungen ganz nothwendig zahlreiche kürzere und längere Pausen einschieben, die natürlich in dem Rech- nungsergebniss als Arbeitszeit miterscheinen. Unter diesen Umständen muss es sogar auffallen, dass der Unterschied zwischen den beiden angeführten Zahlen kein grösserer ist, zumal wenn man bedenkt, dass der ältere Werth Dehio’s wegen der damals geübten Traut- scholdt’schen Signalisirmethode jedenfalls noch relativ zu klein ist. Freilich lassen sich beide Versuchsgruppen auch wegen der verschiedenen Entstehungsart der Reize nicht ohne Weiteres mit einander ver- gleichen. Die reine Dauer der Wahl zwischen den sprachlichen Inner- vationen für 26 einsilbige Wörter hat Cattell bei 2 Versuchspersonen auf 58 resp. 77 σ festgestellt. Vergleicht man diese Zahlen mit der ganzen Dauer einer Associationsreaction oder Addition, so ergiebt sich unmittelbar, dass bei Weitem der grösste Theil dieser Zeiten eben

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/194>, abgerufen am 03.05.2024.