Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790. Eulal. Und, lieber Gott! wie unersättlich frißt das Stadtleben die kostbare Zeit! Da muß ich heute Visiten geben, morgen lästige Besuche empfangen, heute mir eine Haube stekken, morgen mir ein Kleid garniren. Hier fragt Niemand darnach; für die Frau Pastorin ist meine Haube noch im- mer nach dem neuesten Geschmack. Der Major. Aber man will doch zuweilen ein Menschen-Antlitz sehen. Eulal. Fehlt es mir etwa daran? O Herr Ma- jor, ich sehe Menschengesichter, die gesunder und froher um sich blicken, als Ihre städtischen Ge- rippe. Und dann hab' ich, außer dem Herrn Bit- termann und seinem Peter, noch so eine ganz ei- gene Gesellschaft, die mich zuweilen herzlich belu- stiget, nemlich die Bauerweiber aus dem Dorfe. Die kommen im Winter mit ihren Spinnrädern; da setz' ich mich mitten unter sie, und da erzählen sie mir und belehren mich, über Flachs und Hanf, über Milch und Butter, und was dergleichen mehr ist. Die guten Seelen haben mich alle lieb, weil ich sie immer um Rath frage, und weil sie sich da- bey so wichtig fühlen. Eulal. Und, lieber Gott! wie unerſaͤttlich frißt das Stadtleben die koſtbare Zeit! Da muß ich heute Viſiten geben, morgen laͤſtige Beſuche empfangen, heute mir eine Haube ſtekken, morgen mir ein Kleid garniren. Hier fragt Niemand darnach; fuͤr die Frau Paſtorin iſt meine Haube noch im- mer nach dem neueſten Geſchmack. Der Major. Aber man will doch zuweilen ein Menſchen-Antlitz ſehen. Eulal. Fehlt es mir etwa daran? O Herr Ma- jor, ich ſehe Menſchengeſichter, die geſunder und froher um ſich blicken, als Ihre ſtaͤdtiſchen Ge- rippe. Und dann hab’ ich, außer dem Herrn Bit- termann und ſeinem Peter, noch ſo eine ganz ei- gene Geſellſchaft, die mich zuweilen herzlich belu- ſtiget, nemlich die Bauerweiber aus dem Dorfe. Die kommen im Winter mit ihren Spinnraͤdern; da ſetz’ ich mich mitten unter ſie, und da erzaͤhlen ſie mir und belehren mich, uͤber Flachs und Hanf, uͤber Milch und Butter, und was dergleichen mehr iſt. Die guten Seelen haben mich alle lieb, weil ich ſie immer um Rath frage, und weil ſie ſich da- bey ſo wichtig fuͤhlen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0054" n="46"/> <sp who="#EUL"> <speaker> <hi rendition="#fr">Eulal.</hi> </speaker> <p>Und, lieber Gott! wie unerſaͤttlich frißt<lb/> das Stadtleben die koſtbare Zeit! Da muß ich heute<lb/> Viſiten geben, morgen laͤſtige Beſuche empfangen,<lb/> heute mir eine Haube ſtekken, morgen mir ein<lb/> Kleid garniren. Hier fragt Niemand darnach;<lb/> fuͤr die Frau Paſtorin iſt meine Haube noch im-<lb/> mer nach dem neueſten Geſchmack.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAJ"> <speaker> <hi rendition="#fr">Der Major.</hi> </speaker> <p>Aber man will doch zuweilen ein<lb/> Menſchen-Antlitz ſehen.</p> </sp><lb/> <sp who="#EUL"> <speaker> <hi rendition="#fr">Eulal.</hi> </speaker> <p>Fehlt es mir etwa daran? O Herr Ma-<lb/> jor, ich ſehe Menſchengeſichter, die geſunder und<lb/> froher um ſich blicken, als Ihre ſtaͤdtiſchen Ge-<lb/> rippe. Und dann hab’ ich, außer dem Herrn Bit-<lb/> termann und ſeinem Peter, noch ſo eine ganz ei-<lb/> gene Geſellſchaft, die mich zuweilen herzlich belu-<lb/> ſtiget, nemlich die Bauerweiber aus dem Dorfe.<lb/> Die kommen im Winter mit ihren Spinnraͤdern;<lb/> da ſetz’ ich mich mitten unter ſie, und da erzaͤhlen<lb/> ſie mir und belehren mich, uͤber Flachs und Hanf,<lb/> uͤber Milch und Butter, und was dergleichen mehr<lb/> iſt. Die guten Seelen haben mich alle lieb, weil<lb/> ich ſie immer um Rath frage, und weil ſie ſich da-<lb/> bey ſo wichtig fuͤhlen.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0054]
Eulal. Und, lieber Gott! wie unerſaͤttlich frißt
das Stadtleben die koſtbare Zeit! Da muß ich heute
Viſiten geben, morgen laͤſtige Beſuche empfangen,
heute mir eine Haube ſtekken, morgen mir ein
Kleid garniren. Hier fragt Niemand darnach;
fuͤr die Frau Paſtorin iſt meine Haube noch im-
mer nach dem neueſten Geſchmack.
Der Major. Aber man will doch zuweilen ein
Menſchen-Antlitz ſehen.
Eulal. Fehlt es mir etwa daran? O Herr Ma-
jor, ich ſehe Menſchengeſichter, die geſunder und
froher um ſich blicken, als Ihre ſtaͤdtiſchen Ge-
rippe. Und dann hab’ ich, außer dem Herrn Bit-
termann und ſeinem Peter, noch ſo eine ganz ei-
gene Geſellſchaft, die mich zuweilen herzlich belu-
ſtiget, nemlich die Bauerweiber aus dem Dorfe.
Die kommen im Winter mit ihren Spinnraͤdern;
da ſetz’ ich mich mitten unter ſie, und da erzaͤhlen
ſie mir und belehren mich, uͤber Flachs und Hanf,
uͤber Milch und Butter, und was dergleichen mehr
iſt. Die guten Seelen haben mich alle lieb, weil
ich ſie immer um Rath frage, und weil ſie ſich da-
bey ſo wichtig fuͤhlen.
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