Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

len von St. Lo; sein Vater kam zum zweitenmale, ihn zu
befreien, und man war, in Rücksicht seiner Jugend, auch
zum zweitenmale so nachsichtsvoll, ihn der väterlichen
Gewalt auszuliefern. Er sollte nun Schneider werden;
der Gedanke war ihm unerträglich. Er entsprang zum
drittenmale.

Jm October 1797 befindet er sich auf der Diligenze
zwischen Laval und Alencon, sehr einfach und seinem
Geschlechte gemäß gekleidet. Nicht weit von Alencon
steigt er ab, und geht seitwärts nach einem Dorfe, ge-
nannt les Joncherets. Die Nacht überfällt ihn, er bit-
tet einen Bauer um ein Nachlager. Man weis't ihn nach
dem Hause der Demoiselle Talon-Lacombe, wo er mehr
Bequemlichkeit finden werde. Er geht dahin, sagt, er
gehöre zu der Familie Montmorency, habe Schloß und
Güter bei Dreux, irre verlassen und verfolgt umher. Die
Dame interessirte sich lebhaft für ihn, giebt ihm Kleider
und Geld, welches er bei seiner Ankunft zu Dreux zu er-
statten verspricht. Er läßt sich hier eine Zeitlang wohl
seyn, spielt den vornehmen Herrn, und schenkt z. B. dem
Stalljungen, der ihm das Pferd zum Spazierenreiten
sattelt, einen Louis.

Endlich muß er sich doch zur Abreise entschließen,
und Demoiselle Lacombe begleitet ihn nach Dreux, um
dort ihre Auslagen wieder zu erhalten. Sie kommen
glücklich dahin, aber Schloß und Güter sind verschwun-
den. Was ist natürlicher? Die Revolution erklärt Al-
les. Um 50 Louis ärmer und an Erfahrung reicher kehrt
die Dame zurück. Der junge Held wird immer dreister.
Jm Mai 1798 wagt er sich auf der Diligenze nach Meaux
(nur acht Posten von Paris) und steigt im Wirthshause
ab. Hier giebt man ihm zwar zu essen, versagt ihm aber

len von St. Lo; sein Vater kam zum zweitenmale, ihn zu
befreien, und man war, in Ruͤcksicht seiner Jugend, auch
zum zweitenmale so nachsichtsvoll, ihn der vaͤterlichen
Gewalt auszuliefern. Er sollte nun Schneider werden;
der Gedanke war ihm unertraͤglich. Er entsprang zum
drittenmale.

Jm October 1797 befindet er sich auf der Diligenze
zwischen Laval und Alençon, sehr einfach und seinem
Geschlechte gemaͤß gekleidet. Nicht weit von Alençon
steigt er ab, und geht seitwaͤrts nach einem Dorfe, ge-
nannt les Joncherets. Die Nacht uͤberfaͤllt ihn, er bit-
tet einen Bauer um ein Nachlager. Man weis't ihn nach
dem Hause der Demoiselle Talon-Lacombe, wo er mehr
Bequemlichkeit finden werde. Er geht dahin, sagt, er
gehoͤre zu der Familie Montmorency, habe Schloß und
Guͤter bei Dreux, irre verlassen und verfolgt umher. Die
Dame interessirte sich lebhaft fuͤr ihn, giebt ihm Kleider
und Geld, welches er bei seiner Ankunft zu Dreux zu er-
statten verspricht. Er laͤßt sich hier eine Zeitlang wohl
seyn, spielt den vornehmen Herrn, und schenkt z. B. dem
Stalljungen, der ihm das Pferd zum Spazierenreiten
sattelt, einen Louis.

Endlich muß er sich doch zur Abreise entschließen,
und Demoiselle Lacombe begleitet ihn nach Dreux, um
dort ihre Auslagen wieder zu erhalten. Sie kommen
gluͤcklich dahin, aber Schloß und Guͤter sind verschwun-
den. Was ist natuͤrlicher? Die Revolution erklaͤrt Al-
les. Um 50 Louis aͤrmer und an Erfahrung reicher kehrt
die Dame zuruͤck. Der junge Held wird immer dreister.
Jm Mai 1798 wagt er sich auf der Diligenze nach Meaux
(nur acht Posten von Paris) und steigt im Wirthshause
ab. Hier giebt man ihm zwar zu essen, versagt ihm aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0092" n="92"/>
len von St. Lo; sein Vater kam zum zweitenmale, ihn zu<lb/>
befreien, und man war, in Ru&#x0364;cksicht seiner Jugend, auch<lb/>
zum zweitenmale so nachsichtsvoll, ihn der va&#x0364;terlichen<lb/>
Gewalt auszuliefern. Er sollte nun Schneider werden;<lb/>
der Gedanke war ihm unertra&#x0364;glich. Er entsprang zum<lb/>
drittenmale.</p><lb/>
        <p>Jm October 1797 befindet er sich auf der Diligenze<lb/>
zwischen Laval und Alençon, sehr einfach und seinem<lb/>
Geschlechte gema&#x0364;ß gekleidet. Nicht weit von Alençon<lb/>
steigt er ab, und geht seitwa&#x0364;rts nach einem Dorfe, ge-<lb/>
nannt les Joncherets. Die Nacht u&#x0364;berfa&#x0364;llt ihn, er bit-<lb/>
tet einen Bauer um ein Nachlager. Man weis't ihn nach<lb/>
dem Hause der Demoiselle Talon-Lacombe, wo er mehr<lb/>
Bequemlichkeit finden werde. Er geht dahin, sagt, er<lb/>
geho&#x0364;re zu der Familie Montmorency, habe Schloß und<lb/>
Gu&#x0364;ter bei Dreux, irre verlassen und verfolgt umher. Die<lb/>
Dame interessirte sich lebhaft fu&#x0364;r ihn, giebt ihm Kleider<lb/>
und Geld, welches er bei seiner Ankunft zu Dreux zu er-<lb/>
statten verspricht. Er la&#x0364;ßt sich hier eine Zeitlang wohl<lb/>
seyn, spielt den vornehmen Herrn, und schenkt z. B. dem<lb/>
Stalljungen, der ihm das Pferd zum Spazierenreiten<lb/>
sattelt, einen Louis.</p><lb/>
        <p>Endlich muß er sich doch zur Abreise entschließen,<lb/>
und Demoiselle Lacombe begleitet ihn nach Dreux, um<lb/>
dort ihre Auslagen wieder zu erhalten. Sie kommen<lb/>
glu&#x0364;cklich dahin, aber Schloß und Gu&#x0364;ter sind verschwun-<lb/>
den. Was ist natu&#x0364;rlicher? Die Revolution erkla&#x0364;rt Al-<lb/>
les. Um 50 Louis a&#x0364;rmer und an Erfahrung reicher kehrt<lb/>
die Dame zuru&#x0364;ck. Der junge Held wird immer dreister.<lb/>
Jm Mai 1798 wagt er sich auf der Diligenze nach Meaux<lb/>
(nur acht Posten von Paris) und steigt im Wirthshause<lb/>
ab. Hier giebt man ihm zwar zu essen, versagt ihm aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0092] len von St. Lo; sein Vater kam zum zweitenmale, ihn zu befreien, und man war, in Ruͤcksicht seiner Jugend, auch zum zweitenmale so nachsichtsvoll, ihn der vaͤterlichen Gewalt auszuliefern. Er sollte nun Schneider werden; der Gedanke war ihm unertraͤglich. Er entsprang zum drittenmale. Jm October 1797 befindet er sich auf der Diligenze zwischen Laval und Alençon, sehr einfach und seinem Geschlechte gemaͤß gekleidet. Nicht weit von Alençon steigt er ab, und geht seitwaͤrts nach einem Dorfe, ge- nannt les Joncherets. Die Nacht uͤberfaͤllt ihn, er bit- tet einen Bauer um ein Nachlager. Man weis't ihn nach dem Hause der Demoiselle Talon-Lacombe, wo er mehr Bequemlichkeit finden werde. Er geht dahin, sagt, er gehoͤre zu der Familie Montmorency, habe Schloß und Guͤter bei Dreux, irre verlassen und verfolgt umher. Die Dame interessirte sich lebhaft fuͤr ihn, giebt ihm Kleider und Geld, welches er bei seiner Ankunft zu Dreux zu er- statten verspricht. Er laͤßt sich hier eine Zeitlang wohl seyn, spielt den vornehmen Herrn, und schenkt z. B. dem Stalljungen, der ihm das Pferd zum Spazierenreiten sattelt, einen Louis. Endlich muß er sich doch zur Abreise entschließen, und Demoiselle Lacombe begleitet ihn nach Dreux, um dort ihre Auslagen wieder zu erhalten. Sie kommen gluͤcklich dahin, aber Schloß und Guͤter sind verschwun- den. Was ist natuͤrlicher? Die Revolution erklaͤrt Al- les. Um 50 Louis aͤrmer und an Erfahrung reicher kehrt die Dame zuruͤck. Der junge Held wird immer dreister. Jm Mai 1798 wagt er sich auf der Diligenze nach Meaux (nur acht Posten von Paris) und steigt im Wirthshause ab. Hier giebt man ihm zwar zu essen, versagt ihm aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/92
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/92>, abgerufen am 28.11.2024.