hörte uns. Damals nahm man auch die beschnittenen Thaler, heut zu Tage wiegt man Alles.
Der Zeitungsschreiber. 1793 und 94 gab es alle Tage Konspirationen, wöchentlich drei bis vier Volksaufstände, monatlich 7 bis 8 Schlachten, in jedem Kanton einige Massakren, jeden Morgen 150 revolutio- naire Verurtheilungen, jeden Abend 50 bis 60 National- dekrete, Reden, Motionen, etc.
Obwohl dieses ganze Gespräch nur zum Scherz er- funden seyn mag, (da es sich in der ganzen Welt mit Wahrheit parodiren ließe) so kann man doch ähnliche Aeußerungen überall hören. Ganz zufrieden ist eigent- lich Keiner, nicht einmal der Emporkömmling, denn er sieht noch einen Andern Emporkömmling über sich und meint, die Stelle habe ihm gebührt. Das ist der Lauf der Welt.
Die Gräuel der Revolution werden allgemein verab- scheut, theils von Herzen, theils um die Mode mit zu machen. Diejenigen, die an jenen Gräueln thätigen An- theil genommen, werden nicht verfolgt, sondern ver- gessen; nicht einmal Groll scheint man mehr gegen sie zu hegen. Barras lebt zu Brüssel unter Menschen, wel- chen er viel Böses zugefügt hat, und die dennoch freund- lich mit ihm umgehen.
Das die Pariser sich der alten Zeiten nicht ungern erinnern, wird bei hundert Gelegenheiten und aus hun- dert kleinen Zügen bemerkbar. Das Portrait Ludwig XVJ. findet man in allen Bilderläden. Am Abende meiner An- kunft besuchte ich die Oper Adrien, und hörte mit Er- staunen die Worte: fidele a mon roi, enthusiastisch be- klatschen. -- Der sogenannte Palast des Tribunats heißt wieder allgemein Palais royal, die letzte Post vor Paris,
hoͤrte uns. Damals nahm man auch die beschnittenen Thaler, heut zu Tage wiegt man Alles.
Der Zeitungsschreiber. 1793 und 94 gab es alle Tage Konspirationen, woͤchentlich drei bis vier Volksaufstaͤnde, monatlich 7 bis 8 Schlachten, in jedem Kanton einige Massakren, jeden Morgen 150 revolutio- naire Verurtheilungen, jeden Abend 50 bis 60 National- dekrete, Reden, Motionen, etc.
Obwohl dieses ganze Gespraͤch nur zum Scherz er- funden seyn mag, (da es sich in der ganzen Welt mit Wahrheit parodiren ließe) so kann man doch aͤhnliche Aeußerungen uͤberall hoͤren. Ganz zufrieden ist eigent- lich Keiner, nicht einmal der Emporkoͤmmling, denn er sieht noch einen Andern Emporkoͤmmling uͤber sich und meint, die Stelle habe ihm gebuͤhrt. Das ist der Lauf der Welt.
Die Graͤuel der Revolution werden allgemein verab- scheut, theils von Herzen, theils um die Mode mit zu machen. Diejenigen, die an jenen Graͤueln thaͤtigen An- theil genommen, werden nicht verfolgt, sondern ver- gessen; nicht einmal Groll scheint man mehr gegen sie zu hegen. Barras lebt zu Bruͤssel unter Menschen, wel- chen er viel Boͤses zugefuͤgt hat, und die dennoch freund- lich mit ihm umgehen.
Das die Pariser sich der alten Zeiten nicht ungern erinnern, wird bei hundert Gelegenheiten und aus hun- dert kleinen Zuͤgen bemerkbar. Das Portrait Ludwig XVJ. findet man in allen Bilderlaͤden. Am Abende meiner An- kunft besuchte ich die Oper Adrien, und hoͤrte mit Er- staunen die Worte: fidéle à mon roi, enthusiastisch be- klatschen. — Der sogenannte Palast des Tribunats heißt wieder allgemein Palais royal, die letzte Post vor Paris,
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hoͤrte uns. Damals nahm man auch die beschnittenen
Thaler, heut zu Tage wiegt man Alles.
Der Zeitungsschreiber. 1793 und 94 gab
es alle Tage Konspirationen, woͤchentlich drei bis vier
Volksaufstaͤnde, monatlich 7 bis 8 Schlachten, in jedem
Kanton einige Massakren, jeden Morgen 150 revolutio-
naire Verurtheilungen, jeden Abend 50 bis 60 National-
dekrete, Reden, Motionen, etc.
Obwohl dieses ganze Gespraͤch nur zum Scherz er-
funden seyn mag, (da es sich in der ganzen Welt mit
Wahrheit parodiren ließe) so kann man doch aͤhnliche
Aeußerungen uͤberall hoͤren. Ganz zufrieden ist eigent-
lich Keiner, nicht einmal der Emporkoͤmmling, denn er
sieht noch einen Andern Emporkoͤmmling uͤber sich und
meint, die Stelle habe ihm gebuͤhrt. Das ist der Lauf
der Welt.
Die Graͤuel der Revolution werden allgemein verab-
scheut, theils von Herzen, theils um die Mode mit zu
machen. Diejenigen, die an jenen Graͤueln thaͤtigen An-
theil genommen, werden nicht verfolgt, sondern ver-
gessen; nicht einmal Groll scheint man mehr gegen sie
zu hegen. Barras lebt zu Bruͤssel unter Menschen, wel-
chen er viel Boͤses zugefuͤgt hat, und die dennoch freund-
lich mit ihm umgehen.
Das die Pariser sich der alten Zeiten nicht ungern
erinnern, wird bei hundert Gelegenheiten und aus hun-
dert kleinen Zuͤgen bemerkbar. Das Portrait Ludwig XVJ.
findet man in allen Bilderlaͤden. Am Abende meiner An-
kunft besuchte ich die Oper Adrien, und hoͤrte mit Er-
staunen die Worte: fidéle à mon roi, enthusiastisch be-
klatschen. — Der sogenannte Palast des Tribunats heißt
wieder allgemein Palais royal, die letzte Post vor Paris,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/33>, abgerufen am 08.07.2024.
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