sen: denn diesesmal ist ihm die Zeit karg zugeschnitten; er muß zurück auf die Chaussee d'Autin, wo man in den besten Häusern jetzt zu Mittag speiset. Dann bleibt ihm wohl noch ein Augenblick übrig, um in irgend einem Theater sich mit Eis zu erquicken. Sobald aber der Vorhang gefallen ist, winkt ihm ein sogenannter Thee, wo, wie ich oben beschrieben habe, recht derbe Schüsseln vorkommen. -- So rückt unvermerkt zwei Uhr in der Nacht heran, und natürlich flattert er nun zu einem Souper in alter Form. -- Kann der Held um 4 Uhr des Morgens seinem Magen noch Etwas zumuthen, so darf man nur ins nächste Spielhaus gehen, wo um diese Zeit ein sogenanntes reveillon (ein Aufwecken) servirt wird, und so mag er dann endlich, wohlgesättigt, um 5 Uhr zu Bette gehen, um vier Stunden auszuru- hen, und dann, wenn's beliebt, den Kreislauf von Vorne wieder anzufangen.
Vormals war es unschicklich, wenn eine petite mai- tresse in Gesellschaften zeigte, daß sie mit Appetit essen könne. Sie mußte sich immer stellen, als brauche sie höchstens, wie ein chinesischer Goldfisch, alle zwei Tage etwa frisches Wasser, um zu leben. Hatte ihr die Na- tur, Trotz aller Schnürbrüste, einen widerspänustigen Ma- gen gegeben, so mußte sie sich lieber vorher zu Hause satt essen. Solcher Ziermagen bedarf es heut zu Tage nicht mehr. Die schönen, zarten Damen essen Rindfleisch und Hammelbraten, Pasteten und Trüffeln, daß es eine Lust ist, zuzusehen. Vormals nippten sie höchstens in ein Weinglas, jetzt schlürfen sie Liquers, trinken Punsch, und stürzen den Champagner hinunter. Vormals konn- ten sie in den engen Schuhen kaum trippeln, jetzt
sen: denn diesesmal ist ihm die Zeit karg zugeschnitten; er muß zuruͤck auf die Chaussée d'Autin, wo man in den besten Haͤusern jetzt zu Mittag speiset. Dann bleibt ihm wohl noch ein Augenblick uͤbrig, um in irgend einem Theater sich mit Eis zu erquicken. Sobald aber der Vorhang gefallen ist, winkt ihm ein sogenannter Thee, wo, wie ich oben beschrieben habe, recht derbe Schuͤsseln vorkommen. — So ruͤckt unvermerkt zwei Uhr in der Nacht heran, und natuͤrlich flattert er nun zu einem Souper in alter Form. — Kann der Held um 4 Uhr des Morgens seinem Magen noch Etwas zumuthen, so darf man nur ins naͤchste Spielhaus gehen, wo um diese Zeit ein sogenanntes reveillon (ein Aufwecken) servirt wird, und so mag er dann endlich, wohlgesaͤttigt, um 5 Uhr zu Bette gehen, um vier Stunden auszuru- hen, und dann, wenn's beliebt, den Kreislauf von Vorne wieder anzufangen.
Vormals war es unschicklich, wenn eine petite mai- tresse in Gesellschaften zeigte, daß sie mit Appetit essen koͤnne. Sie mußte sich immer stellen, als brauche sie hoͤchstens, wie ein chinesischer Goldfisch, alle zwei Tage etwa frisches Wasser, um zu leben. Hatte ihr die Na- tur, Trotz aller Schnuͤrbruͤste, einen widerspaͤnustigen Ma- gen gegeben, so mußte sie sich lieber vorher zu Hause satt essen. Solcher Ziermagen bedarf es heut zu Tage nicht mehr. Die schoͤnen, zarten Damen essen Rindfleisch und Hammelbraten, Pasteten und Truͤffeln, daß es eine Lust ist, zuzusehen. Vormals nippten sie hoͤchstens in ein Weinglas, jetzt schluͤrfen sie Liquers, trinken Punsch, und stuͤrzen den Champagner hinunter. Vormals konn- ten sie in den engen Schuhen kaum trippeln, jetzt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0152"n="152"/>
sen: denn diesesmal ist ihm die Zeit karg zugeschnitten;<lb/>
er muß zuruͤck auf die Chaussée d'Autin, wo man in<lb/>
den besten Haͤusern jetzt zu <hirendition="#g">Mittag</hi> speiset. Dann<lb/>
bleibt ihm wohl noch ein Augenblick uͤbrig, um in irgend<lb/>
einem Theater sich mit Eis zu erquicken. Sobald aber<lb/>
der Vorhang gefallen ist, winkt ihm ein sogenannter<lb/><hirendition="#g">Thee,</hi> wo, wie ich oben beschrieben habe, recht derbe<lb/>
Schuͤsseln vorkommen. — So ruͤckt unvermerkt <hirendition="#g">zwei</hi><lb/>
Uhr in der Nacht heran, und natuͤrlich flattert er nun<lb/>
zu einem Souper in alter Form. — Kann der Held um<lb/>
4 Uhr des Morgens seinem Magen noch Etwas zumuthen,<lb/>
so darf man nur ins naͤchste Spielhaus gehen, wo um<lb/>
diese Zeit ein sogenanntes reveillon (ein Aufwecken)<lb/>
servirt wird, und so mag er dann endlich, wohlgesaͤttigt,<lb/>
um 5 Uhr zu Bette gehen, um vier Stunden auszuru-<lb/>
hen, und dann, wenn's beliebt, den Kreislauf von Vorne<lb/>
wieder anzufangen.</p><lb/><p>Vormals war es unschicklich, wenn eine petite mai-<lb/>
tresse in Gesellschaften zeigte, daß sie mit Appetit essen<lb/>
koͤnne. Sie mußte sich immer stellen, als brauche sie<lb/>
hoͤchstens, wie ein chinesischer Goldfisch, alle zwei Tage<lb/>
etwa frisches Wasser, um zu leben. Hatte ihr die Na-<lb/>
tur, Trotz aller Schnuͤrbruͤste, einen widerspaͤnustigen Ma-<lb/>
gen gegeben, so mußte sie sich lieber vorher zu Hause satt<lb/>
essen. Solcher Ziermagen bedarf es heut zu Tage nicht<lb/>
mehr. Die schoͤnen, zarten Damen essen Rindfleisch und<lb/>
Hammelbraten, Pasteten und Truͤffeln, daß es eine Lust<lb/>
ist, zuzusehen. Vormals <hirendition="#g">nippten</hi> sie hoͤchstens in ein<lb/>
Weinglas, jetzt schluͤrfen sie Liquers, trinken Punsch,<lb/>
und stuͤrzen den Champagner hinunter. Vormals konn-<lb/>
ten sie in den engen Schuhen kaum <hirendition="#g">trippeln,</hi> jetzt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[152/0152]
sen: denn diesesmal ist ihm die Zeit karg zugeschnitten;
er muß zuruͤck auf die Chaussée d'Autin, wo man in
den besten Haͤusern jetzt zu Mittag speiset. Dann
bleibt ihm wohl noch ein Augenblick uͤbrig, um in irgend
einem Theater sich mit Eis zu erquicken. Sobald aber
der Vorhang gefallen ist, winkt ihm ein sogenannter
Thee, wo, wie ich oben beschrieben habe, recht derbe
Schuͤsseln vorkommen. — So ruͤckt unvermerkt zwei
Uhr in der Nacht heran, und natuͤrlich flattert er nun
zu einem Souper in alter Form. — Kann der Held um
4 Uhr des Morgens seinem Magen noch Etwas zumuthen,
so darf man nur ins naͤchste Spielhaus gehen, wo um
diese Zeit ein sogenanntes reveillon (ein Aufwecken)
servirt wird, und so mag er dann endlich, wohlgesaͤttigt,
um 5 Uhr zu Bette gehen, um vier Stunden auszuru-
hen, und dann, wenn's beliebt, den Kreislauf von Vorne
wieder anzufangen.
Vormals war es unschicklich, wenn eine petite mai-
tresse in Gesellschaften zeigte, daß sie mit Appetit essen
koͤnne. Sie mußte sich immer stellen, als brauche sie
hoͤchstens, wie ein chinesischer Goldfisch, alle zwei Tage
etwa frisches Wasser, um zu leben. Hatte ihr die Na-
tur, Trotz aller Schnuͤrbruͤste, einen widerspaͤnustigen Ma-
gen gegeben, so mußte sie sich lieber vorher zu Hause satt
essen. Solcher Ziermagen bedarf es heut zu Tage nicht
mehr. Die schoͤnen, zarten Damen essen Rindfleisch und
Hammelbraten, Pasteten und Truͤffeln, daß es eine Lust
ist, zuzusehen. Vormals nippten sie hoͤchstens in ein
Weinglas, jetzt schluͤrfen sie Liquers, trinken Punsch,
und stuͤrzen den Champagner hinunter. Vormals konn-
ten sie in den engen Schuhen kaum trippeln, jetzt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/152>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.