Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.hat. -- Doch lassen Sie uns weiter zu seinem Nachbar hat. — Doch lassen Sie uns weiter zu seinem Nachbar <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0057" n="53"/> hat. — Doch lassen Sie uns weiter zu seinem Nachbar<lb/> gehen. Der paßt sorgfaͤltig auf, wenn der Witzling, den<lb/> wir eben verließen, eine Pause macht, — dann ruft er<lb/> sogleich mit heller Stimme: Meine Herren, waͤhrend mein<lb/> Nachbar Athem schoͤpft, erlauben Sie mir, ihnen ein hoͤchst<lb/> merkwuͤrdiges Experiment zu zeigen. Ohne die Antwort<lb/> abzuwarten, traͤgt er ein Kaͤstchen herum, aus welchem er<lb/> Fragen ziehen laͤßt, die sich auf Geld, Gesundheit, Liebe,<lb/> Treue oder Untreue des geliebten Gegenstandes, zu hof-<lb/> fende Posteritaͤt u. dgl. beziehen. Waͤhrend man die Fra-<lb/> ge aus dem Kaͤstchen greift, steht der beantwortende Tau-<lb/> sendkuͤnstler fern davon, um zu beweisen, daß er gar nicht<lb/> noͤthig hat, den Jnhalt der Frage zu kennen. Dann er-<lb/> haͤlt man von ihm, fuͤr baare zwei Sous, <hi rendition="#g">erstens</hi> eine<lb/> Beantwortung der Frage, <hi rendition="#g">zweytens</hi> eine voͤllige Cha-<lb/> rakteristik des Fragenden, worin sein Humor, seine Feh-<lb/> ler und Tugenden ihm aufgezaͤhlt werden, mit hinzuge-<lb/> fuͤgtem guten Rathe, wie er sich kuͤnftig zu benehmen ha-<lb/> be; endlich <hi rendition="#g">drittens</hi> auch noch die fuͤnf Nummern,<lb/> welche bei der naͤchsten Ziehung des Lotto hervorkommen<lb/> werden; alles gedruckt auf ziemlich weißes Papier. Wahr-<lb/> haftig, ich begreife nicht, wie der Mann, bei seinen Aus-<lb/> lagen, von den zwei Sous noch soviel profitiren kann,<lb/> daß er das lustige Leben fristet. — Dieser Gedanke draͤngt<lb/> sich mir oft auf. Hoͤren sie z. E. den Menschen dort, der<lb/> allen Voruͤbergehenden mit lauter Stimme fuͤr zwei Sous<lb/> die <hi rendition="#g">Regel des Piquet</hi> Spiels gedruckt darbietet.<lb/> Die Broschuͤre ist ein paar Bogen stark, ich sehe nicht Ei-<lb/> nen unter Tausenden, der sie ihm abkauft, und doch fin-<lb/> de ich ihn schon seit 14 Tagen immer auf derselben Stel-<lb/> le, und doch lebt er. Hoͤren Sie jenes Maͤdchen, das<lb/> taͤglich sich heiser schreit: cinquante cure-dents pour<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0057]
hat. — Doch lassen Sie uns weiter zu seinem Nachbar
gehen. Der paßt sorgfaͤltig auf, wenn der Witzling, den
wir eben verließen, eine Pause macht, — dann ruft er
sogleich mit heller Stimme: Meine Herren, waͤhrend mein
Nachbar Athem schoͤpft, erlauben Sie mir, ihnen ein hoͤchst
merkwuͤrdiges Experiment zu zeigen. Ohne die Antwort
abzuwarten, traͤgt er ein Kaͤstchen herum, aus welchem er
Fragen ziehen laͤßt, die sich auf Geld, Gesundheit, Liebe,
Treue oder Untreue des geliebten Gegenstandes, zu hof-
fende Posteritaͤt u. dgl. beziehen. Waͤhrend man die Fra-
ge aus dem Kaͤstchen greift, steht der beantwortende Tau-
sendkuͤnstler fern davon, um zu beweisen, daß er gar nicht
noͤthig hat, den Jnhalt der Frage zu kennen. Dann er-
haͤlt man von ihm, fuͤr baare zwei Sous, erstens eine
Beantwortung der Frage, zweytens eine voͤllige Cha-
rakteristik des Fragenden, worin sein Humor, seine Feh-
ler und Tugenden ihm aufgezaͤhlt werden, mit hinzuge-
fuͤgtem guten Rathe, wie er sich kuͤnftig zu benehmen ha-
be; endlich drittens auch noch die fuͤnf Nummern,
welche bei der naͤchsten Ziehung des Lotto hervorkommen
werden; alles gedruckt auf ziemlich weißes Papier. Wahr-
haftig, ich begreife nicht, wie der Mann, bei seinen Aus-
lagen, von den zwei Sous noch soviel profitiren kann,
daß er das lustige Leben fristet. — Dieser Gedanke draͤngt
sich mir oft auf. Hoͤren sie z. E. den Menschen dort, der
allen Voruͤbergehenden mit lauter Stimme fuͤr zwei Sous
die Regel des Piquet Spiels gedruckt darbietet.
Die Broschuͤre ist ein paar Bogen stark, ich sehe nicht Ei-
nen unter Tausenden, der sie ihm abkauft, und doch fin-
de ich ihn schon seit 14 Tagen immer auf derselben Stel-
le, und doch lebt er. Hoͤren Sie jenes Maͤdchen, das
taͤglich sich heiser schreit: cinquante cure-dents pour
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