Quellen, die von den Klippen herabschäumen, und kühle Moräste umschließen die kleinen Ackerplätze, die der müh- same Fleiß des Menschen der wilden Natur abgebettelt hat. -- Doch siehe, eine abermalige Krümmung des We- ges, und plötzlich sind Sie mitten in Nantua, einem freundlichen Städtchen, trotz den Felsen, die über allen Häusern hervorragen. -- Aber kaum haben Sie es ver- lassen, so umgiebt Sie abermals die mahlerische Wildniß: Felsen und ein See klemmen den Reisenden; aber es sind nicht mehr die wellenförmigen Bergrücken; es sind seltsa- me Gestalten von aufrecht stehenden Steinen, die irgend eine Umwälzung der Erde im grauen Alterthume in und auf einander schob, Gestalten, von denen man zuweilen schwö- ren sollte, es wären riesenmäßige Statüen, in einem ro- hen Zeitalter verfertigt. Da steht unter andern gleich hin- ter Nantua rechter Hand eine Riesengestalt auf einer Klip- pe, und überschaut, wie ein König des Landes, vermuth- lich seit Jahrtausenden, die ganze umliegende Gegend. -- Jetzt erblicken Sie auch hier und dort Ruinen alter Bur- gen; Klüfte und Höhlen, zu denen die Menschen sich nur mit Stricken hinaufwinden können; tiefgefurchte Felsen, die seit Jahrtausenden von den Regengüssen zerackert wor- den; dazwischen wieder Weinberge und neue Kreuze, Zeugen des Fleißes und der wiederkehrenden Frömmigkeit. Endlich gerathen Sie in ein sehr enges kaltes Thal, von düstern Nadelwäldern beschattet; Sie sehen den Ausgang von einer Felsenwand geradezu versperrt, und hier ist es, wo die Natur -- hinter jener Felsenwand, in ihrer gan- zen Majestät thronend Jhnen das überraschendste Schau- spiel aufgespart hat. Denn plötzlich treten Sie wie aus einer Coulisse hervor, sehen ein schmales lachendes Thal, sehen linker Hand große und kleine Wasserfälle höher und
Quellen, die von den Klippen herabschaͤumen, und kuͤhle Moraͤste umschließen die kleinen Ackerplaͤtze, die der muͤh- same Fleiß des Menschen der wilden Natur abgebettelt hat. — Doch siehe, eine abermalige Kruͤmmung des We- ges, und ploͤtzlich sind Sie mitten in Nantua, einem freundlichen Staͤdtchen, trotz den Felsen, die uͤber allen Haͤusern hervorragen. — Aber kaum haben Sie es ver- lassen, so umgiebt Sie abermals die mahlerische Wildniß: Felsen und ein See klemmen den Reisenden; aber es sind nicht mehr die wellenfoͤrmigen Bergruͤcken; es sind seltsa- me Gestalten von aufrecht stehenden Steinen, die irgend eine Umwaͤlzung der Erde im grauen Alterthume in und auf einander schob, Gestalten, von denen man zuweilen schwoͤ- ren sollte, es waͤren riesenmaͤßige Statuͤen, in einem ro- hen Zeitalter verfertigt. Da steht unter andern gleich hin- ter Nantua rechter Hand eine Riesengestalt auf einer Klip- pe, und uͤberschaut, wie ein Koͤnig des Landes, vermuth- lich seit Jahrtausenden, die ganze umliegende Gegend. — Jetzt erblicken Sie auch hier und dort Ruinen alter Bur- gen; Kluͤfte und Hoͤhlen, zu denen die Menschen sich nur mit Stricken hinaufwinden koͤnnen; tiefgefurchte Felsen, die seit Jahrtausenden von den Regenguͤssen zerackert wor- den; dazwischen wieder Weinberge und neue Kreuze, Zeugen des Fleißes und der wiederkehrenden Froͤmmigkeit. Endlich gerathen Sie in ein sehr enges kaltes Thal, von duͤstern Nadelwaͤldern beschattet; Sie sehen den Ausgang von einer Felsenwand geradezu versperrt, und hier ist es, wo die Natur — hinter jener Felsenwand, in ihrer gan- zen Majestaͤt thronend Jhnen das uͤberraschendste Schau- spiel aufgespart hat. Denn ploͤtzlich treten Sie wie aus einer Coulisse hervor, sehen ein schmales lachendes Thal, sehen linker Hand große und kleine Wasserfaͤlle hoͤher und
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Quellen, die von den Klippen herabschaͤumen, und kuͤhle
Moraͤste umschließen die kleinen Ackerplaͤtze, die der muͤh-
same Fleiß des Menschen der wilden Natur abgebettelt
hat. — Doch siehe, eine abermalige Kruͤmmung des We-
ges, und ploͤtzlich sind Sie mitten in Nantua, einem
freundlichen Staͤdtchen, trotz den Felsen, die uͤber allen
Haͤusern hervorragen. — Aber kaum haben Sie es ver-
lassen, so umgiebt Sie abermals die mahlerische Wildniß:
Felsen und ein See klemmen den Reisenden; aber es sind
nicht mehr die wellenfoͤrmigen Bergruͤcken; es sind seltsa-
me Gestalten von aufrecht stehenden Steinen, die irgend
eine Umwaͤlzung der Erde im grauen Alterthume in und auf
einander schob, Gestalten, von denen man zuweilen schwoͤ-
ren sollte, es waͤren riesenmaͤßige Statuͤen, in einem ro-
hen Zeitalter verfertigt. Da steht unter andern gleich hin-
ter Nantua rechter Hand eine Riesengestalt auf einer Klip-
pe, und uͤberschaut, wie ein Koͤnig des Landes, vermuth-
lich seit Jahrtausenden, die ganze umliegende Gegend. —
Jetzt erblicken Sie auch hier und dort Ruinen alter Bur-
gen; Kluͤfte und Hoͤhlen, zu denen die Menschen sich nur
mit Stricken hinaufwinden koͤnnen; tiefgefurchte Felsen,
die seit Jahrtausenden von den Regenguͤssen zerackert wor-
den; dazwischen wieder Weinberge und neue Kreuze,
Zeugen des Fleißes und der wiederkehrenden Froͤmmigkeit.
Endlich gerathen Sie in ein sehr enges kaltes Thal, von
duͤstern Nadelwaͤldern beschattet; Sie sehen den Ausgang
von einer Felsenwand geradezu versperrt, und hier ist es,
wo die Natur — hinter jener Felsenwand, in ihrer gan-
zen Majestaͤt thronend Jhnen das uͤberraschendste Schau-
spiel aufgespart hat. Denn ploͤtzlich treten Sie wie aus
einer Coulisse hervor, sehen ein schmales lachendes Thal,
sehen linker Hand große und kleine Wasserfaͤlle hoͤher und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/42>, abgerufen am 01.08.2024.
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