rathen hat, jährlich ein paarmal am heißesten Sommer- tage, in der Gluth der Mittagssonne lechzend, vergebens nach einem schattigen Plätzchen umherirren müßte. -- O, es ist nicht die einzige Sünde, welche der kamerali- stische Geist, der nie über einem solchen Paradiese schweben sollte, hier auf sich geladen, oder wenigstens auf sich la- den wollen. Die herrlichen Ruinen des Rittersaa- les hat man wollen abbrechen lassen, um die Stei- ne zu verkaufen. Den Garten zu Schwetzingen hat man zu Kartoffelländereien verpachten wollen, weil er zu viel zu unterhalten kostet. Das heißt einen Dichter zum Rechenmeister machen. Zum Glück ist gegen beides wirksam protestirt worden.
Mit dem Rittersaal würde man das alte Schloß sei- ner schönsten Zierde berauben; und wenn Schwetzingen viele Kosten verursacht, so lockt es hingegen auch eine Men- ge verzehrender Fremden. O, wenn doch jede Hand ver- dorrte, die etwas zerstören will, woran gute Menschen Jahrhunderte lang Freude hatten! -- Ehe wir Heidelberg ganz verlassen, muß ich Sie noch auf die schöne Brücke führen, die im Jahr 1783 oder 84 durch eine Wasserfluth weggerissen wurde. Damals blieb, zum großen Jubel al- ler gläubigen Seelen, der Heil. Johannes ganz allein auf einem isolirten Pfeiler stehen. Trotz diesem unleugbaren Wunder, hat der gute Heil. Johannes auf der neuerbau- ten Brücke dennoch der blinden Heidin Minerva wei- chen müssen! Jhr gegenüber steht die Bildsäule des Kur- fürsten Karl Theodor. Bei einem im letzten Kriege vor- gefallenen Gefecht auf dieser Brücke, ist sie ziemlich von Kartätschenkugeln gemißhandelt worden, und qualificiert sich daher jetzt vollkommen zu einem Sinnbilde des Deut- schen Reichs.
rathen hat, jaͤhrlich ein paarmal am heißesten Sommer- tage, in der Gluth der Mittagssonne lechzend, vergebens nach einem schattigen Plaͤtzchen umherirren muͤßte. — O, es ist nicht die einzige Suͤnde, welche der kamerali- stische Geist, der nie uͤber einem solchen Paradiese schweben sollte, hier auf sich geladen, oder wenigstens auf sich la- den wollen. Die herrlichen Ruinen des Rittersaa- les hat man wollen abbrechen lassen, um die Stei- ne zu verkaufen. Den Garten zu Schwetzingen hat man zu Kartoffellaͤndereien verpachten wollen, weil er zu viel zu unterhalten kostet. Das heißt einen Dichter zum Rechenmeister machen. Zum Gluͤck ist gegen beides wirksam protestirt worden.
Mit dem Rittersaal wuͤrde man das alte Schloß sei- ner schoͤnsten Zierde berauben; und wenn Schwetzingen viele Kosten verursacht, so lockt es hingegen auch eine Men- ge verzehrender Fremden. O, wenn doch jede Hand ver- dorrte, die etwas zerstoͤren will, woran gute Menschen Jahrhunderte lang Freude hatten! — Ehe wir Heidelberg ganz verlassen, muß ich Sie noch auf die schoͤne Bruͤcke fuͤhren, die im Jahr 1783 oder 84 durch eine Wasserfluth weggerissen wurde. Damals blieb, zum großen Jubel al- ler glaͤubigen Seelen, der Heil. Johannes ganz allein auf einem isolirten Pfeiler stehen. Trotz diesem unleugbaren Wunder, hat der gute Heil. Johannes auf der neuerbau- ten Bruͤcke dennoch der blinden Heidin Minerva wei- chen muͤssen! Jhr gegenuͤber steht die Bildsaͤule des Kur- fuͤrsten Karl Theodor. Bei einem im letzten Kriege vor- gefallenen Gefecht auf dieser Bruͤcke, ist sie ziemlich von Kartaͤtschenkugeln gemißhandelt worden, und qualificiert sich daher jetzt vollkommen zu einem Sinnbilde des Deut- schen Reichs.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0020"n="16"/>
rathen hat, jaͤhrlich ein paarmal am heißesten Sommer-<lb/>
tage, in der Gluth der Mittagssonne lechzend, vergebens<lb/>
nach einem schattigen Plaͤtzchen umherirren muͤßte. —<lb/>
O, es ist nicht die einzige Suͤnde, welche der kamerali-<lb/>
stische Geist, der nie uͤber einem solchen Paradiese schweben<lb/>
sollte, hier auf sich geladen, oder wenigstens auf sich la-<lb/>
den <hirendition="#g">wollen.</hi> Die herrlichen Ruinen des <hirendition="#g">Rittersaa-<lb/>
les</hi> hat man wollen <hirendition="#g">abbrechen</hi> lassen, <hirendition="#g">um die Stei-<lb/>
ne zu verkaufen.</hi> Den Garten zu Schwetzingen hat<lb/>
man zu Kartoffellaͤndereien <hirendition="#g">verpachten</hi> wollen, weil er<lb/>
zu viel zu unterhalten kostet. Das heißt einen Dichter<lb/>
zum Rechenmeister machen. Zum Gluͤck ist gegen beides<lb/>
wirksam protestirt worden.</p><lb/><p>Mit dem Rittersaal wuͤrde man das alte Schloß sei-<lb/>
ner schoͤnsten Zierde berauben; und wenn Schwetzingen<lb/>
viele Kosten verursacht, so lockt es hingegen auch eine Men-<lb/>
ge verzehrender Fremden. O, wenn doch jede Hand ver-<lb/>
dorrte, die etwas zerstoͤren will, woran gute Menschen<lb/>
Jahrhunderte lang Freude hatten! — Ehe wir Heidelberg<lb/>
ganz verlassen, muß ich Sie noch auf die schoͤne Bruͤcke<lb/>
fuͤhren, die im Jahr 1783 oder 84 durch eine Wasserfluth<lb/>
weggerissen wurde. Damals blieb, zum großen Jubel al-<lb/>
ler glaͤubigen Seelen, der Heil. Johannes ganz allein auf<lb/>
einem isolirten Pfeiler stehen. Trotz diesem unleugbaren<lb/>
Wunder, hat der gute Heil. Johannes auf der neuerbau-<lb/>
ten Bruͤcke dennoch der blinden Heidin <hirendition="#g">Minerva</hi> wei-<lb/>
chen muͤssen! Jhr gegenuͤber steht die Bildsaͤule des Kur-<lb/>
fuͤrsten Karl Theodor. Bei einem im letzten Kriege vor-<lb/>
gefallenen Gefecht auf dieser Bruͤcke, ist sie ziemlich von<lb/>
Kartaͤtschenkugeln gemißhandelt worden, und qualificiert<lb/>
sich daher jetzt vollkommen zu einem Sinnbilde des Deut-<lb/>
schen Reichs.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[16/0020]
rathen hat, jaͤhrlich ein paarmal am heißesten Sommer-
tage, in der Gluth der Mittagssonne lechzend, vergebens
nach einem schattigen Plaͤtzchen umherirren muͤßte. —
O, es ist nicht die einzige Suͤnde, welche der kamerali-
stische Geist, der nie uͤber einem solchen Paradiese schweben
sollte, hier auf sich geladen, oder wenigstens auf sich la-
den wollen. Die herrlichen Ruinen des Rittersaa-
les hat man wollen abbrechen lassen, um die Stei-
ne zu verkaufen. Den Garten zu Schwetzingen hat
man zu Kartoffellaͤndereien verpachten wollen, weil er
zu viel zu unterhalten kostet. Das heißt einen Dichter
zum Rechenmeister machen. Zum Gluͤck ist gegen beides
wirksam protestirt worden.
Mit dem Rittersaal wuͤrde man das alte Schloß sei-
ner schoͤnsten Zierde berauben; und wenn Schwetzingen
viele Kosten verursacht, so lockt es hingegen auch eine Men-
ge verzehrender Fremden. O, wenn doch jede Hand ver-
dorrte, die etwas zerstoͤren will, woran gute Menschen
Jahrhunderte lang Freude hatten! — Ehe wir Heidelberg
ganz verlassen, muß ich Sie noch auf die schoͤne Bruͤcke
fuͤhren, die im Jahr 1783 oder 84 durch eine Wasserfluth
weggerissen wurde. Damals blieb, zum großen Jubel al-
ler glaͤubigen Seelen, der Heil. Johannes ganz allein auf
einem isolirten Pfeiler stehen. Trotz diesem unleugbaren
Wunder, hat der gute Heil. Johannes auf der neuerbau-
ten Bruͤcke dennoch der blinden Heidin Minerva wei-
chen muͤssen! Jhr gegenuͤber steht die Bildsaͤule des Kur-
fuͤrsten Karl Theodor. Bei einem im letzten Kriege vor-
gefallenen Gefecht auf dieser Bruͤcke, ist sie ziemlich von
Kartaͤtschenkugeln gemißhandelt worden, und qualificiert
sich daher jetzt vollkommen zu einem Sinnbilde des Deut-
schen Reichs.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/20>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.