Gotha einen Ueberfluß hat. Jhre Vorsteherinnen sind Theils Deutsche, Theils Französische Damen, und sie haben den für Frauenzimmer großen Nachtheil, daß Adelige und Unadelige mit einander auf gleichem Fuß er- zogen werden. Natürlich schmiegen die jungen Gemüther sich leicht aneinander, und die kleine Comtesse fragt noch nicht, ob der Vater ihrer Busenfreundin nur ein Se- kretair ist. Aber die erwachsene Comtesse denkt ge- wöhnlich anders, oder tritt wenigstens in andere Verhält- nisse, die sie nöthigen, sich von der Gespielin ihrer Ju- gend zurückzuziehen; das thut denn natürlich der Unade- ligen weh, das macht sie unglücklich. Sie, die vielleicht bestimmt ist, die kleine enge Wirthschaft eines bürgerli- chen Kanzelisten zu führen, tritt aus einem frohen klänzenden Cirkel, wo sie Arm in Arm mit Gräfinnen und Baronessen das Leben durchflatterte, in die stille beschränkte Wohnung eines Gatten, der sich tief bückt, wenn eine der vormaligen Jugendfreundinnen seiner Gattin an ihm vorüber fährt.
Es gehört in der That mehr Kraft dazu, als man bei einem Mädchen gewöhnlich voraussetzen darf, um sich ohne Murren und Seufzen in das beschränktere Verhält- niß zu finden. -- Auch wenn sie nicht heirathet, wird ihr selten das Haus ihrer Eltern wieder das werden, was es vormals war. Kurz, diese gemischten Jnstitute sind fähig, den Keim einer Untugend zu entwickeln, der ohne- hin bey Frauenzimmern leichter gedeiht, als bei Männern, ich meine den Neid.
Frankfurt am Main.
Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich Jhnen den Rö- mer beschreiben soll, auf welchem der neue Kaiser zu spei- sen pflegt? oder die goldene Bulle? oder die Pantoffeln
Gotha einen Ueberfluß hat. Jhre Vorsteherinnen sind Theils Deutsche, Theils Franzoͤsische Damen, und sie haben den fuͤr Frauenzimmer großen Nachtheil, daß Adelige und Unadelige mit einander auf gleichem Fuß er- zogen werden. Natuͤrlich schmiegen die jungen Gemuͤther sich leicht aneinander, und die kleine Comtesse fragt noch nicht, ob der Vater ihrer Busenfreundin nur ein Se- kretair ist. Aber die erwachsene Comtesse denkt ge- woͤhnlich anders, oder tritt wenigstens in andere Verhaͤlt- nisse, die sie noͤthigen, sich von der Gespielin ihrer Ju- gend zuruͤckzuziehen; das thut denn natuͤrlich der Unade- ligen weh, das macht sie ungluͤcklich. Sie, die vielleicht bestimmt ist, die kleine enge Wirthschaft eines buͤrgerli- chen Kanzelisten zu fuͤhren, tritt aus einem frohen klaͤnzenden Cirkel, wo sie Arm in Arm mit Graͤfinnen und Baronessen das Leben durchflatterte, in die stille beschraͤnkte Wohnung eines Gatten, der sich tief buͤckt, wenn eine der vormaligen Jugendfreundinnen seiner Gattin an ihm voruͤber faͤhrt.
Es gehoͤrt in der That mehr Kraft dazu, als man bei einem Maͤdchen gewoͤhnlich voraussetzen darf, um sich ohne Murren und Seufzen in das beschraͤnktere Verhaͤlt- niß zu finden. — Auch wenn sie nicht heirathet, wird ihr selten das Haus ihrer Eltern wieder das werden, was es vormals war. Kurz, diese gemischten Jnstitute sind faͤhig, den Keim einer Untugend zu entwickeln, der ohne- hin bey Frauenzimmern leichter gedeiht, als bei Maͤnnern, ich meine den Neid.
Frankfurt am Main.
Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich Jhnen den Roͤ- mer beschreiben soll, auf welchem der neue Kaiser zu spei- sen pflegt? oder die goldene Bulle? oder die Pantoffeln
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Gotha einen Ueberfluß hat. Jhre Vorsteherinnen sind
Theils Deutsche, Theils Franzoͤsische Damen, und sie
haben den fuͤr Frauenzimmer großen Nachtheil, daß
Adelige und Unadelige mit einander auf gleichem Fuß er-
zogen werden. Natuͤrlich schmiegen die jungen Gemuͤther
sich leicht aneinander, und die kleine Comtesse fragt
noch nicht, ob der Vater ihrer Busenfreundin nur ein Se-
kretair ist. Aber die erwachsene Comtesse denkt ge-
woͤhnlich anders, oder tritt wenigstens in andere Verhaͤlt-
nisse, die sie noͤthigen, sich von der Gespielin ihrer Ju-
gend zuruͤckzuziehen; das thut denn natuͤrlich der Unade-
ligen weh, das macht sie ungluͤcklich. Sie, die vielleicht
bestimmt ist, die kleine enge Wirthschaft eines buͤrgerli-
chen Kanzelisten zu fuͤhren, tritt aus einem frohen klaͤnzenden
Cirkel, wo sie Arm in Arm mit Graͤfinnen und Baronessen
das Leben durchflatterte, in die stille beschraͤnkte Wohnung
eines Gatten, der sich tief buͤckt, wenn eine der vormaligen
Jugendfreundinnen seiner Gattin an ihm voruͤber faͤhrt.
Es gehoͤrt in der That mehr Kraft dazu, als man
bei einem Maͤdchen gewoͤhnlich voraussetzen darf, um sich
ohne Murren und Seufzen in das beschraͤnktere Verhaͤlt-
niß zu finden. — Auch wenn sie nicht heirathet, wird
ihr selten das Haus ihrer Eltern wieder das werden, was
es vormals war. Kurz, diese gemischten Jnstitute sind
faͤhig, den Keim einer Untugend zu entwickeln, der ohne-
hin bey Frauenzimmern leichter gedeiht, als bei Maͤnnern,
ich meine den Neid.
Frankfurt am Main.
Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich Jhnen den Roͤ-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/13>, abgerufen am 08.07.2024.
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