Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
Getragen von dem Fittig der Gedanken,
Gehoben von der Welle der Begier,
Entschwingt der freye Geist sich kühn des Raumes
Schranken,
Und pflegt Vertraulichkeit mit dir.
Doch ach, wenn ich nun wirklich zu dir
fliege,
So überwältigt mich geheimes Graun.
Der Blöde wagt es nicht, die seelenvollen Züge,
Das klare Antlitz anzuschaun.
Mein Blick bebt bange vor dem deinen nieder.
Von ferne steh' ich träumend. Jedes Wort,
Das dir entsäuselt, klingt aus meinem Innern
wieder,
Ein liebelispelnder Accord.
Wenn im Vorüberfliehn dein Kleid mich streifet,
Dein irrend Auge meines blinzelnd fasst,
Dein himmelheller Blick den meinigen ergreifet,
So stockt die Rede. Wechselnd blasst
Und feuert mir die Wange. Nebel flirren
Vor meinen Augen; jeder Umriss schwankt,
Es schwindelt der Begriff in ausganglosen Irren,
Und rings die Feste rollt und wankt.

Getragen von dem Fittig der Gedanken,
Gehoben von der Welle der Begier,
Entschwingt der freye Geist sich kühn des Raumes
Schranken,
Und pflegt Vertraulichkeit mit dir.
Doch ach, wenn ich nun wirklich zu dir
fliege,
So überwältigt mich geheimes Graun.
Der Blöde wagt es nicht, die seelenvollen Züge,
Das klare Antlitz anzuschaun.
Mein Blick bebt bange vor dem deinen nieder.
Von ferne steh' ich träumend. Jedes Wort,
Das dir entsäuselt, klingt aus meinem Innern
wieder,
Ein liebelispelnder Accord.
Wenn im Vorüberfliehn dein Kleid mich streifet,
Dein irrend Auge meines blinzelnd fasst,
Dein himmelheller Blick den meinigen ergreifet,
So stockt die Rede. Wechselnd blasst
Und feuert mir die Wange. Nebel flirren
Vor meinen Augen; jeder Umriss schwankt,
Es schwindelt der Begriff in ausganglosen Irren,
Und rings die Feste rollt und wankt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <l>
              <pb facs="#f0215" n="197"/>
            </l>
            <lg n="3">
              <l>Getragen von dem Fittig der Gedanken,</l><lb/>
              <l>Gehoben von der Welle der Begier,</l><lb/>
              <l>Entschwingt der freye Geist sich kühn des Raumes</l><lb/>
              <l>Schranken,</l><lb/>
              <l>Und pflegt Vertraulichkeit mit dir.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Doch ach, wenn ich nun wirklich zu dir</l><lb/>
              <l>fliege,</l><lb/>
              <l>So überwältigt mich geheimes Graun.</l><lb/>
              <l>Der Blöde wagt es nicht, die seelenvollen Züge,</l><lb/>
              <l>Das klare Antlitz anzuschaun.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Mein Blick bebt bange vor dem deinen nieder.</l><lb/>
              <l>Von ferne steh' ich träumend. Jedes Wort,</l><lb/>
              <l>Das dir entsäuselt, klingt aus meinem Innern</l><lb/>
              <l>wieder,</l><lb/>
              <l>Ein liebelispelnder Accord.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Wenn im Vorüberfliehn dein Kleid mich streifet,</l><lb/>
              <l>Dein irrend Auge meines blinzelnd fasst,</l><lb/>
              <l>Dein himmelheller Blick den meinigen ergreifet,</l><lb/>
              <l>So stockt die Rede. Wechselnd blasst</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Und feuert mir die Wange. Nebel flirren</l><lb/>
              <l>Vor meinen Augen; jeder Umriss schwankt,</l><lb/>
              <l>Es schwindelt der Begriff in ausganglosen Irren,</l><lb/>
              <l>Und rings die Feste rollt und wankt.</l>
            </lg><lb/>
            <l>
</l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0215] Getragen von dem Fittig der Gedanken, Gehoben von der Welle der Begier, Entschwingt der freye Geist sich kühn des Raumes Schranken, Und pflegt Vertraulichkeit mit dir. Doch ach, wenn ich nun wirklich zu dir fliege, So überwältigt mich geheimes Graun. Der Blöde wagt es nicht, die seelenvollen Züge, Das klare Antlitz anzuschaun. Mein Blick bebt bange vor dem deinen nieder. Von ferne steh' ich träumend. Jedes Wort, Das dir entsäuselt, klingt aus meinem Innern wieder, Ein liebelispelnder Accord. Wenn im Vorüberfliehn dein Kleid mich streifet, Dein irrend Auge meines blinzelnd fasst, Dein himmelheller Blick den meinigen ergreifet, So stockt die Rede. Wechselnd blasst Und feuert mir die Wange. Nebel flirren Vor meinen Augen; jeder Umriss schwankt, Es schwindelt der Begriff in ausganglosen Irren, Und rings die Feste rollt und wankt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798/215
Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798/215>, abgerufen am 28.03.2024.