Kopisch, August: Ein Carnevalsfest auf Ischia. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–62. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Fenster eures Hauptes und blickt hinaus, betrachtet was die Natur uns selbst als weise vorbildet! Welche Geschöpfe sind weise? Doch nicht die Schafe, deren Denkkraft sich, anstatt das Gehirn zu durchdringen, überall in lockiger Wolle kräuselt? Doch nicht die Bären, welche sich plump und unbeholfen in ihren dickhaarigen Pelzen herumtummeln? Nein! die kahle Schlange wird für weise geachtet, der Elephant, welchem der Sonnenstrahl ungehemmt durch das nackte Fell brennt. Aber bei den Thieren mit Fittigen ist der hochfliegende, weise, weitschauende Lämmergeier kahl, wenigstens an seinem Halse. Was? Und sind die erhabenen Gipfel der höchsten Gebirge, die Warten des Erdballs, nicht kahl, während die niedern Hügel und gemeinen Ebenen haarig erscheinen von Gras und Wald und verworrenem Dickicht? Doch lassen wir, gleich Empedokles, unsere Pantoffeln auf dem Erdball stehen, schweben wir höher, den Himmel zu betrachten. Die heiligen Gestirne selbst mit ihren Monden, alle Sonnen, welche geregelte Bahnen der Weisheit wandeln, sind, gleich dem Haupte des Weisen, rund, glatt und kahl; die jedoch, welche gleich den Häuptern der Unverständigen langes Haar nachfliegen lassen, sind recht eigentlich Irrsterne, verirrt, unstät, flüchtig im Weltall. Aber steigen wir nun, belehrt vom Himmel, wieder herab auf den Erdball, bemitleiden wir die lockigen Spötter und die Wilden, welche besonders von langen Haaren verfinstert umherirren und nicht wissen, was sie sollen und wollen. Aber lasset uns -- und Fenster eures Hauptes und blickt hinaus, betrachtet was die Natur uns selbst als weise vorbildet! Welche Geschöpfe sind weise? Doch nicht die Schafe, deren Denkkraft sich, anstatt das Gehirn zu durchdringen, überall in lockiger Wolle kräuselt? Doch nicht die Bären, welche sich plump und unbeholfen in ihren dickhaarigen Pelzen herumtummeln? Nein! die kahle Schlange wird für weise geachtet, der Elephant, welchem der Sonnenstrahl ungehemmt durch das nackte Fell brennt. Aber bei den Thieren mit Fittigen ist der hochfliegende, weise, weitschauende Lämmergeier kahl, wenigstens an seinem Halse. Was? Und sind die erhabenen Gipfel der höchsten Gebirge, die Warten des Erdballs, nicht kahl, während die niedern Hügel und gemeinen Ebenen haarig erscheinen von Gras und Wald und verworrenem Dickicht? Doch lassen wir, gleich Empedokles, unsere Pantoffeln auf dem Erdball stehen, schweben wir höher, den Himmel zu betrachten. Die heiligen Gestirne selbst mit ihren Monden, alle Sonnen, welche geregelte Bahnen der Weisheit wandeln, sind, gleich dem Haupte des Weisen, rund, glatt und kahl; die jedoch, welche gleich den Häuptern der Unverständigen langes Haar nachfliegen lassen, sind recht eigentlich Irrsterne, verirrt, unstät, flüchtig im Weltall. Aber steigen wir nun, belehrt vom Himmel, wieder herab auf den Erdball, bemitleiden wir die lockigen Spötter und die Wilden, welche besonders von langen Haaren verfinstert umherirren und nicht wissen, was sie sollen und wollen. Aber lasset uns — und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0041"/> Fenster eures Hauptes und blickt hinaus, betrachtet was die Natur uns selbst als weise vorbildet! Welche Geschöpfe sind weise? Doch nicht die Schafe, deren Denkkraft sich, anstatt das Gehirn zu durchdringen, überall in lockiger Wolle kräuselt? Doch nicht die Bären, welche sich plump und unbeholfen in ihren dickhaarigen Pelzen herumtummeln? Nein! die kahle Schlange wird für weise geachtet, der Elephant, welchem der Sonnenstrahl ungehemmt durch das nackte Fell brennt. Aber bei den Thieren mit Fittigen ist der hochfliegende, weise, weitschauende Lämmergeier kahl, wenigstens an seinem Halse. Was? Und sind die erhabenen Gipfel der höchsten Gebirge, die Warten des Erdballs, nicht kahl, während die niedern Hügel und gemeinen Ebenen haarig erscheinen von Gras und Wald und verworrenem Dickicht? Doch lassen wir, gleich Empedokles, unsere Pantoffeln auf dem Erdball stehen, schweben wir höher, den Himmel zu betrachten. Die heiligen Gestirne selbst mit ihren Monden, alle Sonnen, welche geregelte Bahnen der Weisheit wandeln, sind, gleich dem Haupte des Weisen, rund, glatt und kahl; die jedoch, welche gleich den Häuptern der Unverständigen langes Haar nachfliegen lassen, sind recht eigentlich Irrsterne, verirrt, unstät, flüchtig im Weltall. Aber steigen wir nun, belehrt vom Himmel, wieder herab auf den Erdball, bemitleiden wir die lockigen Spötter und die Wilden, welche besonders von langen Haaren verfinstert umherirren und nicht wissen, was sie sollen und wollen. Aber lasset uns — und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
Fenster eures Hauptes und blickt hinaus, betrachtet was die Natur uns selbst als weise vorbildet! Welche Geschöpfe sind weise? Doch nicht die Schafe, deren Denkkraft sich, anstatt das Gehirn zu durchdringen, überall in lockiger Wolle kräuselt? Doch nicht die Bären, welche sich plump und unbeholfen in ihren dickhaarigen Pelzen herumtummeln? Nein! die kahle Schlange wird für weise geachtet, der Elephant, welchem der Sonnenstrahl ungehemmt durch das nackte Fell brennt. Aber bei den Thieren mit Fittigen ist der hochfliegende, weise, weitschauende Lämmergeier kahl, wenigstens an seinem Halse. Was? Und sind die erhabenen Gipfel der höchsten Gebirge, die Warten des Erdballs, nicht kahl, während die niedern Hügel und gemeinen Ebenen haarig erscheinen von Gras und Wald und verworrenem Dickicht? Doch lassen wir, gleich Empedokles, unsere Pantoffeln auf dem Erdball stehen, schweben wir höher, den Himmel zu betrachten. Die heiligen Gestirne selbst mit ihren Monden, alle Sonnen, welche geregelte Bahnen der Weisheit wandeln, sind, gleich dem Haupte des Weisen, rund, glatt und kahl; die jedoch, welche gleich den Häuptern der Unverständigen langes Haar nachfliegen lassen, sind recht eigentlich Irrsterne, verirrt, unstät, flüchtig im Weltall. Aber steigen wir nun, belehrt vom Himmel, wieder herab auf den Erdball, bemitleiden wir die lockigen Spötter und die Wilden, welche besonders von langen Haaren verfinstert umherirren und nicht wissen, was sie sollen und wollen. Aber lasset uns — und
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Zitationshilfe: | Kopisch, August: Ein Carnevalsfest auf Ischia. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–62. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_karnevalfest_1910/41>, abgerufen am 16.02.2025. |