Kopisch, August: Ein Carnevalsfest auf Ischia. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–62. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Jedem zu, den er erkannte. Da trat ein Mann in altgriechischer Tracht mit einem langen Stabe, der oben mit einem Blumensträuße geziert war, zu den Streitenden und sprach: Er hat gesagt: der rechte Sokrates zankt sich nicht! Da waren Alle still, nur Einer fragte: Wer ist der Er? Pythagoras! war die Antwort. Hiemit ging der Mann durch die Sokratesse feierlich unter Don Antonios Balkon in den Palast ein. Nicht lange, so trat er, gefolgt von vier kahl geschorenen Knaben, aus Don Antonio's Zimmer, stieß mit dem Stabe auf den Boden und sprach zu ihm: Er läßt dich bitten, dieses Gewand umzunehmen und uns zu folgen. Wer läßt mich bitten? fragte Don Antonio. Pythagoras! war die Antwort. Hiebei trat der Herold seitwärts, und die vier kahl geschorenen Knaben warfen Don Antonio ein griechisches Gewand über und wollten ihm eben auch den Mantel umgeben, als, er sagte: Geschorene Diener des Pythagoras, gern will ich euch folgen, nur laßt mich erst meinen Schlafrock Hinwegthun! Er kleidete sich nun um, wie es sich gehört, und stand bald als ein wahrhaft schöner griechischer Philosoph da. Der Herold schritt hinaus, Don Antonio folgte seinem gemessenen Tritte. Lautlos folgten hinter ihm die vier Knaben, die er zu verschiedenen Malen fragte, warum man sie so kahl geschoren. Vergeblich; sie legten den Finger auf den Mund und schwiegen. Als er so vor das Thor seines Hauses kam, war der bunte Lärm verstoben, nicht eine kahlköpfige Seele war zu sehen als die ge- Jedem zu, den er erkannte. Da trat ein Mann in altgriechischer Tracht mit einem langen Stabe, der oben mit einem Blumensträuße geziert war, zu den Streitenden und sprach: Er hat gesagt: der rechte Sokrates zankt sich nicht! Da waren Alle still, nur Einer fragte: Wer ist der Er? Pythagoras! war die Antwort. Hiemit ging der Mann durch die Sokratesse feierlich unter Don Antonios Balkon in den Palast ein. Nicht lange, so trat er, gefolgt von vier kahl geschorenen Knaben, aus Don Antonio's Zimmer, stieß mit dem Stabe auf den Boden und sprach zu ihm: Er läßt dich bitten, dieses Gewand umzunehmen und uns zu folgen. Wer läßt mich bitten? fragte Don Antonio. Pythagoras! war die Antwort. Hiebei trat der Herold seitwärts, und die vier kahl geschorenen Knaben warfen Don Antonio ein griechisches Gewand über und wollten ihm eben auch den Mantel umgeben, als, er sagte: Geschorene Diener des Pythagoras, gern will ich euch folgen, nur laßt mich erst meinen Schlafrock Hinwegthun! Er kleidete sich nun um, wie es sich gehört, und stand bald als ein wahrhaft schöner griechischer Philosoph da. Der Herold schritt hinaus, Don Antonio folgte seinem gemessenen Tritte. Lautlos folgten hinter ihm die vier Knaben, die er zu verschiedenen Malen fragte, warum man sie so kahl geschoren. Vergeblich; sie legten den Finger auf den Mund und schwiegen. Als er so vor das Thor seines Hauses kam, war der bunte Lärm verstoben, nicht eine kahlköpfige Seele war zu sehen als die ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0036"/> Jedem zu, den er erkannte. Da trat ein Mann in altgriechischer Tracht mit einem langen Stabe, der oben mit einem Blumensträuße geziert war, zu den Streitenden und sprach: Er hat gesagt: der rechte Sokrates zankt sich nicht! Da waren Alle still, nur Einer fragte: Wer ist der Er? Pythagoras! war die Antwort. Hiemit ging der Mann durch die Sokratesse feierlich unter Don Antonios Balkon in den Palast ein. Nicht lange, so trat er, gefolgt von vier kahl geschorenen Knaben, aus Don Antonio's Zimmer, stieß mit dem Stabe auf den Boden und sprach zu ihm: Er läßt dich bitten, dieses Gewand umzunehmen und uns zu folgen. Wer läßt mich bitten? fragte Don Antonio. Pythagoras! war die Antwort. Hiebei trat der Herold seitwärts, und die vier kahl geschorenen Knaben warfen Don Antonio ein griechisches Gewand über und wollten ihm eben auch den Mantel umgeben, als, er sagte: Geschorene Diener des Pythagoras, gern will ich euch folgen, nur laßt mich erst meinen Schlafrock Hinwegthun! Er kleidete sich nun um, wie es sich gehört, und stand bald als ein wahrhaft schöner griechischer Philosoph da. Der Herold schritt hinaus, Don Antonio folgte seinem gemessenen Tritte. Lautlos folgten hinter ihm die vier Knaben, die er zu verschiedenen Malen fragte, warum man sie so kahl geschoren. Vergeblich; sie legten den Finger auf den Mund und schwiegen. Als er so vor das Thor seines Hauses kam, war der bunte Lärm verstoben, nicht eine kahlköpfige Seele war zu sehen als die ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Jedem zu, den er erkannte. Da trat ein Mann in altgriechischer Tracht mit einem langen Stabe, der oben mit einem Blumensträuße geziert war, zu den Streitenden und sprach: Er hat gesagt: der rechte Sokrates zankt sich nicht! Da waren Alle still, nur Einer fragte: Wer ist der Er? Pythagoras! war die Antwort. Hiemit ging der Mann durch die Sokratesse feierlich unter Don Antonios Balkon in den Palast ein. Nicht lange, so trat er, gefolgt von vier kahl geschorenen Knaben, aus Don Antonio's Zimmer, stieß mit dem Stabe auf den Boden und sprach zu ihm: Er läßt dich bitten, dieses Gewand umzunehmen und uns zu folgen. Wer läßt mich bitten? fragte Don Antonio. Pythagoras! war die Antwort. Hiebei trat der Herold seitwärts, und die vier kahl geschorenen Knaben warfen Don Antonio ein griechisches Gewand über und wollten ihm eben auch den Mantel umgeben, als, er sagte: Geschorene Diener des Pythagoras, gern will ich euch folgen, nur laßt mich erst meinen Schlafrock Hinwegthun! Er kleidete sich nun um, wie es sich gehört, und stand bald als ein wahrhaft schöner griechischer Philosoph da. Der Herold schritt hinaus, Don Antonio folgte seinem gemessenen Tritte. Lautlos folgten hinter ihm die vier Knaben, die er zu verschiedenen Malen fragte, warum man sie so kahl geschoren. Vergeblich; sie legten den Finger auf den Mund und schwiegen. Als er so vor das Thor seines Hauses kam, war der bunte Lärm verstoben, nicht eine kahlköpfige Seele war zu sehen als die ge-
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Zitationshilfe: | Kopisch, August: Ein Carnevalsfest auf Ischia. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–62. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_karnevalfest_1910/36>, abgerufen am 16.07.2024. |