Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.in finstere Gedanken vertieft, der nicht ahnte, daß nach zehn Jahren langen Entbehrens Mutter und Tochter sich wiedererkannt hatten. 6. Der Sturm ist ausgesaet. Der Abend dieses merkwürdigen Tages war gekommen; drei Sterne blitzten am tiefblauen Grunde des Himmels auf, aber sie waren für Josseph nur die gesetzlichen Zeichen, daß sein Fasten zu Ende, daß er den Leib mit Speise und Trank wieder laben dürfe -- nicht freundliche Tröster in der Noth, nicht goldene Augen, die ihm weit und tief in die Seele schauten! Auf Josseph's Stimmung war der Fasttag gerade von entgegengesetzter Wirkung gewesen; er machte ihn sonst milde und weich, ein Berg war überstiegen, und der Mensch freuet sich immer des gelungenen Werkes, das mit Entbehrung verbunden war! Diesmal war er bitter, fast gereizt worden; er hatte um seinen Vater gefastet, der vier Wochen nach Madlena's Abfall vor lauter Gram in die Grube gefahren war, und diese Erinnerung, gesellt zu dem Erlebnisse des Tages, trieb allen Haß und Groll wie glimmende Funken, in die der Wind bläs't, auf einen finstern Winkel seiner Seele zusammen, in dem es nun schrecklich brannte. in finstere Gedanken vertieft, der nicht ahnte, daß nach zehn Jahren langen Entbehrens Mutter und Tochter sich wiedererkannt hatten. 6. Der Sturm ist ausgesaet. Der Abend dieses merkwürdigen Tages war gekommen; drei Sterne blitzten am tiefblauen Grunde des Himmels auf, aber sie waren für Josseph nur die gesetzlichen Zeichen, daß sein Fasten zu Ende, daß er den Leib mit Speise und Trank wieder laben dürfe — nicht freundliche Tröster in der Noth, nicht goldene Augen, die ihm weit und tief in die Seele schauten! Auf Josseph's Stimmung war der Fasttag gerade von entgegengesetzter Wirkung gewesen; er machte ihn sonst milde und weich, ein Berg war überstiegen, und der Mensch freuet sich immer des gelungenen Werkes, das mit Entbehrung verbunden war! Diesmal war er bitter, fast gereizt worden; er hatte um seinen Vater gefastet, der vier Wochen nach Madlena's Abfall vor lauter Gram in die Grube gefahren war, und diese Erinnerung, gesellt zu dem Erlebnisse des Tages, trieb allen Haß und Groll wie glimmende Funken, in die der Wind bläs't, auf einen finstern Winkel seiner Seele zusammen, in dem es nun schrecklich brannte. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0082"/> in finstere Gedanken vertieft, der nicht ahnte, daß nach zehn Jahren langen Entbehrens Mutter und Tochter sich wiedererkannt hatten.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="6"> <head>6. Der Sturm ist ausgesaet.</head> <p>Der Abend dieses merkwürdigen Tages war gekommen; drei Sterne blitzten am tiefblauen Grunde des Himmels auf, aber sie waren für Josseph nur die gesetzlichen Zeichen, daß sein Fasten zu Ende, daß er den Leib mit Speise und Trank wieder laben dürfe — nicht freundliche Tröster in der Noth, nicht goldene Augen, die ihm weit und tief in die Seele schauten!</p><lb/> <p>Auf Josseph's Stimmung war der Fasttag gerade von entgegengesetzter Wirkung gewesen; er machte ihn sonst milde und weich, ein Berg war überstiegen, und der Mensch freuet sich immer des gelungenen Werkes, das mit Entbehrung verbunden war! Diesmal war er bitter, fast gereizt worden; er hatte um seinen Vater gefastet, der vier Wochen nach Madlena's Abfall vor lauter Gram in die Grube gefahren war, und diese Erinnerung, gesellt zu dem Erlebnisse des Tages, trieb allen Haß und Groll wie glimmende Funken, in die der Wind bläs't, auf einen finstern Winkel seiner Seele zusammen, in dem es nun schrecklich brannte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
in finstere Gedanken vertieft, der nicht ahnte, daß nach zehn Jahren langen Entbehrens Mutter und Tochter sich wiedererkannt hatten.
6. Der Sturm ist ausgesaet. Der Abend dieses merkwürdigen Tages war gekommen; drei Sterne blitzten am tiefblauen Grunde des Himmels auf, aber sie waren für Josseph nur die gesetzlichen Zeichen, daß sein Fasten zu Ende, daß er den Leib mit Speise und Trank wieder laben dürfe — nicht freundliche Tröster in der Noth, nicht goldene Augen, die ihm weit und tief in die Seele schauten!
Auf Josseph's Stimmung war der Fasttag gerade von entgegengesetzter Wirkung gewesen; er machte ihn sonst milde und weich, ein Berg war überstiegen, und der Mensch freuet sich immer des gelungenen Werkes, das mit Entbehrung verbunden war! Diesmal war er bitter, fast gereizt worden; er hatte um seinen Vater gefastet, der vier Wochen nach Madlena's Abfall vor lauter Gram in die Grube gefahren war, und diese Erinnerung, gesellt zu dem Erlebnisse des Tages, trieb allen Haß und Groll wie glimmende Funken, in die der Wind bläs't, auf einen finstern Winkel seiner Seele zusammen, in dem es nun schrecklich brannte.
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/82>, abgerufen am 26.06.2024. |