Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.1. Dorf-Sabbat. Wir treten mitten in die Heiligkeit eines eben zur Neige gehenden Dorfsabbats ein. Aber vergebens wird das unkundige Ange dem Tag des Herrn, wie er sonst so auffallend sein königliches Gewand über die Blößen des Ghetto's wirft, auch hier begegnen wollen; er tritt uns nirgends entgegen, und umsonst streckt sich die Hand aus, auch nur den Saum seines Gewandes zu erhaschen. Straße auf, Straße ab, durch das ganze Dorf kann man gehen, ehe man inne wird, daß es auch hier stille Augen und selige Herzen giebt, um die der Sabbat die Zauberkreise seiner Gewalt gezogen hat. Fast müssen wir die Wegweiser machen. Wir bleiben vor einem Hause stehen, das nur ungefähr zwanzig Schritte von der Pfarrei entfernt liegt. Es nimmt sich fast fremdartig neben den anderen Bauernhäusern aus, als gehörte es nicht ihrer Gemeinschaft an. Auf den ersten Anblick erkennt man, daß darin Leute wohnen müssen, die in ihrem Leben niemals einen mit Garben hochaufbelasteten Wagen durch das weit geöffnete Hofthor gelenkt haben -- die niedere 1. Dorf-Sabbat. Wir treten mitten in die Heiligkeit eines eben zur Neige gehenden Dorfsabbats ein. Aber vergebens wird das unkundige Ange dem Tag des Herrn, wie er sonst so auffallend sein königliches Gewand über die Blößen des Ghetto's wirft, auch hier begegnen wollen; er tritt uns nirgends entgegen, und umsonst streckt sich die Hand aus, auch nur den Saum seines Gewandes zu erhaschen. Straße auf, Straße ab, durch das ganze Dorf kann man gehen, ehe man inne wird, daß es auch hier stille Augen und selige Herzen giebt, um die der Sabbat die Zauberkreise seiner Gewalt gezogen hat. Fast müssen wir die Wegweiser machen. Wir bleiben vor einem Hause stehen, das nur ungefähr zwanzig Schritte von der Pfarrei entfernt liegt. Es nimmt sich fast fremdartig neben den anderen Bauernhäusern aus, als gehörte es nicht ihrer Gemeinschaft an. Auf den ersten Anblick erkennt man, daß darin Leute wohnen müssen, die in ihrem Leben niemals einen mit Garben hochaufbelasteten Wagen durch das weit geöffnete Hofthor gelenkt haben — die niedere <TEI> <text> <pb facs="#f0008"/> <body> <div type="chapter" n="1"> <head>1. Dorf-Sabbat.</head> <p>Wir treten mitten in die Heiligkeit eines eben zur Neige gehenden Dorfsabbats ein. Aber vergebens wird das unkundige Ange dem Tag des Herrn, wie er sonst so auffallend sein königliches Gewand über die Blößen des Ghetto's wirft, auch hier begegnen wollen; er tritt uns nirgends entgegen, und umsonst streckt sich die Hand aus, auch nur den Saum seines Gewandes zu erhaschen. Straße auf, Straße ab, durch das ganze Dorf kann man gehen, ehe man inne wird, daß es auch hier stille Augen und selige Herzen giebt, um die der Sabbat die Zauberkreise seiner Gewalt gezogen hat.</p><lb/> <p>Fast müssen wir die Wegweiser machen. Wir bleiben vor einem Hause stehen, das nur ungefähr zwanzig Schritte von der Pfarrei entfernt liegt. Es nimmt sich fast fremdartig neben den anderen Bauernhäusern aus, als gehörte es nicht ihrer Gemeinschaft an. Auf den ersten Anblick erkennt man, daß darin Leute wohnen müssen, die in ihrem Leben niemals einen mit Garben hochaufbelasteten Wagen durch das weit geöffnete Hofthor gelenkt haben — die niedere<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0008]
1. Dorf-Sabbat. Wir treten mitten in die Heiligkeit eines eben zur Neige gehenden Dorfsabbats ein. Aber vergebens wird das unkundige Ange dem Tag des Herrn, wie er sonst so auffallend sein königliches Gewand über die Blößen des Ghetto's wirft, auch hier begegnen wollen; er tritt uns nirgends entgegen, und umsonst streckt sich die Hand aus, auch nur den Saum seines Gewandes zu erhaschen. Straße auf, Straße ab, durch das ganze Dorf kann man gehen, ehe man inne wird, daß es auch hier stille Augen und selige Herzen giebt, um die der Sabbat die Zauberkreise seiner Gewalt gezogen hat.
Fast müssen wir die Wegweiser machen. Wir bleiben vor einem Hause stehen, das nur ungefähr zwanzig Schritte von der Pfarrei entfernt liegt. Es nimmt sich fast fremdartig neben den anderen Bauernhäusern aus, als gehörte es nicht ihrer Gemeinschaft an. Auf den ersten Anblick erkennt man, daß darin Leute wohnen müssen, die in ihrem Leben niemals einen mit Garben hochaufbelasteten Wagen durch das weit geöffnete Hofthor gelenkt haben — die niedere
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