Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der Knabe mußte auf den Zehen leise zur Thür schleichen und das "Vorhängl" vor dem Guckfensterchen zurückziehen, durch das man in das Innere des Gewölbes blicken konnte. Ich seh' den Vater im Handel mit einem Bauern, der eine Lederhaut kaufen will, lautete die Antwort des spähenden Knaben. So ist's gut, sagte Marjim und schien durch diese Nachricht von einer drückenden Sorge befreit, denn wenn man mit einem Bauern etwas zu thun hat, wird man mit ihm vor drei, vier Stunden nicht Handel Eins. Ender läßt sich der Bauer todtschlagen, als daß er den Juden einen "Pehm" an sich verdienen läßt. Der Bauer ist jetzt klüger als der Jüd selbst, er hat jetzt einen Kopf auf sich, wie von Eisen, und läßt sich nicht so leicht mehr aufsitzen. Ich sag's ja immer, es wird zuletzt noch dahin kommen, daß der Jüd wird müssen auf dem Feld ackern und säen, und daß der Bauer wird im Gewölb stehen und wird dem Jüden verkaufen. Leider Gottes! die Welt wird Tag für Tag schlechter . . . Plötzlich stockte der Redefluß dieser dem Knaben nur allzu bekannten Gedanken. Die Großmutter hob den Kopf auf, der sich in diesem Augenblicke so unfähig gezeigt hatte, gerade dasjenige zu tragen, was der Mund aussprechen sollte; sie sah aufs Neue mit ängstlicher Miene nach der Gewölbthür hin. Der Knabe mußte auf den Zehen leise zur Thür schleichen und das „Vorhängl“ vor dem Guckfensterchen zurückziehen, durch das man in das Innere des Gewölbes blicken konnte. Ich seh' den Vater im Handel mit einem Bauern, der eine Lederhaut kaufen will, lautete die Antwort des spähenden Knaben. So ist's gut, sagte Marjim und schien durch diese Nachricht von einer drückenden Sorge befreit, denn wenn man mit einem Bauern etwas zu thun hat, wird man mit ihm vor drei, vier Stunden nicht Handel Eins. Ender läßt sich der Bauer todtschlagen, als daß er den Juden einen „Pehm“ an sich verdienen läßt. Der Bauer ist jetzt klüger als der Jüd selbst, er hat jetzt einen Kopf auf sich, wie von Eisen, und läßt sich nicht so leicht mehr aufsitzen. Ich sag's ja immer, es wird zuletzt noch dahin kommen, daß der Jüd wird müssen auf dem Feld ackern und säen, und daß der Bauer wird im Gewölb stehen und wird dem Jüden verkaufen. Leider Gottes! die Welt wird Tag für Tag schlechter . . . Plötzlich stockte der Redefluß dieser dem Knaben nur allzu bekannten Gedanken. Die Großmutter hob den Kopf auf, der sich in diesem Augenblicke so unfähig gezeigt hatte, gerade dasjenige zu tragen, was der Mund aussprechen sollte; sie sah aufs Neue mit ängstlicher Miene nach der Gewölbthür hin. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <pb facs="#f0041"/> <p>Der Knabe mußte auf den Zehen leise zur Thür schleichen und das „Vorhängl“ vor dem Guckfensterchen zurückziehen, durch das man in das Innere des Gewölbes blicken konnte.</p><lb/> <p>Ich seh' den Vater im Handel mit einem Bauern, der eine Lederhaut kaufen will, lautete die Antwort des spähenden Knaben.</p><lb/> <p>So ist's gut, sagte Marjim und schien durch diese Nachricht von einer drückenden Sorge befreit, denn wenn man mit einem Bauern etwas zu thun hat, wird man mit ihm vor drei, vier Stunden nicht Handel Eins. Ender läßt sich der Bauer todtschlagen, als daß er den Juden einen „Pehm“ an sich verdienen läßt. Der Bauer ist jetzt klüger als der Jüd selbst, er hat jetzt einen Kopf auf sich, wie von Eisen, und läßt sich nicht so leicht mehr aufsitzen. Ich sag's ja immer, es wird zuletzt noch dahin kommen, daß der Jüd wird müssen auf dem Feld ackern und säen, und daß der Bauer wird im Gewölb stehen und wird dem Jüden verkaufen. Leider Gottes! die Welt wird Tag für Tag schlechter . . .</p><lb/> <p>Plötzlich stockte der Redefluß dieser dem Knaben nur allzu bekannten Gedanken. Die Großmutter hob den Kopf auf, der sich in diesem Augenblicke so unfähig gezeigt hatte, gerade dasjenige zu tragen, was der Mund aussprechen sollte; sie sah aufs Neue mit ängstlicher Miene nach der Gewölbthür hin.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
Der Knabe mußte auf den Zehen leise zur Thür schleichen und das „Vorhängl“ vor dem Guckfensterchen zurückziehen, durch das man in das Innere des Gewölbes blicken konnte.
Ich seh' den Vater im Handel mit einem Bauern, der eine Lederhaut kaufen will, lautete die Antwort des spähenden Knaben.
So ist's gut, sagte Marjim und schien durch diese Nachricht von einer drückenden Sorge befreit, denn wenn man mit einem Bauern etwas zu thun hat, wird man mit ihm vor drei, vier Stunden nicht Handel Eins. Ender läßt sich der Bauer todtschlagen, als daß er den Juden einen „Pehm“ an sich verdienen läßt. Der Bauer ist jetzt klüger als der Jüd selbst, er hat jetzt einen Kopf auf sich, wie von Eisen, und läßt sich nicht so leicht mehr aufsitzen. Ich sag's ja immer, es wird zuletzt noch dahin kommen, daß der Jüd wird müssen auf dem Feld ackern und säen, und daß der Bauer wird im Gewölb stehen und wird dem Jüden verkaufen. Leider Gottes! die Welt wird Tag für Tag schlechter . . .
Plötzlich stockte der Redefluß dieser dem Knaben nur allzu bekannten Gedanken. Die Großmutter hob den Kopf auf, der sich in diesem Augenblicke so unfähig gezeigt hatte, gerade dasjenige zu tragen, was der Mund aussprechen sollte; sie sah aufs Neue mit ängstlicher Miene nach der Gewölbthür hin.
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