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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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3. Ein alter und ein neuer Mensch.

Als Josseph am frühen Morgen nach dieser denkwürdigen Nacht die den Sabbat über verschlossene "gemischte Waarenhandlung" wieder öffnete, fand er auf den äußeren Thüren des Gewölbes einige mit Kreide geschriebene Worte in böhmischer Sprache stehen, die zu deutsch lauteten: "Ahasverus, du verfluchter Jude."

Der Sinn dieser nur von einer Bauernhand hingezeichneten Schriftzüge war für den Dorfjuden dunkel. Er lächelte darüber und wunderte sich, wie der Schreiber dieser Worte so einfältig sein konnte, den Ahasverus für einen verfluchten Juden anzusehen. Das weiß das kleinste jüdische Kind, murmelte er vor sich hin, daß Ahasverus ein König ist gewesen von hundertundzwanzig Provinzen, wie es in der Geschichte Esther's heißt. Die Königin Esther ist eine Jüdin gewesen, das ist wahr, aber Ahasverus? Der das geschrieben hat, muß in der Thora nicht gut beschlagen sein.

Gleichsam zur Strafe für die Unkenntniß des Schreibers ließ er diese Worte auf der Thür stehen und verlöschte sie nicht, wie er's sonst mit den vielen Kreuzen that, die ihm die Kinder des Dorfes zum Aerger hinzeichneten. Ohnehin las sie kein Mensch, weil die Thüren des Gewölbes den Tag über an die Wand angelehnt waren. Was versteckt war, darum kümmerte er sich nicht, aber bei guter Gelegenheit nahm

3. Ein alter und ein neuer Mensch.

Als Josseph am frühen Morgen nach dieser denkwürdigen Nacht die den Sabbat über verschlossene „gemischte Waarenhandlung“ wieder öffnete, fand er auf den äußeren Thüren des Gewölbes einige mit Kreide geschriebene Worte in böhmischer Sprache stehen, die zu deutsch lauteten: „Ahasverus, du verfluchter Jude.“

Der Sinn dieser nur von einer Bauernhand hingezeichneten Schriftzüge war für den Dorfjuden dunkel. Er lächelte darüber und wunderte sich, wie der Schreiber dieser Worte so einfältig sein konnte, den Ahasverus für einen verfluchten Juden anzusehen. Das weiß das kleinste jüdische Kind, murmelte er vor sich hin, daß Ahasverus ein König ist gewesen von hundertundzwanzig Provinzen, wie es in der Geschichte Esther's heißt. Die Königin Esther ist eine Jüdin gewesen, das ist wahr, aber Ahasverus? Der das geschrieben hat, muß in der Thora nicht gut beschlagen sein.

Gleichsam zur Strafe für die Unkenntniß des Schreibers ließ er diese Worte auf der Thür stehen und verlöschte sie nicht, wie er's sonst mit den vielen Kreuzen that, die ihm die Kinder des Dorfes zum Aerger hinzeichneten. Ohnehin las sie kein Mensch, weil die Thüren des Gewölbes den Tag über an die Wand angelehnt waren. Was versteckt war, darum kümmerte er sich nicht, aber bei guter Gelegenheit nahm

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[0039] 3. Ein alter und ein neuer Mensch. Als Josseph am frühen Morgen nach dieser denkwürdigen Nacht die den Sabbat über verschlossene „gemischte Waarenhandlung“ wieder öffnete, fand er auf den äußeren Thüren des Gewölbes einige mit Kreide geschriebene Worte in böhmischer Sprache stehen, die zu deutsch lauteten: „Ahasverus, du verfluchter Jude.“ Der Sinn dieser nur von einer Bauernhand hingezeichneten Schriftzüge war für den Dorfjuden dunkel. Er lächelte darüber und wunderte sich, wie der Schreiber dieser Worte so einfältig sein konnte, den Ahasverus für einen verfluchten Juden anzusehen. Das weiß das kleinste jüdische Kind, murmelte er vor sich hin, daß Ahasverus ein König ist gewesen von hundertundzwanzig Provinzen, wie es in der Geschichte Esther's heißt. Die Königin Esther ist eine Jüdin gewesen, das ist wahr, aber Ahasverus? Der das geschrieben hat, muß in der Thora nicht gut beschlagen sein. Gleichsam zur Strafe für die Unkenntniß des Schreibers ließ er diese Worte auf der Thür stehen und verlöschte sie nicht, wie er's sonst mit den vielen Kreuzen that, die ihm die Kinder des Dorfes zum Aerger hinzeichneten. Ohnehin las sie kein Mensch, weil die Thüren des Gewölbes den Tag über an die Wand angelehnt waren. Was versteckt war, darum kümmerte er sich nicht, aber bei guter Gelegenheit nahm

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/39>, abgerufen am 23.11.2024.