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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Wenn ihr die Kinder möchtet gebären, ihr müßtet da anders reden. Da denkst du nicht daran, was du gewesen bist; du willst nur, die Kinder sollen gut und rechtschaffen werden, ob als Christen oder als Juden, das ist dann gleichgültig. Eine Mutter sieht nur immer auf den Vater von ihren Kindern. Wie der ist, so werden auch die Kinder. Ist der Vater ein schlechter Jud oder Christ, so werden's die Kinder auch. Darauf kannst du dich verlassen.

Bist du vielleicht darum eine so gute Christin geworden? fragte Josseph etwas spitzig.

Ich bin, was mein Mann ist, entgegnete sie rasch; das Weib soll auch gar keine andere Religion haben als der Vater. Es kommen nur Streitigkeiten zwischen Beiden heraus, das nicht gut ist, und was soll erst mit den Kindern geschehen? Nimm an, Josseph, ich hätt' meinen Pawel genommen und wär' eine Jüdin geblieben. Meinst du, es hätt' ihn nicht geschmerzt, wenn ich seine Kinder auf jüdische Art, wie ich's im Haus bei euch hab' gesehen und gelernt, aufgezogen hätt'? Mein Mann ist gewohnt, von seiner Kindheit auf an die Mutter Gottes zu denken, sie anzurufen in allen Nöthen; meinst du, ich hätt' den Kindern sagen sollen: stoßt euch nicht daran, wenn der Vater den Namen der heiligen Mutter Gottes ausspricht; er kann ja nichts dafür, daß er als Christ ist geboren worden? Oder wenn ihr eure Feiertage habt, meinst du, ich sollt' da zu meinen Kindern sagen: heute darf man

Wenn ihr die Kinder möchtet gebären, ihr müßtet da anders reden. Da denkst du nicht daran, was du gewesen bist; du willst nur, die Kinder sollen gut und rechtschaffen werden, ob als Christen oder als Juden, das ist dann gleichgültig. Eine Mutter sieht nur immer auf den Vater von ihren Kindern. Wie der ist, so werden auch die Kinder. Ist der Vater ein schlechter Jud oder Christ, so werden's die Kinder auch. Darauf kannst du dich verlassen.

Bist du vielleicht darum eine so gute Christin geworden? fragte Josseph etwas spitzig.

Ich bin, was mein Mann ist, entgegnete sie rasch; das Weib soll auch gar keine andere Religion haben als der Vater. Es kommen nur Streitigkeiten zwischen Beiden heraus, das nicht gut ist, und was soll erst mit den Kindern geschehen? Nimm an, Josseph, ich hätt' meinen Pawel genommen und wär' eine Jüdin geblieben. Meinst du, es hätt' ihn nicht geschmerzt, wenn ich seine Kinder auf jüdische Art, wie ich's im Haus bei euch hab' gesehen und gelernt, aufgezogen hätt'? Mein Mann ist gewohnt, von seiner Kindheit auf an die Mutter Gottes zu denken, sie anzurufen in allen Nöthen; meinst du, ich hätt' den Kindern sagen sollen: stoßt euch nicht daran, wenn der Vater den Namen der heiligen Mutter Gottes ausspricht; er kann ja nichts dafür, daß er als Christ ist geboren worden? Oder wenn ihr eure Feiertage habt, meinst du, ich sollt' da zu meinen Kindern sagen: heute darf man

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[0204] Wenn ihr die Kinder möchtet gebären, ihr müßtet da anders reden. Da denkst du nicht daran, was du gewesen bist; du willst nur, die Kinder sollen gut und rechtschaffen werden, ob als Christen oder als Juden, das ist dann gleichgültig. Eine Mutter sieht nur immer auf den Vater von ihren Kindern. Wie der ist, so werden auch die Kinder. Ist der Vater ein schlechter Jud oder Christ, so werden's die Kinder auch. Darauf kannst du dich verlassen. Bist du vielleicht darum eine so gute Christin geworden? fragte Josseph etwas spitzig. Ich bin, was mein Mann ist, entgegnete sie rasch; das Weib soll auch gar keine andere Religion haben als der Vater. Es kommen nur Streitigkeiten zwischen Beiden heraus, das nicht gut ist, und was soll erst mit den Kindern geschehen? Nimm an, Josseph, ich hätt' meinen Pawel genommen und wär' eine Jüdin geblieben. Meinst du, es hätt' ihn nicht geschmerzt, wenn ich seine Kinder auf jüdische Art, wie ich's im Haus bei euch hab' gesehen und gelernt, aufgezogen hätt'? Mein Mann ist gewohnt, von seiner Kindheit auf an die Mutter Gottes zu denken, sie anzurufen in allen Nöthen; meinst du, ich hätt' den Kindern sagen sollen: stoßt euch nicht daran, wenn der Vater den Namen der heiligen Mutter Gottes ausspricht; er kann ja nichts dafür, daß er als Christ ist geboren worden? Oder wenn ihr eure Feiertage habt, meinst du, ich sollt' da zu meinen Kindern sagen: heute darf man

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/204>, abgerufen am 17.05.2024.