Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und da sollte ein einzelner Mann sich nicht getroffen fühlen? -- Soll ich es Ihnen also wirklich sagen, Rebb Josseph? Bin ich denn ein Kind? sagte dieser. So hören Sie, rief Arnsteiner, Josseph scharf fixirend, die Schrift Ihres Urdede -- ist eine Uebersetzung des Evangeliums Matthäi, wie es geht und steht. Wer ist das? fragte Josseph ruhig. Das wissen Sie nicht? rief der Lehrer, in lautes Gelächter ausbrechend. Da, lesen Sie in dem Buche, was steht da, worauf ich mit dem Finger hindeute? Josseph las: Das fünfte Kapitel. Christi Bergpredigt, von der Christen Seligkeit und Verständniß des Gesetzes. Evangelium am Tage aller Heiligen. Das geht sie an, meinte er, zu dem Lehrer aufblickend ; er hatte Madlena's Kirchengenossen im Sinne. Julius Arnsteiner lachte wieder hell auf. Warum lesen Sie nicht weiter, Rebb Josseph? rief er. Fast um dem Lehrer einen deutlichen Beweis zu geben, daß er sich vor dem Berühren der "verbotenen Bücher" nicht scheue, las Josseph weiter: Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich und seine Jünger traten zu ihm hin. Und er that seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: Selig sind, die da geistig arm sind, denn das Himmelreich ist ihr; selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden -- und da sollte ein einzelner Mann sich nicht getroffen fühlen? — Soll ich es Ihnen also wirklich sagen, Rebb Josseph? Bin ich denn ein Kind? sagte dieser. So hören Sie, rief Arnsteiner, Josseph scharf fixirend, die Schrift Ihres Urdede — ist eine Uebersetzung des Evangeliums Matthäi, wie es geht und steht. Wer ist das? fragte Josseph ruhig. Das wissen Sie nicht? rief der Lehrer, in lautes Gelächter ausbrechend. Da, lesen Sie in dem Buche, was steht da, worauf ich mit dem Finger hindeute? Josseph las: Das fünfte Kapitel. Christi Bergpredigt, von der Christen Seligkeit und Verständniß des Gesetzes. Evangelium am Tage aller Heiligen. Das geht sie an, meinte er, zu dem Lehrer aufblickend ; er hatte Madlena's Kirchengenossen im Sinne. Julius Arnsteiner lachte wieder hell auf. Warum lesen Sie nicht weiter, Rebb Josseph? rief er. Fast um dem Lehrer einen deutlichen Beweis zu geben, daß er sich vor dem Berühren der „verbotenen Bücher“ nicht scheue, las Josseph weiter: Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich und seine Jünger traten zu ihm hin. Und er that seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: Selig sind, die da geistig arm sind, denn das Himmelreich ist ihr; selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden — <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="13"> <p><pb facs="#f0193"/> und da sollte ein einzelner Mann sich nicht getroffen fühlen? — Soll ich es Ihnen also wirklich sagen, Rebb Josseph?</p><lb/> <p>Bin ich denn ein Kind? sagte dieser.</p><lb/> <p>So hören Sie, rief Arnsteiner, Josseph scharf fixirend, die Schrift Ihres Urdede — ist eine Uebersetzung des Evangeliums Matthäi, wie es geht und steht.</p><lb/> <p>Wer ist das? fragte Josseph ruhig.</p><lb/> <p>Das wissen Sie nicht? rief der Lehrer, in lautes Gelächter ausbrechend. Da, lesen Sie in dem Buche, was steht da, worauf ich mit dem Finger hindeute?</p><lb/> <p>Josseph las: Das fünfte Kapitel. Christi Bergpredigt, von der Christen Seligkeit und Verständniß des Gesetzes. Evangelium am Tage aller Heiligen.</p><lb/> <p>Das geht sie an, meinte er, zu dem Lehrer aufblickend ; er hatte Madlena's Kirchengenossen im Sinne.</p><lb/> <p>Julius Arnsteiner lachte wieder hell auf.</p><lb/> <p>Warum lesen Sie nicht weiter, Rebb Josseph? rief er.</p><lb/> <p>Fast um dem Lehrer einen deutlichen Beweis zu geben, daß er sich vor dem Berühren der „verbotenen Bücher“ nicht scheue, las Josseph weiter:</p><lb/> <p>Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich und seine Jünger traten zu ihm hin. Und er that seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: Selig sind, die da geistig arm sind, denn das Himmelreich ist ihr; selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden —</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0193]
und da sollte ein einzelner Mann sich nicht getroffen fühlen? — Soll ich es Ihnen also wirklich sagen, Rebb Josseph?
Bin ich denn ein Kind? sagte dieser.
So hören Sie, rief Arnsteiner, Josseph scharf fixirend, die Schrift Ihres Urdede — ist eine Uebersetzung des Evangeliums Matthäi, wie es geht und steht.
Wer ist das? fragte Josseph ruhig.
Das wissen Sie nicht? rief der Lehrer, in lautes Gelächter ausbrechend. Da, lesen Sie in dem Buche, was steht da, worauf ich mit dem Finger hindeute?
Josseph las: Das fünfte Kapitel. Christi Bergpredigt, von der Christen Seligkeit und Verständniß des Gesetzes. Evangelium am Tage aller Heiligen.
Das geht sie an, meinte er, zu dem Lehrer aufblickend ; er hatte Madlena's Kirchengenossen im Sinne.
Julius Arnsteiner lachte wieder hell auf.
Warum lesen Sie nicht weiter, Rebb Josseph? rief er.
Fast um dem Lehrer einen deutlichen Beweis zu geben, daß er sich vor dem Berühren der „verbotenen Bücher“ nicht scheue, las Josseph weiter:
Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich und seine Jünger traten zu ihm hin. Und er that seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: Selig sind, die da geistig arm sind, denn das Himmelreich ist ihr; selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden —
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/193>, abgerufen am 20.06.2024. |