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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gleichsam erst geboren aus der rings lagernden Nacht, plötzlich entgegen. Ein Grauen überkam ihn.

Herr Josseph? fragte leise der Bauer.

Ich bin's, Parzik. Was wollt Ihr? fragte Josseph zagend.

Kommt.

Parzik ging voraus, nur zögernd folgte Josseph. Sie schritten noch über die ganze Länge der Brücke, unter der das Wasser lautlos, fast absichtlich schweigsam dahin strömte. Mond, Sterne und Wellen hatten sich das Wort gegeben, im Einverständnisse -- zu schweigen.

Aus dem Dunkel der Nacht leuchtete die weiße Kapelle des heiligen Johann von Nepomuk hervor; ein einfaches Lämpchen in einer farbigen Papierlaterne brannte vor dem bleichen Priester aus Holz, der mit Blumenkränzen, Bändern und Laubwerk so verdeckt war, daß nur das matt beleuchtete todesselige Antlitz dazwischen hervorblickte.

Hier blieb Parzik stehen. Minutenlang standen die beiden Männer sich sprachlos gegenüber. Endlich begann der Bauer:

Da steht ein Christ und ein Jud vor dem heiligen Johann von Nepomuk, und Keiner von Beiden zieht den Hut vor ihm ab. Woher kommt das?

Ich versteh' Euch nicht, Parzik, sagte Josseph beklommen.

Das versteht ein jedes Kind, entgegnete der Bauer

gleichsam erst geboren aus der rings lagernden Nacht, plötzlich entgegen. Ein Grauen überkam ihn.

Herr Josseph? fragte leise der Bauer.

Ich bin's, Parzik. Was wollt Ihr? fragte Josseph zagend.

Kommt.

Parzik ging voraus, nur zögernd folgte Josseph. Sie schritten noch über die ganze Länge der Brücke, unter der das Wasser lautlos, fast absichtlich schweigsam dahin strömte. Mond, Sterne und Wellen hatten sich das Wort gegeben, im Einverständnisse — zu schweigen.

Aus dem Dunkel der Nacht leuchtete die weiße Kapelle des heiligen Johann von Nepomuk hervor; ein einfaches Lämpchen in einer farbigen Papierlaterne brannte vor dem bleichen Priester aus Holz, der mit Blumenkränzen, Bändern und Laubwerk so verdeckt war, daß nur das matt beleuchtete todesselige Antlitz dazwischen hervorblickte.

Hier blieb Parzik stehen. Minutenlang standen die beiden Männer sich sprachlos gegenüber. Endlich begann der Bauer:

Da steht ein Christ und ein Jud vor dem heiligen Johann von Nepomuk, und Keiner von Beiden zieht den Hut vor ihm ab. Woher kommt das?

Ich versteh' Euch nicht, Parzik, sagte Josseph beklommen.

Das versteht ein jedes Kind, entgegnete der Bauer

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[0145] gleichsam erst geboren aus der rings lagernden Nacht, plötzlich entgegen. Ein Grauen überkam ihn. Herr Josseph? fragte leise der Bauer. Ich bin's, Parzik. Was wollt Ihr? fragte Josseph zagend. Kommt. Parzik ging voraus, nur zögernd folgte Josseph. Sie schritten noch über die ganze Länge der Brücke, unter der das Wasser lautlos, fast absichtlich schweigsam dahin strömte. Mond, Sterne und Wellen hatten sich das Wort gegeben, im Einverständnisse — zu schweigen. Aus dem Dunkel der Nacht leuchtete die weiße Kapelle des heiligen Johann von Nepomuk hervor; ein einfaches Lämpchen in einer farbigen Papierlaterne brannte vor dem bleichen Priester aus Holz, der mit Blumenkränzen, Bändern und Laubwerk so verdeckt war, daß nur das matt beleuchtete todesselige Antlitz dazwischen hervorblickte. Hier blieb Parzik stehen. Minutenlang standen die beiden Männer sich sprachlos gegenüber. Endlich begann der Bauer: Da steht ein Christ und ein Jud vor dem heiligen Johann von Nepomuk, und Keiner von Beiden zieht den Hut vor ihm ab. Woher kommt das? Ich versteh' Euch nicht, Parzik, sagte Josseph beklommen. Das versteht ein jedes Kind, entgegnete der Bauer

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/145>, abgerufen am 17.05.2024.