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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ihr war das "Fertigwerden" Josseph's, daß wiederholt aus seinem Munde gekommen, nicht nach dem Sinn. Zehn Jahre lang, dachte sie, läßt er das Geld bei sich liegen, läßt Zinsen auf Zinsen anwachsen, und da meint er nun, er ist fertig geworden mit ihr? Dennoch dankte und lobte sie Gott aus tiefster Seele, denn, war sie der Hoffnung, Josseph hat doch wenigstens einen Anfang gemacht.

Wie schlecht kannte diese Mutter denjenigen, den sie unter ihrem Herzen getragen und mit ihrem eigenen Blute genährt hatte, wenn sie an diesen "Anfang" glaubte.

Josseph's Haß gegen die Schwester war jetzt gefährlicher als je; er hatte ihm selbst die Spitze abgebrochen, indem er ein altes Unrecht wieder gut zu machen suchte. Dafür war dieser Haß breit und stämmig geworden, wie ein abgehauener Baum im Walde. --

Das grüne Laubwerk fehlt, aber der verstümmelte Stamm steht fast drohend da, daß man ihn seines Schmuckes zu berauben gewagt hat.

Ihr war das „Fertigwerden“ Josseph's, daß wiederholt aus seinem Munde gekommen, nicht nach dem Sinn. Zehn Jahre lang, dachte sie, läßt er das Geld bei sich liegen, läßt Zinsen auf Zinsen anwachsen, und da meint er nun, er ist fertig geworden mit ihr? Dennoch dankte und lobte sie Gott aus tiefster Seele, denn, war sie der Hoffnung, Josseph hat doch wenigstens einen Anfang gemacht.

Wie schlecht kannte diese Mutter denjenigen, den sie unter ihrem Herzen getragen und mit ihrem eigenen Blute genährt hatte, wenn sie an diesen „Anfang“ glaubte.

Josseph's Haß gegen die Schwester war jetzt gefährlicher als je; er hatte ihm selbst die Spitze abgebrochen, indem er ein altes Unrecht wieder gut zu machen suchte. Dafür war dieser Haß breit und stämmig geworden, wie ein abgehauener Baum im Walde. —

Das grüne Laubwerk fehlt, aber der verstümmelte Stamm steht fast drohend da, daß man ihn seines Schmuckes zu berauben gewagt hat.

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[0135] Ihr war das „Fertigwerden“ Josseph's, daß wiederholt aus seinem Munde gekommen, nicht nach dem Sinn. Zehn Jahre lang, dachte sie, läßt er das Geld bei sich liegen, läßt Zinsen auf Zinsen anwachsen, und da meint er nun, er ist fertig geworden mit ihr? Dennoch dankte und lobte sie Gott aus tiefster Seele, denn, war sie der Hoffnung, Josseph hat doch wenigstens einen Anfang gemacht. Wie schlecht kannte diese Mutter denjenigen, den sie unter ihrem Herzen getragen und mit ihrem eigenen Blute genährt hatte, wenn sie an diesen „Anfang“ glaubte. Josseph's Haß gegen die Schwester war jetzt gefährlicher als je; er hatte ihm selbst die Spitze abgebrochen, indem er ein altes Unrecht wieder gut zu machen suchte. Dafür war dieser Haß breit und stämmig geworden, wie ein abgehauener Baum im Walde. — Das grüne Laubwerk fehlt, aber der verstümmelte Stamm steht fast drohend da, daß man ihn seines Schmuckes zu berauben gewagt hat.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/135>, abgerufen am 17.05.2024.