Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.seiner Mutter oder zu seiner Schwester sagen: ich kenne dich nicht, ich weiß nichts von dir; geh fort. Und doch soll ein solcher Mensch fromm sein und Gott soll dem sich wohlgewogen erweisen? Während dieser Frage war Josseph still in die Stube getreten und hatte sich hinter den Stuhl, auf dem der Knabe saß, gestellt. Sein Auge hielt er wie ein Richter, der in dem Antlitze des Verurtheilten späht, fest auf die Lippen des Lehrers geheftet. Das ist auch nicht so zu verstehen, begann der Lehrer, und wenn ich dir's auch erkläre, so bekommst du doch nicht den rechten Sinn heraus. Wart', bis du älter bist. Warten? entgegnete lachend der Knabe. Macht es ihm wenigstens mit Hilfe des Verstandes begreiflich, Herr Lehrer, sagte Josseph anscheinend ruhig, Fischele ist schon gescheidt genug und Kopf hat er auch genug. Julius Arnsteiner begriff es ohne Mühe, daß hier dem Vater die Aufklärung der dunklen Bibelstelle eben so noth that, als dem Sohne. Weißt du, was ein Geistlicher ist? fragte er. Wie soll ich das nicht wissen? Der Pfarrer. Gut! Hat der Pfarrer Weib und Kind? Er darf ja nicht. Willst du wissen, warum? Wenn der Pfarrer Weib und Kind hätte, meinen die Leute, könnte er kein guter Geistlicher sein. seiner Mutter oder zu seiner Schwester sagen: ich kenne dich nicht, ich weiß nichts von dir; geh fort. Und doch soll ein solcher Mensch fromm sein und Gott soll dem sich wohlgewogen erweisen? Während dieser Frage war Josseph still in die Stube getreten und hatte sich hinter den Stuhl, auf dem der Knabe saß, gestellt. Sein Auge hielt er wie ein Richter, der in dem Antlitze des Verurtheilten späht, fest auf die Lippen des Lehrers geheftet. Das ist auch nicht so zu verstehen, begann der Lehrer, und wenn ich dir's auch erkläre, so bekommst du doch nicht den rechten Sinn heraus. Wart', bis du älter bist. Warten? entgegnete lachend der Knabe. Macht es ihm wenigstens mit Hilfe des Verstandes begreiflich, Herr Lehrer, sagte Josseph anscheinend ruhig, Fischele ist schon gescheidt genug und Kopf hat er auch genug. Julius Arnsteiner begriff es ohne Mühe, daß hier dem Vater die Aufklärung der dunklen Bibelstelle eben so noth that, als dem Sohne. Weißt du, was ein Geistlicher ist? fragte er. Wie soll ich das nicht wissen? Der Pfarrer. Gut! Hat der Pfarrer Weib und Kind? Er darf ja nicht. Willst du wissen, warum? Wenn der Pfarrer Weib und Kind hätte, meinen die Leute, könnte er kein guter Geistlicher sein. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0110"/> seiner Mutter oder zu seiner Schwester sagen: ich kenne dich nicht, ich weiß nichts von dir; geh fort. Und doch soll ein solcher Mensch fromm sein und Gott soll dem sich wohlgewogen erweisen?</p><lb/> <p>Während dieser Frage war Josseph still in die Stube getreten und hatte sich hinter den Stuhl, auf dem der Knabe saß, gestellt. Sein Auge hielt er wie ein Richter, der in dem Antlitze des Verurtheilten späht, fest auf die Lippen des Lehrers geheftet.</p><lb/> <p>Das ist auch nicht so zu verstehen, begann der Lehrer, und wenn ich dir's auch erkläre, so bekommst du doch nicht den rechten Sinn heraus. Wart', bis du älter bist.</p><lb/> <p>Warten? entgegnete lachend der Knabe.</p><lb/> <p>Macht es ihm wenigstens mit Hilfe des Verstandes begreiflich, Herr Lehrer, sagte Josseph anscheinend ruhig, Fischele ist schon gescheidt genug und Kopf hat er auch genug.</p><lb/> <p>Julius Arnsteiner begriff es ohne Mühe, daß hier dem Vater die Aufklärung der dunklen Bibelstelle eben so noth that, als dem Sohne.</p><lb/> <p>Weißt du, was ein Geistlicher ist? fragte er.</p><lb/> <p>Wie soll ich das nicht wissen? Der Pfarrer.</p><lb/> <p>Gut! Hat der Pfarrer Weib und Kind?</p><lb/> <p>Er darf ja nicht.</p><lb/> <p>Willst du wissen, warum? Wenn der Pfarrer Weib und Kind hätte, meinen die Leute, könnte er kein guter Geistlicher sein.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
seiner Mutter oder zu seiner Schwester sagen: ich kenne dich nicht, ich weiß nichts von dir; geh fort. Und doch soll ein solcher Mensch fromm sein und Gott soll dem sich wohlgewogen erweisen?
Während dieser Frage war Josseph still in die Stube getreten und hatte sich hinter den Stuhl, auf dem der Knabe saß, gestellt. Sein Auge hielt er wie ein Richter, der in dem Antlitze des Verurtheilten späht, fest auf die Lippen des Lehrers geheftet.
Das ist auch nicht so zu verstehen, begann der Lehrer, und wenn ich dir's auch erkläre, so bekommst du doch nicht den rechten Sinn heraus. Wart', bis du älter bist.
Warten? entgegnete lachend der Knabe.
Macht es ihm wenigstens mit Hilfe des Verstandes begreiflich, Herr Lehrer, sagte Josseph anscheinend ruhig, Fischele ist schon gescheidt genug und Kopf hat er auch genug.
Julius Arnsteiner begriff es ohne Mühe, daß hier dem Vater die Aufklärung der dunklen Bibelstelle eben so noth that, als dem Sohne.
Weißt du, was ein Geistlicher ist? fragte er.
Wie soll ich das nicht wissen? Der Pfarrer.
Gut! Hat der Pfarrer Weib und Kind?
Er darf ja nicht.
Willst du wissen, warum? Wenn der Pfarrer Weib und Kind hätte, meinen die Leute, könnte er kein guter Geistlicher sein.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/110 |
Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/110>, abgerufen am 20.07.2024. |